Wenn der Auftraggeber seinen Auftragnehmer verrät

15. Dezember 2014 / SRK / 0 Comments

giftaffeAls “Giftaffe” wird in seinen Kreisen ein überaus effektiv arbeitender Auftragsmörder aus Taiwan bezeichnet. “Der Hai von Shinjaku – das ist dagegen der Spitzname des Tokyoter Oberkommissars Samejima. Seinen Anerkennung ausdrückenden Spitznamen hat jener wegen seines kompromißlosen Vorgehens gegen das organisierte Verbrechen (die Yakuzas) erhalten. Dieses aber führte auch dazu, daß er bei Beförderungen übergangen und zur Erledigung drittrangiger Aufgaben ins Revier Shinjaku abgeschoben wurde. Im vorliegenden Roman von Arimasa Osawa treffen dort nun beide Protagonisten eher zufällig aufeinander und es beginnt ein gnadenloser Kampf auf Leben und Tod, ein Kampf um Idealismus und Ehre. Um jedoch Handlung, Hintergründe und Zusammenhänge besser verstehen zu können, sollte der deutsche Leser wissen, daß das japanische Original bereits im Jahre 1991 erschienen ist.

Der strafversetzte Oberkommissar Samejima (ein Mittdreißiger, der mit einer 23jährigen Rocksängerin liiert ist) ist eingangs nur damit beauftragt, Kleinstdealer – also diejenigen am unteren Ende des organisierten Verbrechens – zu beschatten und beweiskräftig zu überführen. Und er muß daneben noch einem anderen Dezernat bei der Observation einer illegalen Spielhölle assistieren.

Dabei fällt ihm ein Verdächtiger besonders auf, er folgt diesem, es kommt auch bald zu einer Konfrontation. Und hier stellt sich heraus, daß dieser Mann kein Spielsüchtiger ist, sondern ein Kriminalist aus Taiwan namens Guo Rongmin. Der weilt allerdings nicht offiziell in Japan, sondern ist – mit Wissen seiner heimischen Vorgesetzten – auf eigene Faust auf der Suche nach einem Auftragsmörder, in Gangsterkreisen nur Giftaffe genannt. Beide Kriminalisten finden, wohl wegen ihrer ähnlichen Art, Gefallen aneinander. Guo informiert Samejima über die Hintergründe seines Aufenthaltes, letzteren reizt diese auch für ihn eher “nebenberufliche” Aufgabe und er begibt sich nun ebenfalls auf die Suche nach dem “Giftaffen”. Wobei nur Guo ahnt, wer sich Giftaffe wirklich verbergen könnte.

Samejima seinerseits vermutet recht bald in diesem Fall Querverbindungen zu mächtigen japanischen Gangstersyndikaten. Und so ist es letztlich auch: Giftaffe, oder Wen Duyuan, war einst – wie Guo Rongmin – Angehöriger einer taiwanesischen Spezialeinheit. Nach dem Armeedienst wurde Guo Polizist, während Wen als armer Leute Kind sich durchs Leben schlagen mußte. Das machte ihn ansprechbar für ein Angebot taiwanesischer Gangsterbosse. In der Folge wurde er zum effektivsten und auch nichtfaßbaren Auftragsmörder seines Landes. Bis… eines Tages ein Auftraggeber namens Ye ihn verriet und Wens Familie diesem Verrat zum Opfer fiel. Wen kannte von nun nur noch ein Ziel: Rache nehmen und diesen Verrat zu ahnden. Auch wissend, daß er wegen eines verschleppten Leidens wohl nicht mehr lange zu leben hat.

Er kann den verräterischen Gangsterboß in Japan aufspüren, wo selbiger in enge Geschäftsbeziehungen zu den Tokyoter Jakuzas treten will. Dieser Boß weiß, daß Giftaffe ihm dicht auf den Fersen ist; die Japaner helfen ihm daher beim Untertauchen.

Das ist die Gelegenheit für Samejima, endlich wieder einmal richtig ermitteln und vor allem, sich die Führungsebene des organisierten Verbrechens vornehmen zu können. Gemeinsam mit Guo kommt er Giftaffe immer näher, und zugleich dem taiwanesischen Boß und seinen japanischen Geschäftspartnern. Die beiden Kriminalisten ermitteln überaus unkonventionell, dafür aber erfolgreich. Auch wenn sich nun die Mordfälle häufen. Giftaffe beseitigt jeden Gangster, der sich ihm auf der Suche nach seiner Zielperson in den Weg stellt. Daher fahndet nicht nur die Polizei nach ihm, sondern auch das Tokyoter Gangstersyndikat. Doch… nur zwei Menschen wissen, wie Giftaffe aussieht… Samejimas Ziel besteht vor allem darin, einen Bandenkrieg zu verhindern.

Zu diesem Hauptstrang der Erzählung gesellt sich recht früh ein Nebenstrang, der scheinbar nichts oder nicht viel mit der eigentlich Geschichte zu tun hat. Nami, Kind chinesischer und japanischer Eltern, hat es aus der Volksrepublik China nach Japan verschlagen. Dort fristet sie ihren Lebensunterhalt in einem Klub, wo sie männlichen Gästen orale Dienstleistungen anzubieten hat. Hier erlebt sie, wie der überaus brutale Klubbesitzer dem neuen Hilfskellner Yang, wohl ein sprachunkundiger chinesischer Emigrant, demütigt und mißhandelt. Sie empfindet Mitleid, Solidarität und will Schlimmeres verhüten. Doch, es kommt anders. Yang hat den Klubbesitzer getötet. Nami nimmt Yang mit zu sich nach Hause. Recht bald offenbart Yang sich ihr, gibt seine Identität preis und auch sein Ziel hier in Tokyo. Die Frau empfindet für Yang Liebe und bietet ihm ihre umfassende Hilfe an. Die Yakuzas kommen ihrerseits über die Vorfälle in der Bar auf Yangs Spuren; wissen aber noch nicht, um wen es sich bei ihm wirklich handelt… Yang, das ist Wen Duyuan, der Giftaffe, oder eigentlich Lin Zhengsheng…

Und nun beginnen die Wettläufe: die der Polizei und der Yakuza nach Giftaffe, dessen nach Ye und die Yakuza-Bosse. Immer mehr Leichen pflastern den Weg Giftaffes, obwohl nicht wenige unsichtbar entsorgt werden. Zu Beginn der letzten Etappe bittet Wen Nami, ihn diesen Weg allein gehen zu lassen. Doch Nami fürchtet um dessen Gesundheit und sie will entgegen Wens Willen diesem illegal Medikamente besorgen. Das ist ein Fehler, denn dadurch gerät Nami in die Gewalt der Gangster, die sie bestialisch foltern und die auf diese Weise Wen in eine Falle locken wollen…

Es kommt zu einem großen “Show down”, dessen Ausgang der Leser aber doch selbst entgegenfiebern sollte.

Diese atemberaubende Kriminalgeschichte besticht nicht nur wegen der bis zuletzt höchstspannenden Story aus einem dem Mitteleuropäer doch sehr fremden Kulturkreis. Sie vermittelt “zwischen den Zeilen” und teilweise sehr direkt Wissenswertes über dortige und auch dort wieder sehr verschiedene Lebensweisen, über zwischenmenschliche private und dienstliche Verhaltensweisen, über Strukturen und Ranggefüge in den Polizeien und den Gangstersyndikaten. Gezeigt wird auch, wie man sich im ostasiatischen Großraum verständigen kann, ohne die Sprache des anderen zu verstehen; das Aufmalen chinesischer Schriftzeichen ist dafür heute wie früher gängiges Hilfsmittel.

Es geht wesentlich darum zu zeigen, was den verschiedenen Protagonisten wichtig ist, was in ihren Gesellschaftsordnungen wichtig ist: Berufsethos, Berufsehre, obwohl dortige Polizisten nicht minder korrupt sein können wie anderswo auf der Welt. Es geht aber auch um etwas ähnliches in Gängsterkreisen; denn selbst diese haben einen Ehrenkodex, in dem Loyalität eine wichtige Rolle spielt und Verrat strafwürdig ist.

Insofern zeichnet der Autor den Auftragsmörder Giftaffe nicht als seelenlosen Tötungsautomaten, sondern als Menschen mit allen menschlichen Gefühlen und auch Idealen. Daher bringen sogar die beiden Polizisten Samejima und Guo ihm trotz allem Respekt entgegen.

Ein Nachwort von Peter Münder bereichert diesen offenen, ehrlichen und den Leser nicht schonenden – und zugleich informativen – Thriller noch zusätzlich. Münder vertieft Hintergründe und auch Zusammenhänge, wie sie Ende der 1980er Jahre für Japan, Taiwan und für die Volksrepublik China galten. Er weist aber ebenso darauf hin, daß sich seither sowohl die Gesellschaft als auch das organisierte Verbrechen weiterentwickelt haben.

Siegfried R. Krebs


Arimasa Osawa: Giftaffe – Der Hai von Shijuku. Kriminalroman. Aus d. Japan. v. Katja Busson u.m. einem Nachwort von Peter Münder. 448 S. Brosch. Pendragon Verlag. Bielefeld 2014. 13,99 Euro. ISBN 978-3-86532-417-7

[Erstveröffentlchung Freigeist Weimar]


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