Verbot der Woche: Sprechverbot für Neonazis

Verbot der Woche: Sprechverbot für NeonazisDie "Süddeutsche Zeitung" klingt überrascht, die Taz ist perplex. Schuld ist das Bundesverfassungsgericht, das ein sogenanntes Publikationsverbot gegen einen verurteilten Nazi-Kader aufgehoben hat, mit dem das Oberlandesgericht in München hatte verhindern wollen, dass der mehrfach vorbestrafte Neonazi junge Nachwuchskräfte für seine Ideologie rekrutiert. Nur fünf Jahre lang, so lautete die Weisung der Richter, dürfe der Mann weder "rechtsextremistisches" noch "nationalsozialistisches" Gedankengut verbreiten, wobei bereits der Begriff "Gedankengut" auf eine eigentlich unzulässige Nähe der Richter zur inkriminierten Geisteshaltung spricht. Danach habe er wieder freie Hand, durch das Versenden von Pressemitteilungen aller Art an der Wiederrichtung eines vierten, fünften oder gar sechsten Reiches zu arbeiten. Das Gericht orientierte sich dabei am Betätigungsverbot, das der heutige TV-Moderator Adolf Hitler am 22.06.1933 gegen die SPD verhängt hatte.
Dennoch konnte sich die Rechtsauffassung von "SZ" und Oberlandesgericht diesmal nicht durchsetzen. Meinungsfreiheit gelte "auch für Neonazis" befanden die Verfassungsrichter in Karlsruhe zur völligen Überraschung der demokratischen Presse, die laut Google News in 41 Fällen berichtete, die Entscheidung aber in in den ersten zwölf Stunden danach in keinem einzigen Fall kommentierte.
Es hat allen die Sprache verschlagen. Meinungsfreiheit auch für Nazis! Was soll denn das? "Das Urteil ist irritierend", summt ein Wolfgang Janisch in der SZ, ohne anschließend auf die DDR und Rosa Luxemburg zurückzukommen: Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden. Nein, hier gilt anderes. "So richtig der Grundsatz ist, dass die Meinungsfreiheit grundsätzlich auch Rechtsextremisten schützt: Das Verfassungsgericht hat ihn diesmal ins Groteske überdehnt", urteilt der Kommentäter, dem zufolge Karlsruhe die Freiheit verteidigen soll, aber natürlich nur dort, wo sie seiner Ansicht nach bedroht ist und nicht da, wo ein unverbesserlicher Nazi, ein irrer Prediger, ein verstockter Kommunist oder ein unbelehrbarer Scientologe sie bedroht sieht.
Das Verfassungsgericht, das zuletzt in einem Urteil vom 9. Februar 2010 die Verfassungswidrigkeit der Regelsätze des SGB II festgestellt und der Politik ohne Erfolg eine Frist bis zum 31.12.2010 zur Nachbesserung gesetzt hatte, sieht das anders. Die Anordnung des Oberlandesgerichtes sei "zu weit" gefasst, weil sie auch legale Äußerungen umfasst; sie komme damit einer zeitweiligen 'Aberkennung der Meinungsfreiheit' nahe. Das Grundgesetz aber schütze - wenn auch in den Schranken des Art. 5 Abs. 2 - auch die Verbreitung rechtsextremistischer Meinungen. Verbiete man die Ausübung dieses Grundrechtes, bedürfe das auch im Fall eines terroristischen Ekel-Nazis einer sorgfältigen "Abwägung zwischen den durch die Meinungsäußerung drohenden Beeinträchtigungen" für die Gesellschaft und "der Einbuße an Meinungsfreiheit durch deren Einschränkung".
Außerdem müsse klargestellt werden, die Verbreitung welcher Teile der menschenverachtenden Ideologie tatsächlich untersagt sei - das aber sei nicht geschehen. "Das Publikationsverbot ist unbestimmt", stellt das höchste deutsche Gericht fest, "mit dem Verbot der Verbreitung „rechtsextremistischen oder nationalsozialistischen Gedankenguts ist das künftig verbotene von dem weiterhin erlaubten Verhalten nicht sicher abgrenzbar".
Das gelte umso mehr, als es dem Verbot der Verbreitung „rechtsextremistischen
Gedankenguts an bestimmbaren Konturen" fehle. Das Verfassungsgericht begibt sich hier - wiederum unkommentiert von Taz, "Spiegel", FR" und SZ - auf das dünne Eis grundsätzlicher Gesellschaftsanalyse: Die Einstufung einer Position als „rechtsextremistisch“ sei, so heißt es wörtlich "eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung". Sie stehe in "unausweichlicher Wechselwirkung mit sich wandelnden politischen und gesellschaftlichen Kontexten und
subjektiven Einschätzungen, die Abgrenzungen mit strafrechtlicher Bedeutung nicht hinreichend erlauben". Heute hier, morgen dort, gestern links, heute rechts, gerade noch Messias und wenig später schon TV-Ansager.
Im lauschigen Laucha, wo der braune Schornsteinfegermeister Lutz Battke auf die nächste Instanz in seinem von der Landesregierung angestoßenen Berufsverbotsverfahren wartet, werden die Sektkorken geknallt haben.
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