Wenn Spinner Spinnen jagen

Der geschätzte Sven vom ‚Zwillingswelten‘-Blog hat vor einigen Wochen die Blogparade #Daddyrules gestartet. Väter sind aufgerufen, darüber zu schreiben, was sie besonders stolz macht beziehungsweise bei was ihnen niemand das Wasser reichen kann. Das Thema klingt auf den ersten Blick leichter, als es tatsächlich ist. Ohne billig nach Komplimenten heischen zu wollen, fällt mir tatsächlich auch nach längerem Überlegen kaum etwas ein, bei dem ich mich in der Familie für unentbehrlich halte (Wer mich mal dabei beobachtet hat, wie ich mit einem Bohrer hantiere, stimmt mir sicherlich zu.).

Aber etwas gibt es doch, das mich in der Familie unverzichtbar macht: Spinnen! Das Verhältnis zu ihnen ist bei uns klassisch gegendert. Die Freundin und die Tochter haben panische Angst vor den ungeliebten Achtbeinern. Der Sohn hat lediglich eine gesunde Abneigung, aber ihm mangelt es noch an Geschicklichkeit, die Spinnen einzufangen. Daher obliegt mir das ehrenvolle familiäre Amt des Spinnenfängers. Und davon handelt die folgende Geschichte.

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Räume nach dem Abendessen in der Küche die Spülmaschine ein, während die Freundin im Schlafzimmer bügelt. Plötzlich gellt durch die Wohnung ein schriller Schrei, gefolgt von dem Ausruf: „Spinnenalarm!“ Kurz danach erscheint die Tochter aufgeregt in der Küchentür. Atemlos erklärt sie, im Schlafzimmer befände sich eine Spinne. Mit den Händen deutet sie dabei einen Umfang an, der eher dem Ausmaß eines properen Meerschweinchens als einer durchschnittlichen westeuropäischen Spinne entspricht.

Spinne. Freundlich.

Spinne. Freundlich.

Bewaffne mich mit einem Papiertaschentuch und begebe mich ins Schlafzimmer. Schaue mich um, kann aber – zu meiner eigenen Erleichterung – keine meerschweinchengroße Spinne entdecken. Die Freundin steht neben dem Bügelbrett und zeigt mit weit ausgestrecktem Arm auf die rechte hintere Ecke des Kleiderschranks, wo er an die Wand schließt.

Nach etwas längerem Suchen und erst als ich mich auf knapp 20 Zentimeter angenähert habe, sehe ich die Spinne. Es ist eine kleine Zitterspinne mit stecknadelkopfgroßem Körper und Beinchen mit einer Länge von ungefähr vier Millimetern.

Will gerade in Anlehnung an die Spinne aus Biene Maja ausrufen „Das ist aber eine kleine Thekla“. Besinne mich gerade noch eines Besseren. Das letzte Mal, als ich einer Spinne einen Namen gab, tat sie der Freundin und der Tochter so leid, dass ich sie nicht töten durfte. Ich musste sie in einem Glas fangen, um sie dann im Hof in die Freiheit zu entlassen. Nur bei namenlosen Arachnoiden habe ich die Lizenz zum Töten.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich empfinde keine klammheimliche Freude daran, die achtbeinigen Eindringlinge ins Jenseits zu befördern. Aber die Spinne lebend zu fangen, bedeutet einen erheblich höheren Aufwand und die Wahrscheinlichkeit, dass die Spinne entwischt, ist ungleich größer als bei einer „Kill Mission“.

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Die Freundin fixiert die Spinne mit starrem Blick. Es ist nicht ganz klar, ob sie versucht, die Spinne zu hypnotisieren, oder ob sie selbst von der Spinne hypnotisiert wurde. Der Sohn beäugt inzwischen die Spinne mit kindlicher Neugier. Er bittet mich, die Spinne lebend zu fangen, damit er sie in seine Explorer-Becherlupe stecken und genauer inspizieren kann. Schlage ihm die Bitte aus den oben genannten Gründen ab.

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Schicke den Rest der Familie aus dem Zimmer, bevor ich mit dem Einfang-Prozedere starte. Wenn ich die Spinne nämlich nicht sofort erwische und sie sich aus dem Staub macht, bricht bei Freundin und Tochter eine Panik aus, die allenfalls mit dem Aufruhr beim Untergang vergleichbar ist. Dies gilt es unter allen Umständen zu vermeiden.

Als alle den Raum verlassen haben, atme ich mehrmals tief durch und schließe die Augen. Versuche, mich in einen meditativen Zustand wie Mister Miyagi aus ‚Karate Kid‘ zu versetzen, bevor er mit den Essstäbchen Fliegen in der Luft fängt. Überlege kurz, ob sich vielleicht der Krähen-Tritt aus dem gleichnamigen Film eignet, um die Spinne zur Strecke zu bringen. Habe jedoch Schwierigkeiten, das Gleichgewicht auf einem Bein zu halten. Breche das Vorhaben ab.

Nehme stattdessen das Taschentuch in die rechte Hand und nähere mich vorsichtig der Spinne. Mit der Präzision eines Ninjas, der mit verbundenen Augen auf Flaschenhälsen balanciert, schnellt meine Hand nach vorn und greift nach dem Achtbeiner. Möglicherweise habe ich meine Ninja-Fähigkeiten leicht überschätzt. Verfehle die Spinne knapp und sie huscht flink hinter den Schrank.

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Diese unschöne Entwicklung der Ereignisse stellt mich vor ein großes Dilemma. Einerseits musste ich der Freundin schon vor Jahren hoch und heilig versprechen, sie niemals aber auch wirklich niemals anzulügen, falls ich eine Spinne nicht gefangen habe. Dies hatte ihr Vater früher immer gemacht, was zu unschönen Erlebnissen führte, wenn die Spinne nach kürzester Zeit wieder auftauchte. Andererseits weiß ich aber, dass wir heute Nacht nicht im Schlafzimmer nächtigen werden, sollte ich zugebe, dass mir die Spinne entwischt ist.

Überlege mir daher einen rhetorischen Taschenspielertrick. Trete vor die Schlafzimmertür, knülle das Taschentuch zusammen und erkläre selbstbewusst: „Die Spinne ist weg!“, was streng genommen – und darauf lege ich Wert – der Wahrheit entspricht.

Die Freundin ist allerdings misstrauisch und beäugt mich kritisch. „Heißt das, du hast sie gefangen?“, will sie wissen. Diese Frage stellt meine Wahrheitstreue vor eine recht große Herausforderung. „Ich bin dabei“, erkläre ich mit gespielter Souveränität.

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Versuche es mit einem philosophischen konstruktivistischen Gedankenexperiment. Vielleicht handele es sich um Schrödingers Spinne und sie sei damit tot und lebendig, so lange wir nicht nachschauen. Somit sei sie wenigstens halbtot und das sei doch schon mal ein Teilerfolg. Die Freundin schaut mich an, als habe ich den Verstand verloren. Auch meine Vermutung, die Spinne habe sehr wahrscheinlich ob der Aufregung einen Herzinfarkt erlitten, überzeugt sie nicht.

Resolut ruft sie: „Die Spinne muss weg!“ Klingt ein wenig wie 1989 die Parole auf den Protestmärschen in der untergehenden DDR als die Demonstranten skandierten: „Die Mauer muss weg!“ Selbstverständlich sind die beiden Situationen nicht miteinander vergleichbar. Der Fall der Mauer war damals wesentlich realistischer als heute der Fang der Spinne.

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Erkläre, dass ich die Spinne mit dem Staubsauger hinter dem Schrank hervorsaugen würde. Der Sohn solle mir assistieren und mit der Taschenlampe leuchten. Hellauf begeistert holt er seine Explorer-Stirnlampe. Er findet es toll, dass wir auf Expedition gehen wie echte ‚Arschälogen‘.

Mit dem dünnen Rohr-Aufsatz schaffen wir es schnell, die Spinne einzufangen. Stolz vermelden wir bei Freundin und Tochter den Vollzug unserer Mission. Die Tochter will wissen, ob die Spinne nicht wieder aus dem Staubsaugerrohr klettern könne.

Lachend sage ich, dass ich ja ein paar Kieselsteine aufsaugen könnte, um die Spinne zu erschlagen, und danach den Staubsaugerbeutel in der Spüle verbrennen. Freundin und Tochter nicken begeistert und geben sich erst zufrieden, als ich dieses Vorhaben in die Tat umgesetzt habe.

Nachdem ich die Asche entsorgt habe, sinniere ich in einem Anflug von geistiger Umnachtung darüber, ob es sich bei dem Spinnchen möglicherweise um ein Baby gehandelt hat, deren Mama und Geschwister hinter dem Schrank leben. Fahre, inzwischen von allen guten und schlechten Geistern verlassen, fort, ich hätte erst kürzlich in einem Internet-Forum gelesen, dass jeder Mensch in seinem Leben bis zu zehn Spinnen unbemerkt im Schlaf verschluckt. Die Freundin schaut mich kreidebleich und mit weit aufgerissenen Augen an.

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Um es kurz zu machen: Wir schlafen seither auf einer alten Luftmatratze im Wohnzimmer. Das Schlafzimmer haben wir den Spinnen überlassen. Sie fühlen sich sehr wohl.

Meine Aufgabe ist es, ab und an frische Klamotten aus dem Kleiderschrank zu holen. Und dabei kann mir in der Familie niemand das Wasser reichen!


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