Verlockendes Alter

Wir werden immer älter und das bei relativer Gesundheit, berichtet die Frankfurter Allgemeine mit ungestümen optimistischem Temperament. Hierzu zieht sie Statistiken heran, die von Altersexperten, Biologen und Medizinern, ausgewertet, wenn nicht sogar erstellt wurden. Das Alter, wie es dem Leser hier schmackhaft gemacht wird, es scheint wenig fürchterlich, wenig kränklich zu sein. Geschenkte Jahre seien es, erweiterbar bis auf mindestens 125 Lebensjahre - wenn nicht gar ohne Grenzen, denn die biologische Lebensgrenze "könnte theoretisch endlos wachsen", wie die FAZ den Altersforscher Vaupel zu zitieren weiß.

Die Debatte, so heißt es weiter, würde von negativen Schlagzeilen über das Alter beherrscht. Alles was im Alter an Zipperlein und wirklichen Leiden auftritt, wird damit einem Aufwisch verharmlost oder umgedeutet. Pflegebedürftigkeit sei zwar heute häufiger, aber letztlich dürfe man keinen kausalen Zusammenhang zwischen Alter und Krankheit oder Pflege herstellen. Warum man das nicht dürfe, diese Antwort bleibt man schuldig, stattdessen ein Schwenk auf das Gegenteil: "Die alternde Gesellschaft wird immer gesünder..." Wenig über die Leiden der Alten, die man zuweilen kennt. Wenig über Demenz und körperliche Gebrechen; wenig darüber, dass Alte in der ökonomisierten Leistungsgesellschaft ins Grübeln verfallen, ob sie denn überhaupt noch einen Wert darstellen.

Natürlich gibt es viele Senioren, die noch gesund und kräftig ihren Alltag stemmen. Endlich hätten sie die Zeit, sagen solche beim Eintritt in die Rente, um ihren Hobbies zu frönen. Sie wirken agil, manchmal auch geistig flott - wahre Werbeikonen für das Alter; wer solche Senioren sieht, der möchte am Alter partizipieren, der will schnell und unkompliziert alt werden. Nur selten wird jedoch die Frage gestellt: was waren diese zackigen Alten einst? Was taten sie? Worum sorgten sie sich? Sorgten sie sich überhaupt viel? Oder waren sie sorgenlos? Ob diese Sorte Senior jemals an einem Fließband schraubte? Viel in gebückter Haltung arbeitete? Waren sie Schlosser, Kanalarbeiter oder Leihfaktotum? Machte sie die monatliche allzumonatliche Angst mürbe, das eingestrichene Salär reiche nicht zum Leben aus? Erholten sie sich jährlich in teuren Urlauben oder gab es Urlaub nur in Dekadenzyklen? Schmerzen die antiken Hüften nur etwa deshalb nicht, weil sie nie beruflich beansprucht wurden?

Was die Frankfurter Allgemeine gekonnt versteckt ist, dass die Fassade vom gesunden Alter, nicht auf jede Gesellschaftsschicht anzuwenden ist. Diese "geschenkten Jahre" manifestieren sich bei solchen, die zeit ihres Lebens relativ ohne Not und Sorgen auskamen, die einen Beruf ausübten, der wenig körperliche Beanspruchung abverlangte, die zu denen gehörten, die das Leben einigermaßen passabel belohnte. Wer einst blöde schraubte und bohrte, immer schraubte und bohrte, bis zur Erschöpfung nur schraubte und bohrte, nie geistige Emsigkeit übte, der kriegt keine Jahre geschenkt. Bauarbeiter und Fließbandhörige, erwerbstätige Alleinerziehende und trotz Krankheit Schuftende kommen in den Genuss dieses Geschenkes eher selten - sie altern schon, wenn sie noch im Berufsleben sind, werden Greise am Arbeitsplatz und dämmern nicht selten schon vor dem Ruhestand dahin. Dazu kommt, dass man solchen Menschen durch das allgemeingültige Ethos, wonach Arbeit in etwa Ehre und Anstand bedeute, auch noch ein schlechtes Gewissen einimpft.

Man müsste schon säuberlich unterscheiden, woher der statistische Aufwind stammt. Ist er allumfassend oder durch die Segnungen der beruflichen Crème de la Crème entstanden? Ist der senile und gebrechliche Rentner ein Auslaufmodell oder doch nur der Herbst des Lebens einiger Glückspilze? In jedem Falle aber ist der flotte Übersiebziger, den die Frankfurter Allgemeine da thematisiert, das Wunschbild derer, die das Renteneintrittsalter nochmals heraufsetzen wollen. Nicht für die Crème de la Crème alleine natürlich, auch für Maurer und Asphaltierer - allgemeinverbindlich, zwecks Gerechtigkeit und so. Das "verlockende Alter", das zuweilen die Schlagzeilen ziert, es wird stets mit der Option verquickt, irgendwann (und hoffentlich sehr bald) zu längerer Lebensarbeitszeit zu führen. Der emsige Rentner ist eine Schande, liest man heraus; gesunde Rentner, die sich ihres Lebens erfreuen, das ist ein Affront. Der flotte Rentner soll deshalb zum flotten Alten werden, der noch flottflott werkelt. Und das nicht nur als Anwalt oder Ingenieur, sondern auch als Anstreicher und Installateur! Statt Lebensqualität für alle Alten zu erfüllen, doch lieber mehr Arbeit und Mehrarbeit für alle, auf das auch jene Rentner aus besseren sozialen Schichten nicht mehr zu gesund die Werktätigen brüskieren!

Fast so, als würde man denen, die potenziell von Gebrechlichkeit und Ausgezehrtheit bedroht sind zurufen wollen, dass sie sich ihren Jammer nur einbilden, denn statistisch und durchschnittlich gesehen, geht es ihnen besser denn je. Kann schon sein, dass ein Maurer von 1970 und einer von 2011 unter gleichen Symptomen leiden, was aber nichts heißen muß, denn im Durchschnitt steht der heutige Maurer besser da. Und weil dem so ist, soll auch die Rente angepasst werden - weil dem so ist, kann man auch länger buckeln. All das natürlich, während man das Gesundheitssystem aushöhlt, ihm allerlei Erholungs- und Regenerationsprogramme aus dem Katalog streicht. Warum denn auch nicht, denn obwohl seit Jahren die Gesetzliche Krankenversicherung verstümmelt wird, scheint der Senior an sich ja gesünder und leistungsfähiger zu werden - dass der privat versichert war und ist, dass er sich vielerlei Erholungsmaßnahmen selbst finanzieren konnte, darüber Schweigen, denn das passt nicht ins Konzept fröhlichen Alters und fröhlicher hoher Lebensarbeitszeiten. Der Greis auf dem Hochglanzpapier der Altersforschung lächelt, das ist die Hauptsache. In welcher gesellschaftlichen Schicht er lächeln lernte, das soll uns, die wir ans sorgenlose Alter glauben sollen, nicht weiter scheren...


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