Wir tollen Europäer

Der Europäische Kulturgedanke, es gab ihn nie. Stattdessen 700 Jahre Plünderung, Unterwerfung und Mord, um unseren kulturellen Leitanspruch auf Kosten der Völker der südlichen Erdhalbkugel zu untermauern. Das rächt sich nun.

Was wäre, wenn Europa als Kontinent nördlich von Afrika von asiatischen Forschern ‚entdeckt‘ worden wäre? (Prof. Aram Ziai, Uni Hamburg)

Bildtitel: Der Gruß der primitiven Völker - Wikimedia Commons

Bildtitel: Der Gruß der primitiven Völker – Wikimedia Commons

Wir schreiben das Jahr 1492, als Kolumbus Amerika entdeckt. Vorher gab es diesen Kontinent nicht. Zu existieren begann er erst, nachdem ein Europäer seinen geweihten Fuß darauf gesetzt hatte. Dass dort schon seit dem Ende der letzten großen Eiszeit Siedler lebten, zählte nicht. Für die menschliche Zivilisation war Amerika erst gewonnen, nachdem feststand, dass es Europäer sein würden, die das Land beherrschen. Diese längst vergangene Episode beschreibt eindringlich den Zustand unserer Welt bis hin zum heutigen Tag.

Im Portugal des 15. Jahrhunderts wurde damals ein neuer Schiffstyp entwickelt. Portugal, welches bereits 1418 zu den Seemächten aufstieg, brauchte ein Schiff, welches schnell, wenig bauchig und zugleich hochseetauglich war, um Expeditionen durchführen zu können. Damals übliche Handelsschiffen wie die Kogge waren für solch lange Strecken nicht ausgelegt. So entstand ein neuer, hochseetauglicher Bootstyp mit schmalem Bauch, niedriger Wasserverdrängung und bis zu vier Masten, die es ihm ermöglichten, schnell am Wind zu segeln. Die Karavelle war geboren, die ganze Weltmeere durchqueren konnte und mit ihr zugleich globaler Kolonialismus, Sklavenhandel und grenzenloser Reichtum für jene, die bereit waren, am Elend und Leid anderer Menschen mitzuverdienen. Es begann die Zeit weltweiter, Europäischer Vorherrschaft.

Die Herabwürdigung menschlichen Seins

Um in der eigenen Bevölkerung Akzeptanz zu schaffen für die Verbrechen, die im Zuge von Rohstoffplünderung und Sklaverei anderen Völkern zugemutet wurden, mussten die Bewohner dieser Landstriche aus dem Kreise der menschlichen Gesellschaft ausgegrenzt werden. Es begann die große Verachtung anderer Kulturkreise. Sie wurden diffamiert als zurückgeblieben, unterentwickelt, unzivilisiert und primitiv. Begleitet wurde dies zugleich von der Vorstellung, man selbst, also Europa, bilde die Spitze der Entwicklung der Menschheit und sei somit dazu bestimmt, die gesamte, nichteuropäische Welt zu beherrschen, um diese auf Europäisches Entwicklungsniveau zu heben.

Dieses Verhalten ist nicht neu unter den Menschen. Wir neigen grundsätzlich dazu, diejenige Gruppe, zu der wir uns zählen, für die wichtigste zu halten. Damit einher geht zugleich die Annahme, die eigene Gruppe sei anderen Gruppen überlegen. Die Sicht auf die Welt erfolgt daher zwangsläufig aus Sicht der eigenen Gruppe. Man nennt dieses Phänomen Ethnozentrismus und könnte es auch als den kleinen Bruder des Eurozentrismus‘ begreifen. Denn während der Ethnozentrismus sich damit begnügt, sich selbst zu bewundern, geht der Eurozentrismus einen Schritt weiter und glaubt, die ganze Welt erobern zu müssen, um das eigene Kulturmodel anderen Nationen überzustülpen. Nur zu deren Vorteil, versteht sich.

Ergänzt wurde diese Überlegenheitsannahme durch den Glauben an die Überlegenheit der eigenen Technik. Immer bessere Waffen, immer bessere Schiffe, Uhren, Kompasse, Sextanten und vieles mehr sorgten dafür, dass Herrenmensch und Herrschaftstechnologie eine Symbiose eingingen, um ihre Herrschaft über die Welt zu festigen. Eine Symbiose, die bis heute anhält. Europäisch stand für Bildung, für Kultur, für Entwicklung und Fortschritt. Dieses Paradigma kultureller, zivilisatorischer Überlegenheit verfestigte sich im Laufe der Jahrhundert zusehends und eine neue Spielart der Selbstüberhöhung erblickte das Licht der Welt. Der Glaube daran, dass die eigene, anderen überlegene Vollkommenheit sich auch im biologischen Aspekt unseres Seins niederschlagen müsse. Am Übergang vom 16. ins 17. Jahrhundert brachte William Shakespeare jene berühmte Zeilen zu Papier: „Welch ein Meisterwerk ist der Mensch! Wie edel durch Vernunft. Wie unbegrenzt an Fähigkeiten. In Gestalt und Bewegung wie bedeutend und wunderwürdig. Im Handeln wie ähnlich einem Engel. Im Begreifen wie ähnlich einem Gott. Die Zierde der Welt. Das Vorbild der Lebendigen.“

Dass dieses Bildnis auch Pygmäen einschließt, ist eher unwahrscheinlich. Vielmehr entstand im 19. Jahrhundert unter Charles Darwin das theoretische Konzept des Sozialdarwinismus‘. Dieses stuft Menschen auch biologisch als weiter oder weniger weit entwickelt ein. Dass man dabei im weißen Europäer den Apex der biologischen Entwicklungspyramide sah, verstand sich von selbst. Ebenso selbstverständlich entwickelten sich aus dieser Geisteshaltung heraus die Anfänge des Rassismus‘.

Auch wenn Sklaverei und Ausbeutung heute eher im Verborgenen stattfinden, schimmert die Wahrheit doch immer wieder zwischen den Zeilen unseres heutigen, gesellschaftlichen Diskurses durch. Nach wie vor ist die Rede von Entwicklungsländern, primitiven Gesellschaften (Stammesgesellschaften), unterentwickelten Ländern, Schwellenländern, Entwicklungshilfe oder dritte Welt Ländern, in denen man selbst zu heutiger Zeit noch wie im Mittelalter lebe. Warum sollte sich die Welt ausgerechnet in Europa in Orient und Okzident trennen? Die Erde ist eine Kugel und sieht für einen Inder völlig anders aus, als für einen Europäer. Warum ist der Referenzpunkt für die Zeitzonen der Welt in London verortet und nicht in Hongkong? Bezeichnungen wie Naher, Mittlerer und ferner Osten wurden von Mitteleuropa aus gesehen gewählt. Auf jeder Weltkarte befindet sich Europa im Zentrum der Karte. Schulbücher in aller Welt verbreiten die Vorstellungen des Europäischen Kulturgedankens. Wir und unsere Europäische ‚Leitkultur‘, so glauben wir seit Jahrhunderten, seien der Maßstab für die Entwicklung der Menschheit.

Jesus der Eroberer

Der Gedanke an die Überlegenheit der eigenen ‚Rasse‘ machte auch vor den Toren der Kirche nicht halt. Wenn bei uns alles so überlegen war, so musste dies auch für unsere Religion gelten. Die Kirche sah darin eine willkommene Gelegenheit, ihren Einflussbereich zu vergrößern. Zuerst kamen die Soldaten, dann die Missionare. Diese verboten den ‚unterentwickelten‘ Menschen ihre eigene Kultur. Deren Nackheit, Sexualität und Religion waren per se Ausdruck des Bösen. Man beraubte diese Menschen nicht nur ihrer kulturellen Identität, sondern flöste ihnen abstrakte Angst vor dem Bösen ein, um sie in die gewünschten Bahnen lenken zu können. Deren Glaube wurde kurzerhand zum Aberglauben erklärt. Woraus letztlich folgt, dass Glaube und Aberglaube ein und dasselbe sind. Doch diese Scheintrennung wirkt bis heute nach.

Eurozentrismus in heutiger Zeit

Die Zeiten haben sich geändert seit Kolumbus und Marco Polo. Heute nimmt die Welt eher Anstoß daran, wenn Europäer sich zum Nabel der Welt erklären und verächtlich auf andere Nationen herabschauen. Daher verbirgt sich die hässliche Fratze des Eurozentrismus‘ heute hinter der glatten Maske der Demokratie. Heute bringen wir anderen Völkern nicht länger unsere überlegene Leitkultur, wir bringen ihnen Demokratie. Da das eurozentristische Gedankengut wie ein Psychovirus auch Nordamerika und Australien kontaminiert hatte, kann man dort die gleichen Entwicklungen entdecken. Zuerst wurde die Urbevölkerung unterworfen und weitflächig vernichtet. Dann wurde unser Herrschaftssystem diesen Staaten übergestülpt, damit sie, nun endlich demokratisiert, zu unserer europäischen Kulturstufe aufschließen konnten. Auch Australien begann, gleich Amerika, erst zu existieren, als Europäer es entdeckten. Die erste bekundete Sichtung dieses Kontenents erfolgte 1606 durch den Holländer Willem Jansz. Was dann mit den dortigen Ureinwohnern geschah, ist bekannt und überliefert. Wenn die Amerikaner in 239 Jahren 222 Kriege angezettelt haben, dann waren das in Wirklichkeit Europäer, die nach Amerika ausgewandert waren und ihre eigene, eurozentristische Indoktrination dorthin mitgenommen hatten.

Demokratie brachten wir in den vergangenen Jahrzehnten auch in den Kosovo, den Irak, Afghanistan, nach Somalia und Pakistan, mit dem Arabischen Frühling nach Tunesien, Ägypten und Libyen sowie nach Syrien und in die Ukraine. Demokratie ist der Exportschlager schlechthin, so gut, dass auch ‚Uschi, der Russenschreck‘ der Versuchung erlag und den Deutschen Verteidigungshaushalt aufstocken ließ. Bereits 2014 hatte Pfarrer Gauck die Münchner Sicherheitskonferenz mit den Worten eröffnet, Deutschland müsse künftig wieder mehr ‚Verantwortung‘ in der Welt übernehmen. Wenn Obama, erzitternd vor seiner eigenen Erhabenheit, verkündet, man müsse die Welt demokratisieren, dann heißt dies letztlich, dass jene Eliten, die ihn steuern und kontrollieren, den mittelalterlichen Gedanken des eigenen kulturellen Leitbildes nach wie vor in sich lebendig tragen und dazu missbrauchen, ihre eigenen geopolitischen Interessen zu realisieren.

Europa auf dem Prüfstand der Weltgeschichte

Die Welt soll sich entwickeln, solange wir sie kontrollieren und beherrschen. Nachdem wir in diesem Sinne die gesamte Menschheit mit unserer edlen, erhabenen, überlegenen und vor allem demokratischen, Europäischen Leitkultur beglückt haben, stellt diese sich die Frage, ob sie das will. Entwickeln will sie sich, jedoch nicht unter unserer Kontrolle. Daher stehen jetzt erstmals in der Menschheitsgeschichte die realen Vor- und Nachteile unserer Europäischen Kultur im Vergleich zu anderen Kulturen zur Debatte. China entwickelt sich unkontrolliert, Russland entwickelt sich unkontrolliert und Lateinamerika entwickelt sich, weitgehend unkontrolliert. Unser zentrales, Europäisches Kulturmodel droht zum Auslaufmodell zu werden. Das ist der eigentliche Grund hinter den geradezu hysterischen Anfeindungen gegenüber Russland und China. Unsere Eliten haben berechtigte Angst davor, ihren Platz in der Geschichte zu verlieren. Genauer gesagt haben sie ihn bereits verloren und müssen sich nun noch schmerzhaft an die neue Realität gewöhnen.

Denkende Panzer

Wer wie ein Panzer denkt, kann nicht allzu flexibel sein. An Niedertracht nicht zu übertreffen sind die Spezialisten in Amerikanischen und Europäischen Think Tanks dennoch gegenüber dem Intellekt der Russischen und Chinesischen Führung ins Hintertreffen geraten, weil sie außerstande sind, ihr eigenes Denken zu reflektieren. Es sind Akademiker, in der Regel Juristen, Manager und Softwareentwickler, die nur in mathematischen Kategorien zu denken vermögen. Sie verfügen selbst nur über rudimentäre humanistische Bildung und können sich daher nicht erklären, warum das strahlende Bild des Westens in der Welt immer mehr verblasst und einer neuen, noch nicht erkennbaren Kontur weicht. Wie ein empfehlenswerter Dreiteiler von Dr. Hauke Ritz auf Rtdeutsch nahelegt, waren die Superhirne in den Think Tanks offenbar derart von ihrer eigenen Wichtigkeit besoffen, dass sie sie sogar der naiven Überzeugung erlagen, sie könnte über Jahrtausende gewachsene Kulturen von unserem überlegenen westlichen Wertebild überzeugen. Ein Zwölfjähriger glaubt einen Erwachsenen erziehen zu müssen.

Mag sein, dass sie ein bisschen zuviel Wind gemacht haben, um den Job zu bekommen. Mag auch sein, dass sie dabei zuviel versprochen haben, um ihre Karriere zu befördern. Einleuchtend auch, dass sie den Informationsfluss nach oben gedrosselt haben, als sich abzuzeichnen begann, dass ihr Plan so nicht aufgehen würde. Lautet doch eine goldene Regel: „Gehe nicht zum Fürst, wenn Du nicht gerufen wirst.“ Fest steht jedoch auch, dass deren Planungen feststecken, nicht zuletzt, weil der gute Ruf Amerikas dauerhaft in Fetzen hängt, während der weltweite Widerstand gegen deren Plan, einen US- Planeten zu erschaffen, beharrlich wächst. Auch und vor allem in den USA selbst.

Quellen:



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