Zeiten, in denen die Linke sich als des Teufels Advokat aufreibt

Es ist schon wieder geschehen. Man hat sich als Linker mal wieder entschuldigen müssen. Für einen, mit dem man ganz sicher nicht konform gehen kann. Ich sei ja nicht für Putin, sagte ich einem Kollegen, aber man muss die Sache doch auch mal so sehen: Die EU und die Bundesregierung haben diesem Kerl zugesetzt und ihre Grenzen nicht gekannt. Am selben Tag las ich einen Teaser bei den NachDenkSeiten, in dem es hieß: »Konstantin Wecker, bestimmt kein Freund des Systems Putin, kann diese Verlogenheit nicht mehr ertragen.« So geht es einem dauernd.
Zeiten, in denen die Linke sich als des Teufels Advokat aufreibtImmer wieder muss man Leute »in Schutz nehmen«, die einem fürchterlich widerlich sind. Das scheint zur Konstanten unserer Zeit zu werden. Jedenfalls wenn man der politischen Linken angehört. Das tut man ja nicht, um auf Deibel komm' raus irgendwie Opposition zu sein oder weil man etwa an einer querulantischen Persönlichkeitsstörung leidet. Da geht es um Werte des Humanismus und der Aufklärung. Was seltsam genug ist im Bezug zum Beispiel auf Putin. Es geht um Verstehenwollen und um Vermittlung zwischen Positionen und kulturellen Eigenarten - und vor allem um die Auflösung des simplifizierenden manichäischen Weltbildes, in dem das Licht mit dem Dunkel ringt und es also Gut und Böse als feste Kategorien gibt. Klar, an diesen Impuls des moralischen Unterscheidenwollens leiden wir seit den griechischen Philosophen. Aber die Welt ist eben nicht so eindeutig.

Wenn man heute Putin »verteidigt«, dann hält man kein Plädoyer für einen fälschlich Angeklagten. Man rückt nur wieder gerade, was in Schieflage geraten ist und sagt damit: Leute, beide Seiten, Putin und der Westen sind unmenschlich und schlecht, beide sind Protagonisten dieses zynischen Welttheaters. Propaganda vom »bösen Feind« ist keine Diskussionsgrundlage. Ich meine, wieso ist die geopolitische Motivation, die Merkel Putin vorwirft, jetzt plötzlich Gegenstand einer Debatte, wo sie doch in Afghanistan und im Irak überhaupt nicht diskutiert wurde? Wenn man jetzt also als Linker die Sicht Russlands nüchtern ins Gespräch wirft, tut man das nicht aus Kriegslüsternheit oder aus Faszination am oberkörperfreien Neo-Zaren, sondern weil man diese saturierte Selbstgerechtigkeit dieses Westens nicht mehr erträgt, von dem man selbst Teil ist.
Anfang des Jahres wollte ich einen Text publizieren, in dem ich auflistete, wen ich alles in Schriftform »verteidigen« musste im letzten Jahr. Leute, denen ich politisch und vor allem menschlich völlig fern stehe. Putin war damals schon dabei. Aber auch kleine Lichter wie Wulff. Oder Hochkaräter wie die Zschäpe, der man auch einen fairen und rechtsstaatlichen Umgang angedeihen lassen sollte. Erdogan und dessen Schergen waren auch dabei - als ob unsere Polizei so oft viel besser reagiert hat als die Polis. Von Islamisten und Taliban schrieb ich auch. Und klar, ich habe für die SPD und gegen die Stimmen geredet, die ihr die Mitgliederbefragung ausreden wollten. Ja, selbst einen wie Snowden, der politisch irgendwo zwischen republikanisch im amerikanischen Sinne und libertär schwebt, der Waffenbesitz für richtig und Sozialhilfe für verwerflich hält, musste von der politischen Linken »verteidigt« werden. Das klang bei manchen aber dann gleich wie Schwärmerei. Ach, die Linken und ihre Helden ...
Es mag mehr gegeben haben, ich erinnere mich an den Text nicht mehr. Ich habe ihn nie veröffentlicht. Er gefiel mir nicht, war zu unausgewogen und passte dann auch nicht mehr richtig ins Konzept - und immer kam ein anderes Thema dazwischen. Also landete er in der Mülltonne. Aber den Schluss kenne ich noch, er lautete sinngemäß so: Es wird nicht lange dauern, dann muss man schon wieder Partei ergreifen für eine Partei, deren Parteigänger man nie und nimmer ist.
Das Maßhalten, das wie eine Verteidigungsrede bewertet wird, ist ein gravierendes Problem für Menschen mit politisch linkem Hintergrund. Sie machen sich so für den Mainstream, der es gerne einfach und adäquat hat, unglaubwürdig und werden von der Massenstimmung an die Wand gepresst, als Verräter oder Träumer empfunden und teils pathologisiert oder schlimmer noch kriminalisiert. Besonders häufig merkt man das, wenn man der Linken mal wieder Antisemitismus vorwirft, weil sie die Politik Israels kritisiert. Stachel in den Wunden der modernen Welt zu sein, nicht alles einfach hinnehmen und nachplappern. Darum geht es doch. Kritik an Israel ist keine Schrift Streichers. Kritik an der Türkei muss ja auch keine turkophobe Handlung sein.
Ich bin schon so weit, dass ich alle tiefgreifenderen Gespräche meide, weil ich denke, dass ich letztlich immer wie so ein notorischer Querulant auf die Leute wirke. Aber was kann ich dafür, wenn mein Umfeld die Eindimensionalität der hiesigen Berichterstattung wiederkäut? Muss ich deshalb dieselbe Einfalt einnehmen? Gibt es kein richtiges Erleben des Weltgeschehens in der beschnittenen Wiedergabe allen Seins? Und dabei widern mich die, die die Diabolisierung bestimmter Gestalten ohne auf einen Anspruch auf Balance zu achten, mindestens genauso an, wie die Figuren, für die man plötzlich und ungewollt als Advokat auftritt.
Man muss klar sagen, dass es diese Malaise ist, die es schwerer sein lässt, als Linker denn als Rechter durch die Welt zu gehen. Der Rechte hat klarere Konturen und ist schneller bereit, sich seiner Zweifel zu entledigen. Er hat ein Sendungsbewusstsein, in dem er immer richtig liegt und die anderen daher falsch. Kulturelle Ungleichheiten macht er mit Termini wie »rückschrittlich« und »fortschrittlich« wett. Er kennt nur Herrenmoral, wo man links auch weiß, dass es verschiedene Moralitäten geben kann, je nach sozialem Kontext, Herkunft und Erfahrungsschatz. Und da dieser Hang mittlerweile massenkompatibel zu sein scheint, kann man sagen: Wir leben in wahrlich rechten Zeiten.
Und ich verachte Putin und sein System eben doch - aber auch die Masche, mit der der Westen sich in alle Windrichtungen auszubreiten trachtet. Ich muss es ja betonen, auch wenn es aussichtslos ist. Man mich eh für unverbesserlich hält. Oder ist diese Masche, dass man den progressiv tickenden Teil der Bevölkerung ständig in die Rolle des Anwalts irgendwelcher Täterfiguren rückt, eine gezielte Maßnahme zur Diskreditierung derer, die immer noch an eine andere Welt glauben wollen? Seht nur, der Linke da drüben verurteilt den Terroranschlag nicht, er sagt, der Westen habe es provoziert! So ein Arschloch! Geh doch nach drüben! Ach ja, so, »Geh doch nach drüben«, hätte der Text damals heißen sollen. Jetzt fällts mir wieder ein.

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