Wie ich unfreiwillig zur Google-Doctor-Mom mutierte


Eigentlich bin ich kein Fan von dilettantischen Selbst-Diagnosen und Internet-Hysterie.
Jede Mutter, deren Kinder zu später Stunde oder am Wochenende gelegentlich kränkeln, kennt das Dilemma mit dem Internet. Da googelt man nur mal eben schnell nach einem passenden SOS-Hausmittelchen, bis die nächste Apotheke oder der Kinderarzt wieder offen hat, landet in diversen Eltern-Foren und sieht sich am Ende mit lebensgefährlichen Panik-Diagnosen konfrontiert.

Als wir noch in Deutschland lebten, konnte ich über diese hysterischen Internet-Eltern nur lachen. Für Eltern, die Fotos von Hautausschlägen ihrer Kinder machen und diese in sozialen Netzwerken posteten um sich dann durch 784 Kommentare von Laien zu scrollen, hatte ich nur ein verständnisloses Kopfschütteln übrig. Ich war eher der Typ Mutter, der sich von einem Schnupfen nicht aus der Ruhe bringen ließ, sich bei schwerwiegenderen Symptomen an den Kinderarzt ihres Vertrauens wandte und dessen Diagnose und Behandlung nicht in Frage stellte.
Seit wir in Istanbul leben stellt sich das ganze jedoch etwas schwieriger dar.
In der Apotheke bekomme ich nicht problemlos die Medikamente, die ich aus Deutschland kenne und der im Allgemeinen eher leichtsinnige Umgang der Türken mit starken Medikamenten (auch unter Ärzten) stimmt mich nicht unbedingt vertrauensvoll.
Das Protokoll einer verzweifelten Mutter, die so eigentlich nicht NIEMALS enden wollte:

Der 3-Jährige Zwerg wacht auf und weint. Im Halbschlaf wimmert er und reibt sich Wange und Ohr, klagt auf herzzerreißende Weise über "Aua". Nun ja, das Prinzesschen war einige Tage erkältet, hatte starken Schnupfen, der eigentlich gerade am Abklingen war, aber ansonsten zuvor keine Schmerzen gehabt. In der Not gibt Mama den rosafarbenen "Prinzessinnensaft", der Paracetamol beinhaltet, um sie von den Schmerzen zu erlösen.
Nach 2stündigem Händchen halten, streicheln und trösten verlässt Mama den Posten im Kinderzimmer und verfrachtet sich samt Zwerg in die Krankenstation Elternbett, wo das Elend seinen weiteren Lauf nimmt. "Ich muss zum Doktor", schnieft der Zwerg hilflos. Und: "Ich wörde gaaar nich mehr gesuuuund!" Das Mutterherz weint still mit. Mama überdenkt kurz die Möglichkeit, das große Kind zu wecken (morgen wichtiger Test in der Schule), beide Töchter ins Taxi zu verfrachten und ins nächste türkische Krankenhaus zu fahren (Vater ist samt Familienauto noch bis Mittwoch geschäftlich unterwegs, war ja klar....). Der Krankenhaus-Plan wird aufgrund der organisatorischen Hürden erst mal auf morgen verschoben.
Als der Zwerg um 3 Uhr morgens endlich friedlich schlummert, liegt Mama wach und bringt ihr Smartphone zum Glühen. Konsequent werden alle Eltern-Foren umschifft und nur medizinische Artikel gescannt. " Verstopfte Nebenhöhlen mit eventueller Mittelohrentzündung" lautet Mamas Diagnose nach der Sichtung diverser Fachartikel. Bei Kleinkindern in Folge einer Erkältung häufig, aber nicht zwingend gefährlich. Auch Antibiotikaeinnahme sei nicht unumgänglich. Kinderärzte empfehlen in diesem Fall Ibuprofen statt Paracetamol zur Schmerzlinderung, da es eine abschwellende Wirkung aufweist. Mama sucht sich ein passendes deutsches Präparat aus, notiert sich die Inhaltsstoffe um am nächsten Tag nach dem türkischen Pendant in der Apotheke Ausschau zu halten.

Großes Kind ist ausgeruht auf dem Weg zur Schule, Mama sitzt zu Hause und googelt Hausmittelchen. Ein homöopathisches Produkt zur Bekämpfung von Nebenhöhlenentzündungen bei Kleinkindern lässt sie aufhorchen, es kommt auf die Liste für die Apotheke. Sie beschließt nach umfassender Recherche, den Zwerg zusätzlich mit einem Zitronen-Fußbad, einem selbstgekochten Tee und Nasentropfen aus Eigenherstellung zu therapieren. Die nötigen Zutaten werden online im Supermarkt geshoppt (ist ja kein Auto da).
Mama setzt sich selbst ein Zeitlimit von 24 Stunden. Sollte ihr ausgeklügelter 5-Stufen-Behandlungsplan (Ibuprofen, homöopathisches Mittel, Fußbad, Tee, Nasentropfen) bis dahin keine Wirkung zeigen, geht's ab ins Krankenhaus. Zuversichtlich macht sie sich ans Werk.

Die Supermarkt-Lieferung trifft ein. Anis für den Tee gab es nicht. Thymian nur getrocknet. Fenchelsamen und Salbeiblätter werden durch Teebeutel der jeweiligen Sorte ersetzt. Der Tee wird vom Zwerg gnadenlos verschmäht, stattdessen eine heiße Schokolade eingefordert. *hrmpf*.
Nun ja, bleiben ja noch 2 Medikamente, Fußbad und Nasentropfen.

Mama erntet in der Apotheke mit dem Wunsch nach dem homöopathischen Medikament nur ein verständnisloses Lächeln und mitleidiges Kopfschütteln. Auch der gewünschte Ibuprofen-Saft wird nicht geführt. Freudestrahlend überreicht die Apothekerin ein anderes Medikament, das Ibuprofen beinhaltet und verkündet souverän: 3 TL am Tag, das sei genau das Richtige für die 3-Jährige. Mama sieht den Hoffnungsschimmer am Horizont.

Mama kämpft sich durch den türkischen Beipackzettel und wird stutzig, als sie keine Dosierung für Kinder unter 6 Jahren findet. Kinder zwischen 6 und 8 Jahren sollen 1x täglich 1/4 TL einnehmen. Da muss sich die Apothekerin doch vertan haben? Schnell werden die Inhaltsstoffe gegoogelt.
Neben Ibuprofen beinhaltet das Medikament einen Wirkstoff, der in der EU nicht verwendet wird (nur zur Herstellung von Crystal Meth). In den USA wird der Wirkstoff auch eingesetzt, allerdings erst ab 16 Jahren wegen der möglichen Nebenwirkungen wir Schlafstörungen, Halluzinationen und Herzrasen.
Das Medikament wandert in die Tonne.
"Back to the roots" wird zum neuen Motto, Mama setzt nun alles auf Fußbad und Nasentropfen.
Montag, 16.00h:

Mama möchte das medizinische Zitronen-Fußbad in Angriff nehmen und packt hoffnungsvoll das völlig überteuerte, neue Badethermometer aus, das im Supermarkt bestellt wurde. Das "2 Jahre Garantie" Zeichen strahlt ihr entgegen. Die Hoffnung wird jäh zerstört, als sich das supermoderne, digitale Teil im Schildkrötendesign nicht einschalten lässt. Mit Hilfe diverser Utensilien aus dem Werkzeugkasten versucht Mama verzweifelt, den Panzer der scheinheilig lächelnden Schildkröte zu knacken um einen möglichen Batterieaustausch vorzunehmen. Aussichtslos. (Nicht weil Mama zu blöd ist, Batterien zu wechseln, sondern weil das Innenleben nicht nur verschraubt, sondern auch verklebt ist).
Das Fußbad wird gestrichen.
Dann halt nur die Nasentropfen.
Montag, 17.00h:

Der Zwerg sitzt fröhlich spielend in der Badewanne (zum Glück war da noch das "Erkältungsbad für Kinder" aus Good Old Germany im Schrank). Währenddessen versucht Mama in der Küche, Nasentropfen selbst herzustellen, die den Weg zu den verstopften Nebenhöhlen frei machen sollen. Im Rezept werden frische Kamillenblüten empfohlen und Honig vom ortsansässigen Imker.
Naja, der türkische Honig aus dem Supermarkt wird schon nicht verkehrt sein. Großer Schreck beim Öffnen der "Kamillenblüten" (es gab nur dieses eine Kamillenpräparat im Online-Sortiment des Supermarktes). Es handelt sich um Instant-Kamillentee eines Babynahrung-Herstellers, der hauptsächlich nach Zucker duftet. Da das Zeug nicht zum Trinken, sondern für die Nase sein soll, springt Mama über ihren Schatten und brüht die Zuckerstückchen auf. Es wurde ja im Internet ohnehin das Süßen bis zur Entstehung einer Sirup-ähnlichen Masse empfohlen.

Der Zwerg hüpft bestens gelaunt auf dem Sofa herum (Moment mal, müssten Erschütterungen bei Nebenhöhlenentzündung nicht sehr schmerzhaft sein?!) und pfeift sich mit Hilfe des im Supermarkt bestellten Baby-Nasensaugers den Kamillen-Sirup rein. Leider weniger ins Nasenloch, als aufs Sofakissen und natürlich in den Mund (schmeckt ja auch super-lecker nach Zucker).
Mama ist mit ihrem Latein am Ende.

Mama legt die Füße hoch würde gerne die Füße hochlegen, hat aber endlich Zeit zu arbeiten (Homeoffice ist soooo schön!) während der Zwerg schmerzfrei selig schlummert.

Ein dreifaches Hoch auf professionell umgesetzte Selbst-Behandlung!


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