Wer bin ich, das Leben eines anderen einzuschätzen?

Es gibt so viele gute Gründe für die staatliche Gewährung der Sterbehilfe, wie es gute Gründe dagegen gibt. Der Ex-MDR-Intendant Reiter hat das wichtigste philosophische Problem (Camus) wieder mal ins Blickfeld gerückt: Leben oder aufhören damit? Und falls man aufhören möchte, kann das nicht jemand anderes übernehmen?

Wer bin ich, das Leben eines anderen einzuschätzen?

Foto: Fotolia/Laz'e-Pete

Es gilt heute als fortschrittlich, innovativ und avantgardistisch, sich für die Sterbehilfe auszusprechen. Ich habe das in der Vergangenheit auch oft getan. Mit seinem Bekenntnis zur Liberalisierung der aktiven Sterbehilfe schockt man ja so herrlich schön. Man rüttelt an alten Konventionen, die man als überlebt tituliert und tut so, als sei eine neue Zeit heraufgezogen. Gerade als junger Mensch findet man Freude daran. Gegner der Sterbehilfe gelten hingegen gleich als reaktionär, antiquiert und, gewollt oder nicht, vom Christentum beeinflusst. Wer heute noch sagt, dass man jedem (menschlichen) Leben mit absolutem Respekt entgegentreten sollte, dem zeigt man den Vogel.

Es soll womöglich eine Lockerung hin zur aktiven Sterbehilfe geben. Eckpunkte hierzu sollen diese Woche von politischen Gremien präsentiert werden. Eine Kommentatorin schreibt irgendwo - ich weiß wo, will den Namen dieser »Zeitung« in diesem Text aber nicht erwähnen -, dass das gut so sei. Denn »die heutigen Gesetze bilden nicht mehr ab, was die Gesellschaft über das Thema denkt.« Ist das so? Ist es tatsächlich so einfach? Gibt es nicht etwa auch eine höhere Moral? Ist Zeitgeist gleich Maßstab? In vielen Dingen sicherlich. Aber überall? Wenn es plötzlich einen Konsens darüber gäbe, dass erzwungener Sex nicht verwerflich sein sollte, lockert man dann die Gesetze, die die Vergewaltigung als Straftatbestand definieren? Ist die Ansicht darüber, was und bis zu welchem Grade von Gesundheit ein Menschenleben wert ist, auch mit dem Zeitgeist verhandelbar?
Ich kann mir eine Gesellschaft, die die aktive Sterbehilfe auch unter strengsten Auflagen genehmigt, nicht als eine Gesellschaft vorstellen, die in irgendeiner Weise besser oder glücklicher wäre. Außerdem glaube ich nicht daran, dass eine solche Liberalisierung nicht auch ein ganzes Heer von Einzelfällen produziert, in dem Familienangehörige allzu leicht abwinken und sagen: »Lass uns Oma aufgeben, es war so schwer zuletzt.« Das verurteilte ich nicht mal. Erschöpfung ist menschlich und ich würde vielleicht nicht anders reagieren.
Ich weiß sehr wohl, was es heißt, einen leidenden Menschen, der langsam in den Tod geht, zu ertragen. Ich kümmerte mich vor einigen Jahren um den krebskranken Mann meiner Mutter. Er wimmerte häufig und schrie, er rief meinen Namen und bat darum, dass ich ihm den Schmerz nehme. Aber mehr als eine Ladung Morphin war nicht drin. Irgendwann half auch die nicht mehr. Er phantasierte dafür rege. Das Opiat hatte ihn im Griff. Ich dachte damals oft an die Schreie von Verwundeten, die im Niemandsland zwischen den französischen und deutschen Gräben lagen und denen man aus der Ferne einen Gnadenschuss gab. Die Leidensrufe ließen keine andere Wahl. Man konnte ja nicht den ganzen Tag mit Gehörschutz im Graben sitzen. Wenn man ein Ende setzen könnte, dachte ich mir, ganz legal und gesellschaftlich anerkannt, warum denn nicht? Besser als hilflos danebenstehen und keine Tränen mehr zu haben. Mein Mitleid war schon lange aufgebraucht. Woher nimmt man so viel Mitleid? Irgendwann ist es ausgeschöpft. Man wird leer. Warum also keine Gnade walten lassen, ihn »hinübergeleiten«? Eine Spritze, die Hand halten, da sein und dann erfolgt die Erlösung für beide Seiten?
Doch dann wurde er wieder ruhig, sprach mit mir, war lustig und voller Zuversicht. Wenigstens noch ein Jahr wollte er durchhalten. Er erzählte mir gelegentlich von seiner Vergangenheit. Seinen Reisen. »Wie haben die Löwen gespielt, Roberto?« Wir freuten uns über einen Sieg. Viele gab es zu jener Zeit nicht. In diesen Momenten schämte ich mich meiner Gedanken. Was habe ich mir angemaßt, über die Qualität seines schmerzhaften Lebens zu urteilen? Wer bin ich, das Leben eines anderen einzuschätzen? Er starb an einem Montag im Krankenhaus. Von alleine. Unter Schmerzen. Ich sah seinen Leichnam. Er lag da ohne  Schläuche und Spritzen, ohne medizinisches Arbeitsmaterial und Schmerzapparaturen. Ohne dass er Philosoph war, hat mir sein Leid Demut gelehrt. Sterbehilfe? Nein, ich bin dagegen. Man kann Leidensgeschichten, die man als Zuschauer erlebt, dazu gebrauchen, um sich für die Sterbehilfe auszusprechen. Ich habe das Gegenteil daraus gelernt.
Klar, ich weiß, Sterbehilfe bedeutet ja auch, dass sich der Patient selbst entscheiden muss. Wie lange wird es aber dauern, bis man einen Vormund darüber entscheiden lässt, weil der Patient selber nicht mehr befinden kann? Und dann bin ich kulturpessimistisch genug, um zu fragen: Wann werden Sozialbehörden mitmischen, die ein Ableben aus Kostengründen befürworten? Wir sind hier immerhin in Deutschland und da gilt immer noch, Kosten und Nutzen säuberlich gegeneinander abzuwägen. Wird sind so roh geworden in unserem Fortschritt. Deshalb befürchte ich auch diese Seite dieser Grundsatzfrage. Leben und Tod sind ökonomische Fragen geworden. Sterbehilfe ist insofern für den im modernen Wirtschaftsliberalismus gemachten Menschen auch eine »Lebenseinstellung«. Was nützt mir und wenn ja, wieviel kostet es?
Das sind aber nur »organisatorische« oder strukturelle Gründe meiner Ablehnung. Weitestgehend bin ich aus moralischen Aspekten dagegen. Jedes Leben ist ein Leben. Schmerz lindern ist wesentlich, palliative Pflege ist notwendig. Die Würde des Schmerzes tragen, etwas was Johannes Paul II. als Botschaft in die Welt transportierte, ist unnötig und pathetischer Unsinn. Aber jemanden künstlich in den Tod führen, halte ich für einen Akt, den man als Mensch am Menschen nicht begehen darf. Das ist die finale Grenze. Unverhandelbar. Wer sagt, der stirbt doch sowieso, der hat nichts verstanden. Das ist keine Ethik mehr, sondern Utilitarismus oder Nihilismus. Die absolute moralische Leere. Wer sich allerdings selbst zu Tode bringt, den verurteile ich nicht. Wer das jedoch nicht selbst tun kann, mit dem bin ich niedergeschlagen, möchte daraus aber nicht ableiten, dass er ein Recht auf Tötungshilfe hätte. Das führt zu weit. Der Respekt vor dem Leben geht verloren.
Man wird meine Einstellung dazu unter progressiven Lesern nicht verstehen. Ich verstehe wiederum nicht, wie man sich nur als progressiv einschätzen kann, wenn man zivilisatorisch Rückschritt hält. Sie werden sagen: »Bist du jetzt Katholik geworden?« Nein, aber ich sicherlich katholisch sozialisiert, auch wenn ich weder an Kirche noch Gott glaube. Indessen der Respekt vor dem Leben des Tieres immer mehr gesellschaftliche Berücksichtigung findet, sagt derselbe Zeitgeist, dass es menschliches Leben geben könne, das eigentlich nicht mehr lebenswert ist. Welche Prioritäten haben wir noch? Machen wir es uns als Gesellschaft nicht zu einfach?
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