Unser WGT ist dunkelbunt und historisch gewachsen

Unser WGT ist dunkelbunt und historisch gewachsen

Von der schwarzen Szene in der DDR und den Anfängen des WGT

Sie hörten „Anne Clark", „Sisters of Mercy" oder „Die Art"...
In der DDR war Gruftie-Sein nicht ganz so alltäglich und normal.

Das erste „offizielle" WGT fand dann nach der Wende 1992 statt, war aber nur so ne Friedhofsorgie 😉 Nein, Quatsch - es gab für 8 DM oder so „Das ICH" und „Goethes Erben" zu sehen und ein paar andere Bands. Der Eiskeller in Leipzig Connewitz war Veranstaltungsort.

Das war aber überhaupt nicht zu vergleichen mit dem WGT von heute, sondern man traf sich halt zum Quatschen und trank gemütlich Rotwein. Das Beisammensein stand im Vordergrund, die Musik verband und untermalte dann die Athmosphäre zusätzlich.

Wenn ihr noch einiges mehr über das „Erstes-WGT-Feeling" lesen möchtet, könnt ihr das gern hier tun.

Jugendsubkulturen DDR- Endzeit und nach der Wende

Trotzdem gab es nicht nur in Leipzig Grufties - oder soll ich sagen „Guffits", wie es in den Stasi-Akten vermerkt steht? Fast jeder hatte Ende der 80´er von diesen dunklen Gestalten gehört oder sie sogar gesehen 🙂
Auftoupierte Haare, zusammengebastelte Kluft ganz in schwarz und ein Kreuz um den Hals waren Anlass genug, die Staatssicherheit auf den Plan zu rufen. Dabei waren Grufties meiner Ansicht nach politisch nicht aktiv - weder für noch gegen das Regime.
Es ging einfach um eine gewisse Weltanschauung, um „Weltschmerz" und Melancholie im Herzen.
Grufties wirkten einfach bizarr in der konservativen DDR-Welt und wichen aus irgendeinem Grund vom Bild des guten sozialistischen Bürgers ab. Ich kann überhaupt nicht verstehen, wieso 😉 Das bisschen schwarz...

Viele waren als Satanisten verschrien und manch´einer hatte gar Angst, sie beißen ihm vielleicht die Nase ab. Särge sollen sie ausgebuddelt haben, um darin zu schlafen und Spee (DDR-Waschmittel) getrunken, warum auch immer. Dabei brauchten sie eigentlich nur jede Menge Haarspray und schwarzen Kajal.

In Wahrheit waren Grufties und Punks irgendwie so ein Erscheinungsbild von Jugendlichen, die die Schnauze voll hatten vom bisherigen Lauf ihres Lebens.
In der Vorwendezeit gab es allgemein sehr viele Strömungen von Jugendkultur in der DDR, die sich massiv von den FDJ´lern abhoben. Die New-Wave-Welle und der Punk waren dabei auf dem Vormarsch, jedoch nicht nur. Mehr über die Independentzeit von 1980 - 1990 in der DDR kannst du in diesem Buch erfahren:
Wir wollen immer artig sein: Punk, New Wave, HipHop und Independent-Szene in der DDR 1980-1990Unser dunkelbunt historisch gewachsen

Ich begann meinen Einstieg in diese mystische dunkle Welt mit Goethes Erben und Project Pitchfork, das war so ungefähr 1995.

Davor hörte ich aber selbstverständlich auch schon The cure und Sisters of Mercy, aber auch Type O´Negative, Nirvana und Alice Cooper. Allerdings bin ich eher punklastig 😉
Wer kennt nicht „Temple of love" - was für ein Kultlied, da auch irgendwie für Otto-Normal-Verbraucher discotauglich.

Als Gruftie würde ich mich dennoch nicht bezeichnen.

Heutezutage bezeichnen sich dei meisten Grufties ja nicht mal mehr so. Es sind nun Gothics geworden - klingt auch irgendwie vornehmer.
Wieviele davon nun wirklich noch den Hang zum Philosophieren besitzen und manchmal ihren melancholischen Gedanken nachhängen, ist nicht so genau zu sagen.
Eins ist jedenfalls für mich sicher - die meisten werden wohl den Trubel in Leipzig nur kurzzeitig geniessen können. Denn es sind einfach zu viele Menschen auf den Beinen, wenn auch friedlich.
Nicht umsonst wurden früher ruhige Orte zur Besinnung und inneren Einkehr besucht - daher das klischeehafte Bild vom Friedhof und der Gruft. Auch das Philosophieren ging viel besser bei Kerzenschein irgendwo in einem alten Keller oder einer ruhigen Ecke.
Mittlerweile ist das WGT ohnehin ein eher buntes Mix aus verschiedenen Musik- und Zeitepochen, bei denen ich persönlich nicht mehr wirklich den Durchblick habe. Jedenfalls rennen seit einigen Jahren so etwas wie Cyberpunks herum mit bunten Haaren und daneben gibt es auch diese Mittelalter-Figuren und die aus Renaissance und Barock.
Die Musikrichtungen sind mittlerweile auch sehr vielfältig: Gothrock, Gothpop, Mittelalter, Neue Deutsche Härte, experimentelle elektronische Stile, Metal, Punk, Synthie-Pop, Folk ... irgendwie wird hier beim WGT mittlerweile alles auf- und abgefangen, was alternativ, anders, bizarr und eigenartig bis merkwürdig ist.
Also so Leute wie ich und einige meiner Freunde. Andersartig eben.
Egal. Dann eben dunkelbunt. Wir mit dem schwarzen Fleck leben eins ja besonders hoch: Toleranz. Leben und lesebenlassen. Friedliches Miteinander und Auskommen. Uns bilden. Philosophieren. Die Ruhe geniessen. Feinfühlig Fühler ausstrecken. Jeden willkommen heissen. Verständnis haben. Nett sein. Melancholische Stimmung erzeugen. Mit Herz. Unnahbar. Unantastbar. Lieb. Große Familie.

Nur bitte, lasst es nicht kaputt gehen, uns ostdeutsches WGT. Es ist ein Zeichen für Anderssein, Miteinander UND Abgrenzung. Nicht für „Wer ist hier der Schönste und Coolste und hat die besten Kostüme."

Es ist ein Abbild einer Gesellschaft, auch vor der Wendezeit bereits.
Es hat sich entwickelt aus Leuten wie Michael W. Brunner und seinen Kumpels damals im Connewitzer Eiskeller. Vielleicht sollte es so riesig werden, um ein Zeichen zu setzen dafür, dass einfach jeder ANDERS ist.

Wir alle haben jede Menge miterlebt und das WGT erinnert mich jedes Jahr daran, wie es ist, einen manchmal einsamen Weg zu beschreiten inmitten Millionen von Leuten. Seltsam zu sein oder es so zu empfinden. Der Hektik und dem Egoismus im Alltag nicht immer gewachsen zu sein und sich so zu fühlen, als ginge es nur einem allein so.

Auf dem WGT habe ich immer das Gefühl, unter vielen seltsamen Menschen zu sein. Das beruhigt mich und macht mich frei. 🙂 Ich atme tief durch und kann sagen: Hier falle ich sehr sicher nicht auf. Seltsam gibt es auch eigentlich gar nicht.

SeltSam = selten zu Gesicht bekommen, selten gesehen.

Tausende selten gesehene Menschen auf einen Haufen. Ich liebe dich, WGT!

Ich umarme euch und wünsche allen ein wunderschönes Pfingstwochenende,

Unser WGT ist dunkelbunt und historisch gewachsen

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Astrid

Philanthropische Bloggerin Ü30 aus Ostdeutschland bloggt hier über sich, den Osten und die Welt zur Förderung des interkulturellen Verständnisses ;) Weitere Schwerpunktthemen: Morbus Crohn, selektiver Mutismus und Hochsensibilität. Nehmt Platz und fühlt euch wohl.🍀🌸😜Naturliebend, kreativ, Empath & Linkshänder.That's me. 🍀🌸😜


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