Zur Berichterstattung vom Maidan und anderswo: “Wie tief sind wir gesunken?”

Die Transformation monolithischer Staatssysteme zu einer offenen Demokratie ist ein langer Prozess. Die große Schwierigkeit, die sich damit verbindet, ist die Suche nach Artikulations- und Organisationsformen einer sich bildenden Opposition. Das ist bei jedem Übergang von Diktaturen so und es ist schwierig genug, von außen zu begreifen, was vor sich geht. Noch komplizierter wird es, wenn die staatsmonopolistischen Gesellschaften Osteuropas diesen Weg beschreiten. Sie sind allesamt geprägt von einer despotischen Bürokratie, die ihrerseits erwachsen ist aus dem, was Karl August Wittfogel als die “asiatische Produktionsweise” bezeichnete. Ein gutes Beispiel für einen langen, wahrscheinlich letztendlich erfolgreichen, aber auch von Rückschlägen und Umwegen geprägten Prozess zu gesellschaftlicher Offenheit ist Polen. Von der Solidarnosc bis heute war es ein weiter Weg, der noch nicht zu Ende ist.

Maidan_Helga Ewert_pixelio.de

Platz der Unabhängigkeit – Maidan vor den Unruhen – “Berichterstattung” geht anders – Foto: © Helga Ewert / pixelio.de

So wie es scheint, lassen sich die Ereignisse politischer Veränderungen anhand der Namen von zentralen Plätzen beschreiben. Tahrir in Kairo, Taksim in Istanbul und jetzt Maidan in Kiew. Neu ist das nicht, man denke nur an die Plaza de Mayo zu Buenos Aires, aber die Namen dieser Plätze scheinen auch zu stehen für semiotische Zeichen des politischen Umbruchs, für den man hier bei uns im Westen kaum noch Worte findet. Zu unbekannt sind die Akteure des Widerstands, zu unkonturiert das Profil der politischen Gruppierungen, die zumeist erst im Begriff sind, sich zu formieren. Da aber die Bilder, die von diesen Plätzen gesendet werden konnten und gegenwärtig vor allen nachts von Kiews Maidan gesendet werden können alles an Dramaturgie enthalten, wovon eine mediale Inszenierung nur träumen kann, werden Zeitzeugen gesucht, notfalls auch mittels Headhunting.

So entstehen Geschichten, die mit dem beschwerlichen Prozess in einer autoritären Gesellschaft relativ wenig zu tun haben und die die Betrachtenden zu dem Schluss kommen lassen, dass es sich bei der Bewegung in der Ukraine um ein eindeutiges Votum für die Staatsformen im Mainstreameuropa handelt. Als Souffleur für diese Version der zeitgenössischen Geschichtsschreibung fungiert gegenwärtig der Berufsboxer Vitali Klitschko, der ja ein gefühlter Deutscher ist, seitdem er seine professionelle Hochkonjunktur hierzulande erlebte. Er ist ein Gesicht der Opposition in der Ukraine, aber nicht das einzige und auch kein unumstrittenes. Andere Oppositionelle kommen in der hiesigen Berichterstattung jedoch kaum vor. Das ist aber auch nicht notwendig, denn es stand von vorne herein fest, dass die rebellierenden Massen der Ukraine nichts anderes wollen als in die Arme des EU-Monopolismus. Ob das so ist, muss jedoch bezweifelt werden, denn zu schwerwiegend sind die Blaupausen für eine systemische neue Abhängigkeit.

Insofern könnte man sagen, es ist alles wie immer, tauchte da nicht jetzt, gerade passend zur Eskalation des Ganzen, die Expertin Marina Weisband auf, ihrerseits Ex-Piratin, Privatgelehrte und mediale Egozentrikerin. Ihre Expertise besteht aus der Tatsache, dass in ihrem Pass als Geburtsort Kiew steht. Da können wir heilfroh sein, jetzt doch noch Insider-Informationen zu bekommen. Analog zu Claudia Roth, die bei laufender Taxi-Uhr den Istanbuler Taksim Platz besuchte, wagte sich Marina Weisband, ihrerseits wegen der hohen politischen Qualität längst zur Bild-Ikone avanciert, auch auf den Maidan und lieferte Spiegel Online die heißesten Nachrichten per se. Und sie hat auch einen Vortrag dort gehalten über Liquid Democracy, was wahrscheinlich an revolutionärer Gestaltungskraft kaum überboten werden kann. Auf dem Maidan, auf dem die Leute Dreck und trocken Brot fressen und verzweifelt nach Verbandsmaterial suchen, lacht man nachsichtig über die Scharlatane aus dem Westen. Das Publikum hier, in den heiligen Hallen der kritischen Reflexion, sieht das ganz anders.

von Gerhard Mersmann

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Quellen – weiterführende Links

Foto: © Helga Ewert, http://www.  pixelio.de


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