Wir sind alle Sklaven

Demnächst wird es wieder eine aufrüttelnde Reportage über die hässlichen Seiten des Kapitalismus geben – nur dass das eigentliche Problem wieder nicht benannt werden wird: In der Reihe “Die Story im Ersten” gibt es am 10. September “Sklavenarbeit für unseren Fortschritt”. In der Ankündigung heißt es:

Ob Waschmaschine oder Handy, ob Windrad oder Auto – für Wohlstandsprodukte braucht man seltene Rohstoffe wie Zinn, Wolfram, Tantal oder Gold. Und weil die Nachfrage boomt, strömen in Asien, Afrika und Südamerika Millionen Menschen in den Bergbau und graben die Rohstoffe für die High-Tech-Produkte aus der Erde. Oft illegal, unkontrolliert – unter unsäglichen Bedingungen. Archaisch, wie zu biblischen Zeiten.

Angeblich sollen nicht nur “erschütternde Bilder dieser Ausbeutung” gezeigt, sondern auch Fragen gestellt werden, etwa welche Rolle die Industrie spiele oder gar ob es Auswege gebe? Denn die Nutznießer dieser Ausbeutung seien die Verbraucher in den Industrieländern, weil wegen der billigen Rohstoffe auch Computer oder Handys (und nebenbei: Auch Nahrungsmittel oder Kleidung) billig seien.

Und damit wird dann wieder alles auf die Konsumenten geschoben, als ob sie sich es auchsuchen könnten: Will der mündige Konsumenten denn wirklich diese grässlichen diese Bedingungen akzeptieren?

Einkaufswagen mit Eurosymbol

Wie soll nachhaltiger Konsum im Kapitalismus denn funktionieren?!

Ich könnte schon wieder kotzen, obwohl ich natürlich immer dafür bin, sich solche Reportagen anzusehen: Es ist wirklich unmenschlich, unter welchen Bedingungen Menschen für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen. Aber es ist doch nicht so, dass sich der Ein-Euro-Jobber hierzulande sagt, “na wenigstens müssen die armen Kindern in den Slums von Mexuco City, Rio de Janeiro oder Kalkutta die Reste aus dem Müll wühlen, wenn sie was zu fressen haben wollen, während ich nur im Park den Müll aufsammeln muss, um mir am Wochenende einen Kasten Bier extra leisten zu können.”

Und wer mit Hartz IV abgespeist wird, kann ja schlecht dafür sein, dass Nahrung, Kleidung und Computer nur noch als fair gehandelten Biowaren im gehobenen Preissegment zu Verfügung stehen. Einen bewussten, nachhaltigen Konsum können sich nicht mal deutsche Durchschnittsverdiener leisten, selbst wenn sie es gern tun würden! Es liegt eben nicht an den Leuten wie du und ich, die angeblich mit ihrem Konsumverhalten Einfluss auf die Produktion und Produktionsbedingungen nehmen könnten! Es liegt an der Logik unserer Wirtschaftssystems, an den Mechanismen der Marktwirtschaft, am Zwang, sich für seinen Lebensunterhalt benutzen lassen zu müssen und daran, dass jeder Produzent nicht produziert, um irgendwelche Bedürfnisse (die zweifellos vorhanden sind) zu befriedigen, sondern um Geld zu verdienen, um sein eingesetztes Kapital zu vermehren. Das ist das Gesetz.

Und das gilt, egal, was der mündige Konsument nachfragt. Der fragt nebenbei auch nicht nach menschenunwürdigen Billigjobs, sondern nach vernünftiger Arbeit mit Sinn und gutem Lohn – aber wenn der Markt die nun mal nicht her gibt, dann muss man sich seinen Lebensunterhalt und Lebensinn halt anders verschaffen. Dazu gibt es eine reichhaltige Ratgeberunkultur und jede Menge Ablenkung – beispielsweise das Fernsehen, wo man sich dann kritische Reportagen reinpfeifen kann, in denen kein bisschen verraten wird, wo die Probleme wirklich zu finden und zu lösen wären.

Ganz nebenbei: Was soll eigentlich “unser” Fortschritt sein? Handys und Computer sind ganz gewiss nicht “mein” Fortschritt. Ich habe sie nicht bestellt. Aber wo der Kram schon mal da ist, nutze ich ihn halt. Währe ja blöd, es nicht zu tun, obwohl mir durchaus klar ist, unter welchen Bedingungen die Dinger in China oder sonstwo zusammengeschraubt werden. Daran ändert sich auch nicht die Bohne, wenn ich mir keinen Computer und kein Smartphone mehr kaufen würde. Dann werden die Leute höchsten arbeitslos, was ihre Situation vermutlich nicht verbessert.

Übrigens sind Handys und Computer auch für Menschen in anderen Weltregionen ziemlich praktisch – in Afrika oder Asien haben dank neu entwickelter Billighandys mit Internetzugang endlich Millionen Menschen Zugang zu diesem Medium und können auf diese Weise einfach Kontakt mit ihren entfernten Verwandten halten oder Bankgeschäfte erledigen – es ist im Busch sehr viel einfacher, ein Mobilfunknetz aufzubauen, am besten noch mit Basisstationen, die mit Sonnenenergie betrieben werden, als ein Telefonkabel in die Hütten zu legen. Der Fortschritt ist eigentlich schon für alle da – wenn man es nur wollen würde. Aber während es hierzulande als Fortschritt gilt, dass sich notfalls alle das Herz aus der Brust schneiden lassen würden, damit man es einem zahlungskräftigen Erster-Klasse-Patienten transplantieren kann, wäre es wo anders schon ein Fortschritt, endlich ein bezahlbares Mittel gegen Malaria zu haben, an der noch immer sehr viel mehr Menschen sterben als mit der abgefeimtesten Transplantationsmedizin in den nächsten Jahrhunderten gerettet werden könnten. Nein, mein Fortschritt sähe wirklich anders aus. Der finge damit an, dass man endlich einmal ehrliche Reportagen macht, die den Ursachen der Übel auf den Grund gingen und nicht einfach schreckliche Zustände zeigen, um dann die Moral-Keule auszupacken: “Die armen Menschen! Und dass alles für unsere Billigjeans/Handys/Brathähnchen! Nur, weil ihr Konsumenten so geizig seit! Spendet für Brot für die Welt und kauft gefällig Biogemüse und Bioelekronik aus der Uckermark!”

Nicht, dass ich etwas gegen Biogemüse aus der Uckermark hätte. Aber das nützt den Leuten in Afrika halt auch nichts, solange sie – genau wie wir – nur ein Bestandteil im kapitalistischem Verwertungsprozess bleiben.



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