Zauberwort

Zuweilen kommt es mir vor, als sei eine halbe Ewigkeit vergangen, seitdem ich unzählige Stunden durch den Wald geirrt bin auf der Suche nach mir selber. Dabei sind kaum mehr als achtzehn Monate vergangen seither. In den Jahren, in denen ich ein Kind nach dem anderen bekommen hatte, war ich mir irgendwie abhanden gekommen und weil man nach der Geburt der Kinder nicht mehr die Gleiche ist wie vorher, dauerte es zumindest bei mir eine ganze Weile, bis ich wusste, wonach ich überhaupt suchen musste. „Meiner“ half mir zwar bei der Suche, wo immer er konnte, aber am Ende ging es doch nicht ohne die Einsamkeit, die Stille. Und so ergriff ich jede nur erdenkliche Gelegenheit, um durch den Wald zu streifen und nachzudenken. Und zu heulen. Und dem Himmel mein Elend zu klagen. Denn auch wenn ich eine glückliche Ehefrau und Mutter war, ein glückliches Ich war ich nicht.

Ich weiss nicht, wie oft ich so unterwegs war. Ich weiss auch nicht, wie oft ich meinen Frust über die konstante Überforderung, eine gute Hausfrau und Mutter zu sein, aber auch meine Trauer über die konstante Unterforderung, dass ich meine Fähigkeiten nicht einsetzen konnte, zum Himmel schrie. Und zum Glück weiss ich nicht, ob andere Spaziergänger mich jeweils gehört haben. Dass der Himmel mich gehört hat, das weiss ich, sofern man hier überhaupt von Wissen reden kann. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass sich nach der Zeit des Umherirrens eine Türe nach der anderen öffnete. Es war wie im Märchen: Eben noch hatte ich mich gefühlt, als stünde ich vor dem absoluten Nichts und plötzlich waren meine Hände voll mit Gutem. Mit Dingen, die ich nie zu träumen gewagt hätte und die doch genau dem entsprachen, wovon ich stets geträumt hatte. Ich war erfüllt und zufrieden wie noch selten zuvor in meinem Leben, mein Bedürfnis, in den Wald und in die Stille zu flüchten verschwand fast gänzlich und ich wollte nichts anderes mehr, als vorantreiben, was mir da so unvermittelt in den Schoss gefallen war.

Wäre das Leben ein Märchen, dann wäre die Geschichte hier zu Ende. Aber das Leben ist kein Märchen, zumindest keines, in dem man nach Bestehen der Prüfungen glücklich und sorglos in Saus und Braus lebt. Dann schon eher eines jener Märchen, in denen das Gute in falsche Hände gerät – das Pfännchen, das Brei kocht in die Hände einer reichen Frau, die ohnehin genug zu Essen hat, zum Beispiel –  dann geht das Zauberwort vergessen und schliesslich nimmt das Gute so lange kein Ende mehr, bis es nicht mehr gut, sondern einfach nur zu viel und zu belastend ist.

Nun, ich möchte nicht so weit gehen, zu behaupten, das Gute in meinem Leben sei in die falschen Hände geraten, denn das eine oder andere erscheint mir, als wäre es genau auf mich zugeschnitten worden. Was mir aber inzwischen klar geworden ist: Ich habe das Zauberwort vergessen, mit dem ich das Ganze in erträgliche Schranken weisen kann. Ich weiss, dass es dieses Wort geben muss, aber zurzeit ist mir nicht ganz klar, welches es denn ist. Stop? Oder eher Nein? Oder vielleicht auch Mach du doch mal ? Lautet es Das kann ich nicht, oder vielleicht eher Das muss ich nicht? Müsste es heissen Nicht mit mir oder genügt ein kurzes und knappes Morgen dann wieder? Oder geht es am Ende nur noch mit Schluss jetzt. Es reicht. Ich schmeiss den Bettel hin?

Eigentlich ist es ja furchtbar peinlich, dass ich mich nicht mehr an das Zauberwort erinnern kann, wo ich mir doch beim letzten Mal, als ich an diesem Punkt war, fest vorgenommen hatte, es nie wieder zu vergessen. Aber so ist es nun mal mit mir: Ich lerne langsam und vergesse schnell, zumindest wenn es darum geht, die Lektionen des Lebens zu lernen. Und so kommt es, dass meine Sehnsucht nach ein paar einsamen Stunden im Wald wieder wächst. Ob ich dort das Zauberwort finden würde?

Zauberwort



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