Vortrag über Heidegger am 26.4. in München // Ein kleiner Kommentar zu Dahlmanns Sartre-Rezeption

Am 26.4. um 19 Uhr werden Paul Stephan und Emanuel Kapfinger in München noch einmal ihren Vortrag über Heidegger und den Nationalsozialismus halten. Der Ort ist derzeit noch nicht bekannt, aber es wird wohl irgendwo am Campus der LMU sein. Außerdem ist geplant, den Vortrag in der folgenden Woche noch einmal im IVI zu halten.
Die bisher beste Version des in Frankfurt, Marburg und Wien gehaltenen Vortrags, die Wiener, gibt es mittlerweile auch zum Hören im audioarchiv – inklusive einger Seitenhiebe auf den Wiener Sartre- und Adorno-Kongress Die Kunst der Freiheit. Darauf bezieht sich auch ein von Manfred Dahlmann in Freiburg gehaltener Vortrag, der ebenfalls im audioarchiv online ist und eine Art Verteidigung Sartres gegen Adorno unternimmt. Es handelt sich um fast denselben Vortrag, den Dahlmann wenig zuvor in Wien hielt – und an den zumindest aus orthodox Sartreanischer Sicht die Frage zu richten wäre, wie er darauf kommt, ausgerechnet die „Scham“ als Phänomen gegen Sartres Existenzialismus zu wenden. Denn es ist nicht nur so, dass Sartre das Phänomen der Scham in Das Sein und das Nichts ausführlich diskutiert – es steht sogar im Zentrum seiner Philosophie des Anderen. Ähnlich wie die existenzielle Angst bei Sartre die Freiheit enthüllt, enthüllt die Scham ihre reale, absolute Schranke, die eben in der Freiheit des Anderen liegt. Diese Schranke ist keine bloße Zutat zu Sartres Freiheitsbegriff, sondern ihm im Kern immanent – die menschliche Freiheit existiert nur als Freiheit-in-Konfrontation-mit-anderen-Freiheiten. Mein „Sein für mich“ ist meinem „Sein für anderen“ absolut ontologisch gleichrangig – die Scham ist bei Sartre ebenso konstitutiv für die „conditione humaine“ wie die Angst und die sich in ihr zeigende Freiheit.
In der Scham freilich entdecke ich auch bei Sartre nicht nur, dass es Andere gibt, sondern auch, dass meine eigene körperliche Existenz eine Seite hat, die mir notwendig entzogen ist – und die ich in der Scham eben als mangelhaft erfahre, genau so, wie mir in der Angst meine eigene Freiheit als mangelhaft erscheint. (Genauso kann mir natürlich in anderen Bewusstseinslagen meine Freiheit und meine Körperlichkeit als zu bejahende Fülle erscheinen, etwa in der Entschlossenheit, die von Sartre als Überwindung der Angst eingeführt wird – in der Entschlossenheit wähle ich ja und erfreue mich zugleich an meiner Wahl – ich nehme meine Freiheit auf mich und erfahre sie gerade nicht mehr als Mangel an Bestimmtheit, sondern als Bedigung meiner Selbstbestimmung.)
Auch wenn es Sartre strikt ablehnt, Eigenschaften meines Körpers als determinierend für mein Bewusstsein anzunehmen („determinierend“ zumindest im Sinne einer kausalen Verursachung), kommt so der Materialität meines Körpers, wie er sich anderen darbietet, doch eine eminente Rolle in seiner Philosophie zu. Der „Körper“ ist freilich auch und gerade hier kein bloßes biologisches Substrat, sondern eben das Bild, das andere von ihm haben – mit dem Körper, wie er sich dem Blick des Biologen oder des Arztes darbietet (freilich eher eine Leiche als ein Körper) als Sonderfällen. In Geschlossene Gesellschaft wird dies im Grunde sehr einfach anhand des Schicksals einer eitlen Frau erläutert, die wissen will, ob sie auch wirklich so schön ist, wie sie sich einbildet. Die Pointe ist, dass es ihr nicht einmal der Blick in den Spiegel sagen kann – denn sie hat ja gewählt, in den Augen anderer schön sein zu wollen und die bloße subjektive Versicherung „Ich bin schön“ genügt ihr nicht. Sie könnte wohl ein Zauberspiegel retten, der eine Art „Hyper-Anderen“ repräsentiert, der eine Art objektive Schönheit verkündet. Doch derartige Dinge gibt es nur in der Imagination: in Wahrheit entgeht uns jene objektive Seite unseres Seins radikal.
Dadurch, dass der Andere quasi die absolute Kontrolle über diese meine objektive Seite hat, bin ich ihm tatsächlich vollkommen ausgeliefert – eine Erfahrung, die wohl niemand in so drastischen Worten wie Sartre beschrieben hat. „Der andere ist der Tod meiner Möglichkeiten.“
Bereits in Sartres Analyse der Scham wird jedoch auch mitgedacht, dass es etwas am Leib/Körper gibt, das die Bewusstseine radikal überschreitet: dem Anderen ist mein Körper schließlich nicht nur in einer Form gegeben, die ich selbst nicht ergreifen kann – er ist ihm als transzendeter Gegenstand gegeben, der sich der unmittelbaren Evidenz entzieht. Ihm fehlt eben genau jene Intimität-mit-mir-selbst, die ich wiederum als meinen Mangel erfahre. Wir beide besitzen etwas, dass der Andere will, aber nicht haben kann: genau das konstituiert ja die Subjekt-Subjekt-Beziehung als unabschließbaren Kampf. Ein Kampf freilich, der in der Tat nicht abgeschlossen, nicht vermittelt werden kann. Aus dem simplen Grund, dass ich nicht der Andere sein kann und der Andere nicht ich – und erst recht nicht ich ich bleiben und gleichzeitig der Andere sein kann (selbst wenn ich das in der Reflexion versuche). (Bestenfalls wird eine Art Wechselseitigkeit des Voreinander-Schämens hergestellt, die in der Tat soetwas wie eine authentische, versöhnte Zwischenmenschlichkeit konstituieren könnte – aber das führt Sartre in Das Sein und das Nichts nicht aus.)
Ein Aspekt der Unabschließbarkeit dieses Kampfes ist jedoch zugleich auch, dass sich die Faktizität meines Körpers sowohl mir als auch den anderen Bewusstseinen, die ihn wahrnehmen, notwendig entzieht (was eben das materialistische Moment in Sartres Philosophie ist).

Dies alles hat eine eminent politisch-ethische Implikation: auch die Dinge weisen eine gewisse unreduzible Widerständigkeit auf. Doch erst im Kampf mit dieser Widerständigkeit erweist sich überhaupt erst unsere Freiheit – wir machen uns frei, indem wir die Dinge als „Hindernisse“ unserer Pläne begreifen. Andere Menschen (oder, globaler gesagt: Bewusstseine) haben demgegenüber einen völlig anderen ontologischen Status. Ich kann sie aufrichtig nicht als „Hindernisse“ begreifen, ich muss sie z.B. mit Argumenten von meinem Standpunkt überzeugen. Aber dieser Standpunkt ist 1. bereits ein Produkt meiner Konfrontation mit den Anderen (Sartre denkt die Bewusstseine als von vorneherein vermittelt, nicht erst nachträglich synthetisiert) und findet 2. seine Grenze an der puren Willkür der Subjektivität des Anderen. Sartre tritt so allen Versuchen entgegen, zwischenmenschliche Beziehungen analog zu einer Subjekt-Objekt-Relation zu denken, er geht von einem radikalen Kampf zwischen zwei (oder mehreren) Subjekten aus, indem sich erst authentische zwischenmenschliche Beziehungen entwickeln können. Dies ist natürlich eine radikale Kritik an jeder Form von Verdinglichung, die schon bei Sartre untrennbar mit einem konkreten politischen Projekt verwoben sind, gesellschaftliche Verhältnisse zu erreichen, in denen kein Mensch mehr verdinglicht ist. Im Kapitalismus etwa sind die Proletarier nicht als Individuen Teil des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, sondern als „v“, variabler Kapitalbestandteil. Sie streifen, sobald sie die Fabrik betreten, ihre Subjektivität ab und werden zu Instrumenten im Dienste der Kapitalisten. Dies hindert sie natürlich auch daran, ihre eigene Subjektivität wirklich zu entdecken, da sich diese ja erst in der Auseinandersetzung mit einem widerständigen Objekt wirklich erweisen kann.
Ebenso kann die moderne Neurobiologie aus existenzialistischer Sicht nicht als „Wissenschaft“ in dem Sinne verstanden werden, dass sie einfach schlicht Wissen über die Faktizität meines Körpers passiv abspiegelt. Das macht sie natürlich auch – doch in ihrem Reduktionismus verfehlt die Neurobiologie nicht nur die Leiblichkeit des Menschen (sowohl bezogen auf meine eigene subjektive Selbstwahrnehmung als auch auf die Art, in denen mein Körper anderen gerade nicht als tot, sondern als belebt, jeder biologischen Beschreibung also radikal entzogen [das Leben der Biologen lebt nicht im emphatischen Sinn des Wortes, da es eben kein bewusstes ist], erlebt wird), sondern verdinglicht die Menschen auch aktiv – sie muss den Pseudo-Leib erst konstruieren, um ihn dann der Manipulation zugänglich zu machen.
Zu guter letzt wirft Sartres Analyse auch ein anderes Licht auf jedwede Form von Verdinglichungen, die sich in körperlichen Differenzen begründen – worauf eben der Feminismus Simone de Beauvoirs oder der Antirassismus Franz Fanons basiert. Sie wehren sich eben dagegen, dass Frauen und „Negern“ die Anerkennung als Subjekte im vollen Sinne versagt bleibt – und untersuchen zugleich, wie sich diese versagte Anerkennung auf die Binnenstruktur dieser Subjekte auswirkt, ihnen nicht bloß äußerlich gegenübertritt.
Dies sind nur drei Aspekte, die sicherlich noch länger auszuführen wären.
Der erste Aspekt korrespondiert mit Dahlmanns Sartre-Kritik. Er wirft Sartre ja vor, nicht zu erkennen, dass das Kapital tatsächlich ein Ding ist, dass die Eigenschaften eines Subjekts hat, also doch so etwas wie ein real existierender „Hyper-Andere“. Ganz konkret, indem es eben alle Menschen zu Dingen macht, die durch es einen gesellschaftlichen Wert ihrer Arbeitskraft erhalten. Ich denke, dies ist in der Tat eine produktive Art, Sartre über ihn hinaus weiterzudenken und so die Kapitalismuskritik zu schärfen. Das fatale an der Herrschaft von Kapital und Staat ist eben, dass in ihnen gesellschaftliche Prozesse wie Götter über die Menschen regieren. So lässt sich die Marxsche Kritik in einer Radikalität artikulieren, die ihr ohne eine Beschäftigung mit dem philosophischen Freiheitsbegriff mangeln würde – der Kapitalismus ist die reale Existenz einer ontologischen Unmöglichkeit.

Zumindest in Wien ging Dahlmann erst auf Nachfrage darauf ein, dass ja auch Sartre bereits eine umfassende Theorie der Scham hat. Ich denke, sein in die richtige Richtung weisender Versuch, Sartre gegenüber Adornos Polemik zu rehabilitieren, würde an Substanz gewinnen, wenn er deutlicher ausführen würde, wo er die Lücken von Sartres Analyse der Scham sieht. Ich hoffe, in seinem ja in Kürze erscheinendem Buch wird er dies näher erläutern.


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