Volker Braun in einem Interview

Ein Journalist befragte den großen schreibenden Philosophen was wohl dessen nachhaltigste Erinnerung wäre, an damals, an die Jugend, an die DDR. Doch Herr Braun gab nicht jenes Statement, was wohl unter den beim Interview gegebenen Umständen von ihm erwartet wurde, sondern lieferte eine ehrliche Antwort:

“Am Nachhaltigsten wirkt immer das Intime!”

(Oder so ähnlich. Es ist aus dem Gedächtnis zitiert.)

Mit diesem Satz – fand ich lange Zeit – hat ein großer deutscher Philosoph wieder einmal recht.

Sexuelle Erinnerungen sind wahrscheinlich deshalb so nachhaltig, weil sie positiv wie negativ zugleich besetzt sind. An den ersten Sex will man(n) sich nicht unbedingt erinnern, an den zweiten Sex kann man(n) sich erinnern und schließlich kommt für jedermann die Zeit, da Mann glauben darf, man könne mit einem Penis die Welt verändern. Mit Brauns Antwort hätte ich also des Journalisten Frage ruhen lassen können.

Aaaber…

Plötzlich – von einer Minute Sekunde zur anderen – weiß ich, dass in früher Kindheit erlebte Ungerechtigkeit noch viel-viel nachhaltiger wirken kann wirkt. Weil eine frühkindlich erlebte Ungerechtigkeit ein relativ stabiles Wertesystem durcheinander wirbelt.

Bis heute kann ich mich an einiges erinnern – bis ins hohe Alter.

Wir wurden – zum Beispiel seinerzeit erzogen, uns gegenseitig zu helfen. Das sei gut so, lernten wir insbesondere im sozialistischen Kindergarten.

Eines Tages sollten wir erst unter Anleitung, dann selbständig einen Kranich falten. Wer von uns fertig war, durfte in den Garten. Ich schaffte es – und war draußen allein. Weil der Peter, mit dem ich gern Räuber und Gendarm spielte, die Aufgabe nicht bewältigte.

Frühsozialistischer Makarenko-Ansatz: Erst die Aufgabe, dann das Vergnügen! Origami als Job, Räuber und Gendarm sind Belohnung.

Aber, fiel mir ein, man soll ja helfen. Sich gegenseitig. So war es zumindest von einigen Werten vorgegeben. Also ging ich wieder “rein”, half dem Peter bei dessen Kranich, wir meldeten Vollzug und die Erzieherin… -

- ICH KRIEGTE EINEN ANSCHISS!

Was mir einfalle vorzusagen, schimpfte die Gärtnerin, heimlich [sic!] zu basteln! Dadurch lerne doch der Peter nüscht. Ich allein sei daran schuld, wenn der Peter einmal so bleibt, wie er ist…

“Du bist ein böser-böser Junge!”

Würde man mich heute fragen (anstelle von Volker Braun), was damals am Nachhaltigsten war – mir würde im Augenblick – vermutlich – eine dieser Ungerechtigkeiten einfallen. Erst lange danach kommt der dritte Sex.


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