10 Jahre Wa(h)renhaus und es geht weiter

Liebe Leserinnen und Leser dieses Blogs,

heute sind es genau 10 Jahre, dass diese Seite, damals noch unter dem Titel “mein chaotisches Webtagebuch”, ans Netz ging. 660 Artikel habe ich seither veröffentlicht, aber in den letzten Jahren wurden es stetig weniger. Rund 80000 Besucher hatte das Blog während der letzten 10 Jahre, ergab eine Hochrechnung, die allerdings nicht besonders sicher ist. Einige Leserinnen und Leser halten diesem Blog seit 10 Jahren die Treue, und dafür bedanke ich mich sehr herzlich. Ihr, die ihr dieses Blog immer noch lest, seid der Grund dafür, dass ich auch immer noch schreibe.

Eine Freundin, die auch gern bloggen würde, fragte mich heute morgen, warum ich es immer noch tue und wie ich mich motiviere. Sie selbst hätte auch Ideen zum Schreiben, würde es aber nur für den eigenen Narzissmus tun. Vielleicht steckt der auch immer mit drin, wenn man ein solches Projekt beginnt. Man möchte gelesen werden, und so war es bei mir auch. In den ersten Monaten funktionierte das auch recht gut, da war Wahlkampf, und ich schrieb und verlinkte viel. Dabei merkte ich, dass noch ein zweiter Punkt hinzu kam: Ich wollte politische Meinungsbildung betreiben, fühlte mich als “einfacher Bürger” plötzlich dazu in der Lage. Mit der zeit hat sich das gelegt, vor allem, weil mir die Notwendigkeit, alles und jedes zu verlinken im Text, über den Kopf wuchs. Aber so generiert man Traffic. Heute ist dieses Blog eine Meinung unter vielen, und es ist nichts Besonderes. Trotzdem blogge ich immer noch, wenn auch seltener, und wenn mir auch immer häufiger die Worte fehlen und ich nicht in Stereotype abgleiten möchte. Aber dieses Wa(h)renhaus wird es auch in Zukunft geben. Wer sollte sonst zum Beispiel über die Niederlande berichten?

Bedanken möchte ich mich bei all den Leserinnen und Lesern, Kommentiererinnen und Kommentierern, Ideengeberinnen und Ideengebern. Bitte habt Verständnis, dass ich hier keine einzelnen Personen besonders nenne: Jede Leserin, jeder Leser ist mir lieb und wert. Jeder Link auf dieses Blog ist ein Geschenk, jeder Kommentar eine Wohltat und jede freundliche Kritik eine Hilfe. Danke an alle.

Den folgenden Beitrag schrieb ich für den Ohrfunk.

Heute vor 10 Jahren begann ich zu bloggen. Damals hatte ich große Erwartungen an die neue Kommunikationstechnik. Das politische Blog begann in Deutschland gerade eine nennenswerte Größe im Wald der Meinungen zu werden. Ein paar Blogger haben sich gehalten, doch eine große Zeit des politischen Blogs hat es hierzulande nie gegeben.

Das Blog ist eine Art Internettagebuch, das in den USA entwickelt wurde. Man kann über alle möglichen Themen schreiben und sich vernetzen, sagte mir einmal jemand. Ich winkte ab: Das konnte ich mit meiner alten Homepage auch. Etwas Neues war wohl nicht an diesem kleinen Hype, der da über den großen Teich schwappte. Und dann kam meine Freundin Christiane Link und wischte den ganzen Unsinn einfach weg. Ein Blog mag man auch als sogenanntes Internettagebuch nutzen, erklärte sie, aber es ist erst einmal eine Veröffentlichungsplattform. Was man veröffentlicht, das kann man fast automatisch mit anderen Blogs verlinken, und wenn man in seinem Text auf eine andere Quelle verweist, erscheint der eigene Text als Kommentar zu dieser Quelle und wird dort den Lesern auch bekannt. Ein Blog ist sinnvoll, wenn man sich austauschen will, wenn man direkt mit den Schreibern in der Community diskutieren will. Kommentare werden unter dem Beitrag veröffentlicht, man muss nicht in ein extra Gästebuch oder Forum wechseln, Meinungen gehören direkt zu dem entsprechenden Artikel. Das fand ich gut, und so startete ich am 14. April 2005 mein eigenes Blog unter Mithilfe von Christiane und ihres Freundes Artur. Als dann im Juni der Wahlkampf zur Bundestagswahl begann, merkte ich schnell, wie so ein Netzwerk politischer Blogs funktionieren konnte. Man musste lediglich den ganzen Tag am Computer sitzen, nach interessanten Beiträgen suchen, diese kommentieren, selbst etwas schreiben und auf die gefundenen Artikel als interessante Quellen verweisen. Schon kamen von dort leser zum eigenen Blog und diskutierten mit. Je mehr Links ich im eigenen Text auf andere Blogs setzte, desto relevanter war mein Artikel, desto mehr Leser kamen auf meine Seite, desto interessanter war die Diskussion. Es gab Blogger, die hatten in jedem ihrer Sätze mindestens drei oder vier Quellen. Besonders tat sich da Marcel Bartels mit seinem Blog Mein parteibuch hervor, das sich kritisch mit der Politik und insbesondere mit der Rolle der SPD auseinandersetzte. Bartels wurde aber immer mehr daran gehindert, seine freie Meinung
weiterzuverbreiten, denn er wurde das erste große Opfer des Abmahnwesens. SPD-Politiker, vor allem der heutige Vorsitzende Sigmar Gabriel, strengten gegen ihn Klage um Klage an und mahnten ihn ab. Zwar verlor Gabriel immer wieder, weil Bartels seine Äußerungen, mit denen er Gabriel kritisierte, bis zum letzten Komma belegen konnte, aber die immer zahlreicher werdenden Abmahnungen zwangen ihn schließlich dazu, das Blog zu schließen. Eine wichtige Stimme der freien Welt wurde den Wirtschaftsinteressen geopfert, und natürlich auch dem Opportunismus machtgeiler Politiker.

Ich selbst habe es nie geschafft, meine Beiträge mit so vielen Belegstellen und Verlinkungen zu versehen, dass mein Blog als besonders originell, interessant oder meinungsstark gegolten hätte. Während des
Bundestagswahlkampfes 2005 lief es recht gut, aber damals saß ich auch wirklich den ganzen Tag am Rechner, recherchierte und schrieb. Spätestens seit meiner Tätigkeit für den Ohrfunk Anfang 2006 war das so nicht mehr möglich. Meine fehlende Vernetzung sorgt bis heute dafür, dass meine Seite höchstens über Schlagwörter und Suchmaschinen gefunden wird, und über die ganz wenigen Links, die auf sie verweisen. In den letzten 10 Jahren habe ich vielleicht 200.000 Zugriffe auf meine knapp 700 Artikel erhalten, das schaffen gute Meinungsblogs in einem Monat.

Aber meine Faulheit oder Langsamkeit ist es nicht allein, die dazu führt, dass mein Blog kaum gelesen wird. Politische Blogs in Deutschland, sieht man von einigen etablierten Seiten bekannter Journalisten oder kritischer Gruppen ab, haben es allgemein schwer. Die Abmahner wurden durch die Trolle abgelöst, die die Kommentarfunktionen seriöser Blogs nutzen, um die Betreiber zu beschimpfen oder sich gegenseitig Beleidigungen an den Kopf zu werfen. Außerdem gewinnen zunehmend radikale politische Ideen an Boden, und wer eine ausgleichende Meinung vertritt oder sachlich informieren und analysieren will, wird oft verspottet oder nicht ernst genommen. Da kann man schon mal die Lust am Bloggen verlieren.

Eigentlich ist die Idee hervorragend: Das Blog bietet die Möglichkeit, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu verbreiten, ohne dafür einen Verlag zu brauchen. Trotzdem kann man einen ähnlichen Verbreitungsgrad erhalten, wenn man sich um sein Netzwerk kümmert und dran bleibt. Das ist die Theorie. Damit wäre es auch für einfache Bürger möglich, in einem demokratischen Gemeinwesen an der politischen Willensbildung teilzunehmen. Voraussetzung ist eine so gute Beitragsqualität, dass von Seiten der Leser ein Interesse besteht, und natürlich ist eine Aufmerksame Leserschaft selbst notwendig. Und spätestens da hapert es in Deutschland.

Wer sich hier im Internet Stunde um Stunde aufhält, der möchte etwas kaufen oder spielen, Filme anschauen oder Musik streamen. Lesen ist Nebensache, und wenn ein Beitrag länger ist als 3000 Zeichen, wird er kaum noch gelesen. Ohne multimedialen Mehrwert in Form von Videos oder Animationen geht da eigentlich gar nichts mehr. Trotzdem hatten die politischen Blogs eine zweite kurze Blüte, als Twitter zum Hype wurde, genau wie Facebook. In den sozialen Netzwerken kann jeder Beiträge mit seinen Freunden teilen, die er für besonders wertvoll hält. Und die meisten von uns lesen zumindest mal rein, wenn ein Freund oder eine Freundin etwas besonders empfiehlt. Aber da viele Facebook- und Twitternutzer hunderte oder gar tausende von Freunden haben, geht so manch guter Beitrag sicher in der Masse unter.

Ich weiß gar nicht genau, wie es heute um politische Blogs bestellt ist. Es gibt sie, davon bin ich überzeugt. Viele interessante Blogs werden sicher ebenso selten gelesen wie meins, eben weil sie nicht anständig vernetzt sind. Reichweite und Einfluss dieser Publikationen sind gering. Meinem Blog hat es auch nichts genützt, dass ich 60 Artikel daraus als Buch veröffentlicht habe. In drei Jahren wurde dieses Buch genau drei mal gekauft, was vielleicht auch an dem zugegeben recht hohen Preis liegt.

Ich habe mich schon mehrfach gefragt, ob ich nicht aufhören sollte zu bloggen. Zum einen werde ich selten gelesen, und zum Anderen ist es ja nun auch so, dass mir kaum noch etwas neues zu sagen einfällt. Nach 10 Jahren stehe ich, und das merke ich selbst, dem Wandel der Zeiten, der drohenden Kriegsgefahr, dem ende wirksamer demokratischer Strukturen und der Radikalisierung politischer Ansichten oft mit immer denselben Sprachschablonen gegenüber. Die Konsequenz daraus ist, dass ich seltener schreibe. Und doch möchte ich nicht aufhören, meine Meinung auch öffentlich zu sagen. Denn auch wenn es nur 20 oder 30 Menschen im Monat lesen, so kann ich doch diesen Menschen denkanstöße geben, mit ihnen debattieren, von ihnen lernen, mich mit ihnen austauschen. Nicht die Masse ist wichtig, sondern die Qualität.

Ob ich in 10 Jahren noch blogge, weiß ich wirklich nicht, aber es ist eines der Instrumente, mit denen Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher Einfluss auf die Geschicke ihrer Stadt, ihres Landes und sogar der Welt nehmen können. In Blogs begannen oft die arabischen Revolten, in Blogs berichtet man aus Krisengebieten und über Katastrophen, durch Blogs können einfache Menschen zu Aktivisten werden. Und das ist gut, und darum blogge ich weiter.

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