Von Feen und verschwundenen Wäldern – Streifzüge durch den englischen Frühling

Mein heutiger Verdauungsspaziergang führte mich ganz überraschend mitten hinein in eine verwunschene Landschaft, von dessen Existenz ich lange Zeit nichts ahnte: ein englischer Märchenwald vollerFrühlingsgeister, atemberaubender Düfte und verborgener Legenden. Seit ich in Yorkshire lebe, habe ich mich immer gefragt, was eigentlich mit den englischen Wäldern passiert ist. Auf den Hügeln, die unser Dorf umgeben stehen zwar hier und da ein paar Baumgruppen, aber ein anständiger Waldspaziergang lässt sich da kaum bewerkstelligen. Yorkshires Hügel sind bedeckt von tiefgrünen Wiesen und eher kargen Hochmooren. Mein Engländer drückte den Mangel an Eichen, Birken, Kastanien und Co. einmal so aus:

„Das Märchen von Hänsel und Gretel macht in diesem Land gar keinen Sinn. Es ist ziemlich unmöglich, sich mehr als zwei Stunden in einem englischen Wald zu verlaufen.“ Zumindest für West Yorkshire gebe ich ihm völlig recht.

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Kurz nach meiner Auswanderung habe ich bereits gemerkt, was mir in der neuen Umgebung wohl am meisten fehlen würde: dieser erdige, von feuchtem Laub und würzigen Tannennadeln angefüllte Waldgeruch, das federnde Gefühl unter den Sohlen, das sanft herabfließende Licht, das sich zwischen den Zweigen bricht und das geheimnisvolle Geraschel im Unterholz. Lange habe ich mich beschwert über diesen Mangel-Zustand und dabei nicht bemerkt, dass sich ganz in meiner Nähe ein zwar sich nicht über mehrere Kilometer erstreckender, aber immerhin entdeckungsreicher Zauberwald liegt. Schande über mein Haupt! Da lebe ich seit beinahe drei Jahren an diesem Ort und habe erst heute diesen Pfad beschritten.

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Das kleine Waldstückchen liegt direkt oberhalb des Huddersfield Narrow Canal, der die Dörfer Slaithwaite und Marsden miteinander verbindet. An einer kleinen Lasttier-Brücke führen zwei Fußwege links und rechts auf die Hügel und hinein in ein hübsches kleines Laub-Wäldchen, das so selten Besuch zu bekommen scheint, dass eine Horde Grauhörnchen panikartig sämtliche Vorräte zusammensammelt und ganz verdattert davonstiebt, als ich den geebneten Pfad entlangschlendere. Ich spüre, wie mir ihre blinzelnden Murmelaugen skeptisch durchs Buschwerk folgen. Ihr gut gehütet geglaubtes Geheimnis ist aufgeflogen.

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Meine Lungen weiten sich und ich sauge die herrlich duftende, milde Frühlingsluft tief durch meine Nase ein. Die Sonne glitzert in goldenen Bahnen zwischen den Baumkronen hindurch und übergießt sich über den von zahllosen Glockenblumen übersäten Waldboden. Diese zarten Gewächse sind nicht nur ein landestypisches Symbol dafür, dass der Frühling eingekehrt ist, sondern auch ein Merkmal für eine sehr alte Form des Waldes, den sogenannten Niederwald. Diese Art des Waldes wurde vor allem seit der Eisenzeit kultiviert, wobei Bäume nach einer regelmäßigen Phase der Regenerierung wiederholt gefällt wurden. Dabei entstanden lichtdurchlässige Flächen, die blühende Pflanzen zum Wachsen anregten.

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Einem alten Volksglauben nach läuteten Glockenblumen (engl. bluebells) immer dann, wenn sich die Feen des Waldes versammelten. Kinder, die in den Wald gingen, um Glockenblumen zu pflücken, kehrten nie wieder nach Hause zurück. Erwachsene wurden der Sage nach von Kobolden heimgesucht. In alten Zeiten hatten Glockenblumen  aber vor allem einen praktischen Nutzen, denn mithilfe der in der Pflanze enthaltenen Toxine wurde ein Kleber hergestellt, der in der Buchbindung Anwendung fand. Vor allem dadurch, weil er einen wirksamen Schutz gegen hungrige Silberfische bot. Die Knollen der Glockenblume wurden zudem als Diuretikum und blutstillendes Mittel verwendet. Überall da, wo sie wachsen, sind sie zudem ein sicherer Indikator dafür, dass das Land einst bewaldet war.

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Vor rund 7000 Jahren war erstaunlicherweise fast ganz England von Bäumen bedeckt, darunter Birken, Eichen, Buchen, Kastanien, Hainbuchen u. v. m. Mit wachsender Population wurden die Wälder zugunsten von Landwirtschaft und Hausbau gerodet. Allerdings ist bis heute nicht ganz klar, wie sie tatsächlich restlos verschwinden konnten, denn sofern ihre Wurzeln nicht komplett zerstört werden, regenerieren sich Bäume für gewöhnlich recht schnell. Möglicherweise wurden viele durch Feuer vernichtet oder nachwachsende Triebe auf gefällten Bäumen wurden durch Ziegen, Schafe und Rinder regelmäßig abgegrast. Heute existiert nur noch etwa ein Drittel des ursprünglichen Waldbestandes, durch den einst auch Bären und Wölfe streiften.

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Als ich nach etwas mehr als einer Stunde die Schuhe auf dem heimischen Läufer abstreife, fühle ich mich glücklich und bin zugleich sehr erleichtert. Nichts hatte ich mehr gefürchtet, als dass der Tag kommen würde, wenn ich mich an Nordengland schlicht und einfach gewöhnt habe. Immer noch liegt der Zauber des Unbekannten auf meiner inzwischen nicht mehr ganz so neuen Heimat. Aber ich weiß auch, dass ich immer wieder etwas dafür tun muss, um ihn mir zu erhalten. Ich muss, so oft es geht, die gewohnten Pfade verlassen und kreuz und quer durchs Gebüsch huschen, mal hier und mal da gewohntes Terrain verlassen. Manchmal lässt sich nur so längst bekannt Geglaubtes wieder neu entdecken.

Hast du ähnliche Erfahrungen gemacht? Was kannst du empfehlen gegen die drohende Macht der Gewohnheit? Was bedeutet dir der Frühling?

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