Die schön gestaltete und von den beiden Herausgebern vorzüglich kommentierte Edition der Schlayerschen Minusio-Erzählung ermöglicht einen neuen Blick auf George. Sie zeigt einen entspannten Dichter-Gott, der sich durchaus auch spielerisch-belustigt auf die Rituale seiner Sekte bezog. Dies konnte er sich im Bewusstsein der bedingungslosen Verehrung, die ihm entgegengebracht wurde, freilich problemlos leisten. Auch Schlayers Briefe sind, ungeachtet der Profilierung eines persönlicheren, man möchte sagen: menschlicheren Meisters, Dokumente der Anbetung. Sie bebt vor Ergriffenheit, wenn er ihr mit seinem Löffel vom Nachtisch abgibt oder gar eigenhändig ein Brötchen mit Hummermayonnaise für sie schmiert. Sie ist ausser sich vor Glück, wenn er in der von ihr gestrickten Wollweste, seinem «Wullewops», zum Abendessen erscheint. Jede noch so banale Geste, jedes Räuspern, jedes Lachen Georges hat das Zeug zur Offenbarung. / Manfred Koch, NZZ 22.3.
Clotilde Schlayer: Minusio. Chronik aus den letzten Lebensjahren Stefan Georges. Hrsg. und mit Erläuterungen versehen von Maik Bozza und Utel Oelmann. Wallstein-Verlag, Göttingen 2010. 346 S., Abb., Fr. 56.90