Von blauen Dinos und kleinen Frauen

Von blauen Dinos und kleinen Frauen

Warum Farbwahl bei Babys keine Rolle spielen sollte

Gastbeitrag von Franz Jungbluth*

Neulich an der Supermarktkasse. Die kleine Frau spielt in aller Ruhe mit ihrem Kuschelschaf und lässt sich durch das Gewusel um sie herum nicht stören. „Ach süß", höre ich hinter mir. Eine etwas ältere, stämmige Dame hat über meine Schulter in den Wagen geschaut. „Jungs sind so pflegeleichte Babys! Wissen Sie, ich hatte ja beides. Und meine Tochter war schon ganz klein immer etwas zickig. Während der Sohn... genau wie Ihrer, Verdeck hoch und Spielzeug in die Hand und die Welt war in Ordnung." Ich lächele freundlich: „Ja, sie hat heute aber auch einen ziemlich guten Tag. Sie heißt übrigens Jana**." Da ich jetzt mit Bezahlen dran bin, diskutieren wir das Thema nicht weiter aus. Ich höre nur eine gemurmelte Entschuldigung, in der der Satz "Ich dachte wegen der hellblauen Mütze und der Dinos..." vorkommt.

Von blauen Dinos und kleinen Frauen

Aber so etwas passiert uns öfter. Ein paar Tage vorher komme ich im Kleinkindwartezimmer beim Arzt mit einer Mutter ins Gespräch. Sie spricht ihre Tochter mit Janina an und ich stelle fest, dass unsere Kleinen ja fast gleich heißen. Das beruhigt sie. Nicht wegen der ähnlichen Namen. Sondern: "Ach, ich habe mich schon die ganze Zeit gefragt. Sie hat so ein Mädchengesicht, aber einen dunkelblauen Strampler an." Ich bin skeptisch, ob man bei einem damals gerade mal 6 Monate alten Baby das Geschlecht am Gesicht erkennen kann. Sie ist sich da aber sehr sicher. Nur, wenn man es ihrer Tochter am Gesicht ansieht, braucht die dann noch einen zartrosa Pulli mit pinkfarbenem Halstuch? Dafür gibt es aber auch eine Begründung: "Wir haben einen schwarzen Kinderwagen, da erkennt man ja gar nicht, wer drin liegt. Deshalb ziehe ich ihr beim Rausgehen immer ein rosa Accessoire an."

Immerhin hat diese Frau sich wohl Gedanken gemacht. Viele "Träume in Rosa", die man heute in jeder Fußgängerzone im Kinderwagen liegen sieht (wenn der Wagen nicht selbst ein Traum in Rosa ist), sind wahrscheinlich ganz ohne Gründe und Nachdenken zustande gekommen. Die Eltern sind einfach in den nächsten Babyladen gegangen, haben an der Tür gleich den Gang für Mädchen oder Jungs genommen und sind automatisch mit einem Einkaufswagen voller rosa Elfen (oder blauer Polizeiautos) auf Klamotten und Decken wieder heraus gekommen.

Wenn meine Erinnerung und die Erzählungen von Eltern und Schwiegereltern stimmen, gab es früher zu besonderen Anlässen mal ein besonderes Mädchen- oder Jungenaccessoire und wenn die Kleinen laufen konnten, stellte sich die Frage, ob und wann man seine Tochter in ein Kleid stecken wollte. Aber sonst gab es für Babys und Kleinkinder Strampler und Bodys in rot, grün und häßlichen Orangetönen, mit Tieren oder Märchenfiguren. Ob die kleine Frau damals auch regelmäßig für einen kleinen Mann gehalten worden wäre, nur weil sie eine blaue Mütze und ein Dino-Schnuffeltuch im (schwarz-grünen) Kinderwagen hat? Heute findet man mit etwas Glück ein paar geschlechtsneutrale Basics.

Genau wie rosa Ü-Eier, pinkfarbene Legosteine und Feenwald-Bauklötze mit Glitzer ist auch die Zweiteilung der Babymode natürlich eine clevere Verkaufsmasche. Früher konnten die kleinen Geschwister die ersten Jahre die Sachen der Großen auftragen, während sie die altbewährten Holzklötze oder Duplosteine aufeinander schichteten. Wenn heute das zweite Kind ein anderes Geschlecht hat, kann man - so zumindest die Wunschvorstellung der Marketingabteilung - die Erstausstattung, die Kinderzimmerdeko und das Spielzeug in die Tonne kloppen und alles in der "richtigen" Farbe noch einmal neu kaufen. Wieso Verkäufer und Hersteller eine strikte Geschlechtertrennung im Angebot habe, ist also nachvollziehbar. Die Frage ist nur, warum so viele Eltern da mitspielen?

Wir mögen Rosa nicht sonderlich, als Farbe und wegen der dahinter stehenden Rollenmuster - dieses Thema würde den Post hier sprengen, so dass ich nur am Ende auf ein paar Kleinigkeit in Sachen Babyprägung eingehen werde. Jedenfalls kaufen wir im Zweifelsfall lieber in der Jungsabteilung ein oder verscherzen es uns auch mal mit Verwandten und Kollegen, in dem wir pinkfarbene Geschenke reklamieren oder stillschweigend spenden, bevor wir sie an unsere kleine Frau lassen. Ich kann verstehen, wenn es andere Eltern gibt, denen das übertrieben erscheint oder schlicht zu anstrengend ist (das ist das erste Babyjahr ja ohnehin schon).

Ich verstehe dafür die Mutter mit dem schwarzen Kinderwagen nicht. Oder die, die in der Krabbelgruppe entschuldigend sagt, dass sie ihrer Kleinen heute einen "Jungenstrampler" anziehen musste, weil die Wäsche nicht rechtzeitig fertig war. Oder die Mutter, die, die ein wirklich hübsches stimmiges schwarz-weiß-graues Set gefunden hat und dann ein rosa Halstuch darüber zieht, "damit man die Kleine auch als Mädchen erkennt". Denn diese Eltern kaufen nicht Rosa, um Stress zu vermeiden, sondern machen sich zusätzlichen Stress, um noch ein Accessoire hinzuzufügen, damit ihre Tochter auch ja als Mädchen kenntlich ist. Wieso denn bloß?

Das Kind selbst interessiert sich je nach psychologischer Theorie irgendwann zwischen dem zweiten und fünften Lebensjahr für sein eigenes Geschlecht. Dann ist es alt genug, in der Kleiderwahl selbst mitzureden. Und welches Geschlecht ein Baby hat, spielt eigentlich nur auf dem Wickeltisch eine Rolle - da braucht man sich aber auch nicht an den Kleiderfarben zu orientieren. Vom Aussehen her sind Jungen und Mädchen sobald sie eine Windel anhaben je nach Tagesform süße Krabbler oder laute Schreihälse. Ob ein Kind in dem Alter als Junge oder Mädchen kenntlich ist, hat vor allem etwas mit den Kleidern zu tun, die die Eltern herausgesucht haben.

Es gibt Studien, die besagen, dass Mädchen bereits im Babyalter eher auf Puppen als auf Autos stehen und im Spiel eher auf Fürsorge als auf Action aus sind. Die Probekinder waren allerdings ein dreiviertel Jahr alt. Das sind 9 Monate in denen heute viele kleine Jungs, sobald sie etwas sehen und wahrnehmen können, von Baggern, Autos und coolen Sporttrikots umgeben sind, während die Mädchen Bambis***, Feen und Einhörner mit Kulleraugen auf ihren Bodies, Schlafsäcken und Schnuffeltüchern bewundern dürfen. In jedem Elternstartkurs bekommen wir erzählt, wie wichtig es ist, mit unseren Kindern zu kommunizieren, auch wenn sie scheinbar nichts verstehen - und dann soll das Spiel- und Sozialverhalten mit 9 Monaten "naturgegeben" sein?

Apropos reden: Angeblich gehen Erwachsene mit Jungs und Mädchen von Beginn an anders um, trauen den Jungs ("sind halt wild") mehr "Risiko" beim Spielen zu und lassen ihnen mehr Randale durchgehen, kuscheln und reden dafür ausführlicher mit Mädchen - letzteres angeblich schon in Mamas Bauch. Uns fehlt der Vergleich, denn die kleine Frau ist unser erstes Kind. Wir haben uns allerdings fest vorgenommen, auf ihre Interessen zu achten und nicht irgend etwas zu tun (oder zu lassen), weil sie ein Mädchen ist. Uns selbst gelingt das bislang auch ganz gut, bei Freunden, Verwandten und künftigen Erzieher_innen werden wir wenn nötig daran arbeiten - und für alle anderen, die Jana erst einmal nicht kennen, gibt es eben zunächst einmal keine Info auf den ersten Blick, ob hier ein kleiner Mann oder eine kleine Frau durch die Welt rollt. Man könnte zwar behaupten, dass diese konsequente Rosa-Verweigerung doch eine erste Bevormundung ihrer Interessen ist. Aber wenn sie in zwei oder drei Jahren denn wirklich im Hello Kitty-Pulli auf dem rosafarbenen Laufrad sitzen will, werden wir ihr das auch nicht verwehren. Sie soll es nur selbst entscheiden können!

Von blauen Dinos und kleinen Frauen

* Dr. Franz Jungbluth ist Historiker, PR-Manager für Museen und Kultureinrichtungen und freier Autor. Wenn er nicht in Elternzeit ist, schreibt er unter jungbluth-pr.de zu Geschichts- und Kommunikationsthemen.

** Die "kleine Frau" heißt im wirklichen Leben nicht Jana und auch alle anderen Kindernamen in diesem Beitrag sind geändert.

*** Bambi war übrigens ein Männchen und wurde später König des Waldes. Trotzdem ist er als Motiv vor allem als das süße hilflose Rehkitz mit den großen Augen in Erinnerung.

Die Bildrechte liegen bei Dr. Franz Jungbluth.

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