Warren Buffet: Ein Mirabeaumirage im Ancien Régime des Spätkapitalismus?

Während in der deutschen Politik das grüne und rote Eurobonditen-Gesindel die Geldbörsen des Kleinen Mannes unsicher macht (unterstützt von einer Reihe von Schwarzen und sogar einigen Blau-Gelben), begeben sich jenseits des Atlantiks unerhörte Dinge: Ein Millionär fordert den Staat auf, ihm höhere Steuern abzunehmen:
"USA: Der Patriot aus der Prärie. US-Milliardär Warren Buffett will mehr Abgaben zahlen und belebt die Debatte um Steuergerechtigkeit" meldet die Märkische Allgemeine (etwas verspätet) heute, am 23.08.2011. Bereits am 15.08.2011 hatte SpiegelOnline getitelt:
"US-Politik. Multimilliardär Buffett will höhere Steuern für Reiche"
Hat man so etwas jemals in der Geschichte gehört, dass die Reichen Geben für seliger halten denn Nehmen? Sehen wir hier ein Zeichen der nahenden Endzeit, wie sie die Johannes-Apokalypse vorhersagt? (Müsste sie mal lesen, doch leider fehlt mir die Zeit - und das tiefere Interesse.)
 Dem SPON-Bericht verdanke ich den Link zu Warren Buffets Gastbeitrag in der New York Times vom 14.08.2011: "Stop Coddling the Super-Rich":
"Our leaders have asked for “shared sacrifice.” But when they did the asking, they spared me. I checked with my mega-rich friends to learn what pain they were expecting. They, too, were left untouched. While the poor and middle class fight for us in Afghanistan, and while most Americans struggle to make ends meet, we mega-rich continue to get our extraordinary tax breaks. ..... If you make money with money, as some of my super-rich friends do, your percentage may be a bit lower than mine. But if you earn money from a job, your percentage will surely exceed mine — most likely by a lot. ..... Back in the 1980s and 1990s, tax rates for the rich were far higher ..... .  I know well many of the mega-rich and, by and large, they are very decent people. They love America and appreciate the opportunity this country has given them. Many have joined the Giving Pledge, promising to give most of their wealth to philanthropy. Most wouldn’t mind being told to pay more in taxes as well, particularly when so many of their fellow citizens are truly suffering. ..... My friends and I have been coddled long enough by a billionaire-friendly Congress. It’s time for our government to get serious about shared sacrifice."
Ähnlich wie man schon im 18. Jahrhundert im revolutionären Frankreich die ökonomische Rolle der Unterschicht als die eines Lastesels klerikaler und aristokratischer Fettlebe verstand, verspürt wohl auch Warren Buffet ein gewisses Unbehagen an seinem Status als Empfänger eines (zum allergrößten Teil) leistungslosen Einkommens (obwohl ihm dieser Begriff und diese Vorstellung fremd sein dürfte).
Eine Massenbewegung von Superreichen im Kampf gegen die eigene steuerliche Privilegierung ist wohl noch nicht daraus geworden ("Nun sucht er – ein zähes Geschäft – Gleichgesinnte für seinen Steuervorstoß. Einen hat er bereits gefunden, Henry Bloch ..." schreibt die Märkische Allgemeine dazu), aber auch zu Zeiten des Grafen Mirabeau (genauer: Gabriel de Riqueti, comte de Mirabeau) war es nur ein kleiner Teil des Adels, der freudig der eigenen Entmachtung zustimmte und damit den Beginn der französischen Revolution markierte.
Während bei uns schon die Propagandamaschinerie der Kapitalbesitzerinteressen gegen mögliche Steuererhöhungen (durch eine eventuelle Rot-Grüne Regierung nach der nächsten Wahl) anläuft, kommen die Granateneinschläge der reichen Selbstbesteuerer immer näher. Genau wie am Ende des 18. Jahrhunderts marschiert die unerhörte Revolution von Westen nach Osten: schon hat das Feuer auf Frankreich übergegriffen.
Unter der Überschrift "Französische Milliardäre wollen Euro retten" vermeldet heute das Handelsblatt:
"Nach US-Multimilliardär Warren Buffett wollen jetzt auch superreiche Franzosen wie L'Oréal-Erbin Liliane Bettencourt einen Sonderbeitrag in der Schuldenkrise leisten. „Wir sind uns bewusst, dass wir vom französischen Modell und vom europäischen Umfeld in vollem Maße profitiert haben. (...) Wir wollen dazu beitragen, es zu erhalten“, schrieben 16 Wirtschaftslenker und andere reiche Franzosen in einem am Dienstag vom Nachrichtenmagazin „Le Nouvel Observateur“ veröffentlichten Beitrag. Für die vermögendsten Franzosen solle deswegen ein Sonderabgabe mit „vernünftigem Ausmaß“ eingeführt werden. Sie müsse so kalkuliert werden, dass es nicht zu unerwünschten Nebenwirkungen wie einer verstärkten Steuer- oder Kapitalflucht komme. "
Soll ich mich darüber freuen? So ganz gelingt es mir nicht, zumal dann, wenn ich den WELT-Meinungsartikel "Der Staat ist von Natur aus Geldverschwender" des Management-Beraters Reinhard K. Sprenger, gleichfalls von heute, lese. Zwar schwätzt der auch einigen Unsinn, wenn er schreibt:
"Niemand hindert Herrn Buffett und seinesgleichen daran, einen Großteil ihres Geldes dem Staat freiwillig zu überweisen. Dazu braucht man keine Steuer; dazu muss man nicht Freiheit durch Zwang ersetzen; dazu muss man nicht die Freude des Gebens mit der Notdurft des Nehmens tilgen. Er könnte – besser noch – sein Geld gezielt für spezielle Zwecke einsetzen und damit wahrscheinlich mehr Wohlfahrt erzeugen, als wenn es in den Kapillaren des Umverteilungsapparats versickert."Denn zum einen setzt der Begriff "Umverteilung" denknotwendig voraus, dass die vom Markt vorgenommene Verteilung irgendwie naturgegeben richtig ist - woran man erhebliche Zweifel haben kann. Zum anderen haben wir mit der Stützung der Finanzintermediäre durch die Staatskassen eine ganz andere Form der Umverteilung gesehen, als Sprenger sie im Sinn hat. Und schließlich ist es gesamtgesellschaftlich auch nicht besonders effizient, wenn z. B. im Bereich von Bildung und Erziehung konkrete Projekte in großem Umfang auf freiwillige private Spenden angewiesen sind. Hier geht es um Apparate, die ihrer Natur nach dauerhaft funktionieren müssen, und die Schulen sollten in Posemuckel nicht schlechter sein als beispielsweise in Bad Homburg (wo die potentiellen Spender wohnen).
Aber wenn ich mir ansehe, wie unser Staat den Autofahrern Milliarden an Steuern abknüpft, ursprünglich mit dem Vesprechen, Straßen davon zu bauen, die aber dann größtenteils zweckentfremdet wurden, glaube ich nicht daran, dass die von Horst Seehofers CSU in Bayern geforderte Einführung einer Pkw-Maut für die deutschen Autofahrer aufkommensneutral würde (durch Abschaffung oder Senkung der Kfz-Steuer oder der Mineralölbesteuerung). Hier geht es darum, zusätzlich Gelder in die Kassen zu bekommen, in denen aber andererseits offenbar genügend Milliardenbeträge herumliegen, um sie an die Südeuropäer rauszuhauen.
Von den fiskalischen Zusammenhängen her könnte man durchaus sagen:
"Die CSU fordert, dass die deutschen Autofahrer den Eurozonen-Rettungsschirm kofinanzieren sollen".
Und schließlich spielt das Schreiben der französischen Milliardäre ja auch ausdrücklich auf die Eurozonen-Rettung an, die für mich die Verschwendung in Potenz ist und für die ich nicht einmal die (deutschen) Milliardäre geschwitzt sehen möchte.
Andererseits stimme ich schon seit langem jenen zu, welche die automatische und automatisch wachsende Geldkonzentration bei den Kapitalbesitzern für einen Fundamentalfehler unseres Wirtschaftssystems halten (vgl. meinen Blog-Eintrag "Die Ökonomie der Artos-Phagen: Warum eine eigentumsbasierte Geldwirtschaft (im Basismodell) nicht dauerhaft funktionieren kann"). Vielleicht bahnt sich ja hier aus der Einsicht der Kapitalbesitzer selbst eine revolutionäre Wende an?
Auch in ideologischen Sphären, in denen es nicht direkt um die Verteidigung der Besitzinteressen geht, regt sich das Unbehagen.
In der FAZ vom  reflektiert Frank Schirrmacher, anscheinend zustimmend, zumindest aber nicht ablehnend, in seinem Kommentar " 'Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat' " die Zweifel des britischen Konservativen Charles Moore, ob er mit seinem rechten Glauben wirklich auf dem rechten Weg ist. (Hier Moores Essay "I'm starting to think that the Left might actually be right" im Daily Telegraph vom 22.07.2011, übrigens mit 1.792 Leserkommentaren!).
Der Begriff "Mirage" bezeichnet ursprünglich keinen Düsenjäger, sondern eine Luftspiegelung, eine Fata Morgana.
Ist der Sinneswandel der Superreichen eine Fata Morgana - oder sehen wir eine Widerspiegelung der gesellschaftlichen Zustände zur Zeit Mirabeaus? Steht der Spätkapitalismus vor seiner Selbstabschaffung - oder zumindest Selbstzähmung?
Stay tuned: Der Blogger Canabbaia bleibt dran, falls er weitere Fälle von Mirabeaumirage entdeckt!


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