Über die Herausforderungen des digitalen Wandels in der Finanzbranche

Vor einiger Zeit ist die Welt der Banken nach einem sehr ausgedehnten Schläfchen wachgerüttelt worden. Die Branche hat erkannt, dass der digitale Wandel nicht nur „die anderen“ betrifft. Daraufhin haben einige Akteure der Branche zuerst gejammert und sich dann in Aktionismus gestürzt. Dieser Aktionismus reichte von Maßnahmen, die man bestenfalls noch als putzig oder süß bezeichnen kann, bis hin zu bemerkenswerten Aktionen, die durchaus innovativ zu nennen sind. Allen Maßnahmen muss man aber wenigstens zugestehen, dass wenigstens der Versuch unternommen wurde, aus der Schockstarre zu erwachen oder aber man zumindest die Einsicht erlangte, dass man etwas am Ist-Zustand ändern muss.

Nun ist es natürlich einfach mit dem Finger auf die ein oder andere Bank und ihre Aktionen zu zeigen und ihnen Versagen vorzuwerfen. Weniger einfach, dafür aber auch viel interessanter ist es jedoch, wenn man bestimmte Muster und Möglichkeiten genauer betrachtet. Daher sollen nachfolgend Aspekte des digitalen Wandels der Finanzbranche im Kontext von Möglichkeiten zur Problemlösung etwas genauer skizziert werden.

Der vermutlich wichtigste zu betrachtende Aspekt ist das Innovationsmanagement. Dabei handelt es sich um Ansätze, die der Erzeugung, Planung und Verwaltung neuer Innovationen dienen. Dabei haben sich branchenunabhängig bestimmte Modelle etabliert, mit denen man versucht genau diese Aufgaben zu bewältigen. In der Theorie funktionieren sie auch recht gut. Ein Problem bleibt jedoch: Es fehlen brauchbare Werkzeuge zur Generierung und Bewertung von Ideen. Dabei haben viele Mitarbeiter viele gute Ideen. Leider werden diese in der Regel nicht umgesetzt, da sie meistens von den Mitarbeitern nicht in ausreichendem Maße kommuniziert werden. Auch die vielen installierten Mitarbeiterbeteiligungsprogramme greifen oft nicht. Ursachen kann man dafür beliebig viele aufzählen. Ursächlich kann beispielsweise das mangelnde Vertrauen fachlich exzellenter Mitarbeiter in die eigenen Fähigkeiten, das fehlende Vertrauen der jeweiligen Vorgesetzten in diese Mitarbeiter oder aber eine Kombination aus beidem sein. Diesem Sachverhalt kann nur mit guter Unternehmens- und Führungskultur entgegengewirkt werden. Eine weitere problematische Ursache sind die in vielen Fällen vorhandenen Muster der Entscheider sowie deren Beauftragter in den Unternehmen. Das ist eine menschliche Eigenschaft. Diese lässt sich nur dadurch überwinden, in dem man möglichst viele Mitarbeiter interdisziplinär oder aber fachfremd einsetzt. Zwar schreiben sich das viele Firmen auf die Fahne, in ihre Recruiting-Prospekte und auf ihre Webseiten, die gelebte Realität sieht jedoch meist anders aus.

Durch eine interdisziplinäre Mitarbeiterstruktur wird sichergestellt, dass die bearbeiteten Probleme aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden und die Betrachter außerdem unterschiedliche Fähigkeiten zur Problemlösung mitbringen können. Interessanter Weise werden mit der Digitalisierung und dem digitalen Wandel jedoch überwiegend IT-Experten oder aber BWL-Absolventen mit IT-Projekterfahrung in Verbindung gebracht. Sicherlich ist diese Personengruppe die richtige, wenn man konkrete Lösungen umsetzen muss. Wenn man sich aber noch in der Phase der Lösungsfindung befindet, gibt es andere Fachdisziplinen, die für ihre Methodenkompetenz durchaus geeigneter sind. So bringen Naturwissenschaftler und Ingenieure einerseits ein hohes Maß an IT-Expertenwissen mit, kennen aber gleichzeitig auch die Herausforderungen der Lösung unterschiedlichster Probleme. Außerdem sind diese Berufsgruppen das interdisziplinäre Arbeiten gewohnt. Einige führende Universitäten schreiben diesen Fachgruppen bereits Projektearbeiten in interdisziplinären Teams während des Studiums vor. Es ist daher auch nicht verwunderlich, wenn Unternehmen des Hochtechnologiesektors, Biotech-Firmen oder die interdisziplinären Internetkonzerne, wie bspw. Google, weniger Probleme mit ihrem Innovationsmanagement haben als die Finanzindustrie. Auch Startups, die in der Regel ein großes Innovationspotenzial aufweisen, sind meist stark interdisziplinär aufgestellt und häufig führen die Gründer viele Aufgaben aus, die ihnen von ihrer Ausbildung her fremd sind.

Schaut man sich die Stellenanzeigen der Finanzmarktakteure an, stellt man fest, dass diese alles andere als interdisziplinär sind. So werden für die Sachbearbeiterpositionen natürlicherweise Bankkaufleute gesucht. Für die Stellen, die mit einem höheren Gehalt oder Projektverantwortung werden Absolventen eines betriebs- oder volkswirtschaftswissenschaftlichen Studiengangs gesucht und bei allem anderen gelten Juristen als Mittel der Wahl. Lediglich an einigen Stellen, die sich mit Risikobewertung, Kreditvergabe oder Unternehmensfinanzierung beschäftigen, finden sich noch Mathematiker und in geringem Umfang Ingenieure oder Naturwissenschaftler. Andere Fachdisziplinen finden sich sonst nur noch in geringem Umfang in den Stellen für Unternehmenskommunikation oder Personal. Für die Aufgaben des Tagesgeschäfts ist das auch völlig in Ordnung. Wenn man sich jedoch ernsthaft einer zukunftsfähigen Produktentwicklung stellen möchte, müssen die Anteile „fachfremder“ deutlich erhöht werden. Das ist für die Organisationen nicht gefährlich, da die fachspezifischen Fähigkeiten des einzelnen Mitarbeiters gerade bei den stark aufgespaltenen Prozessen in heutigen Unternehmen völlig überschätzt werden.

Um die Bedeutung der Interdisziplinarität zu verdeutlichen, sollen nachfolgend die die Beispiele autonomes Fahren und Smart Home herangezogen werden. Wer denkt, dass autonomes Fahren nur von Ingenieuren und IT-Experten entwickelt wird, denkt falsch. Die Entwickler müssen sich mit rechtlichen Aspekten auseinandersetzen und die im Automobilbau wichtige Design-Komponente wird von Designern berücksichtigt. Da auch die Handhabung der Funktionalitäten ein sicherheitstechnischer Aspekt ist, kommen an dieser Stelle neben Designern und Ergonomen auch Psychologen zum Einsatz. Beim Thema Smart Home kommen noch weitere Disziplinen dazu. So werden die zukünftigen sensorischen Features stark von neuen Werkstoffen abhängen, die derzeit von Materialwissenshaftlern, Chemikern und Physikern entwickelt werden.

Überträgt man die Bewältigungsstrategien der oben genannten Gruppen auf die Finanzbranche, stellt man fest, dass die zukünftigen echten Innovationen nicht ausschließlich in der nächsten Smartphone-App stecken können.

Die Finanzbranche muss sich im Kontext der Digitalisierung einerseits einem veränderten Kundenverhalten stellen und sich andererseits mit Themen, wie Kryptowährungen, der zunehmenden Regulierung und einer Zunahme von P2P-Diensten sowie Konzepten der Sharing Economy auseinandersetzen. Glaubt man denen, die die Szenarien unserer aktuellen Zeit richtig prognostiziert haben, wird auch die Verbindung des Finanzsektors zur Realwirtschaft wieder wichtiger werden. Digitalisierung bedeutet mehr als eine Verlagerung bestimmter Dienstleistungen auf die Smartphones der Kunden. Eine Strategie für digitalen Wandel ist nicht mit der Befeuerung der sozialen Netzwerke erledigt. Digitalisierung im Finanzsektor ist viel mehr die Bereitstellung von Wettbewerbsfähigkeit und die Auseinandersetzung mit der zukünftigen Lebenswirklichkeit der privaten und gewerblichen Kunden.

Was muss die Branche also tun? Zunächst mal muss man erkennen, dass im Retailgeschäft Smartphone-Apps für Zahlungs-, Verwaltungs- und Beratungsdienstleistungen keine Innovationen, sondern Mindestanforderungen sind, die der Lebenswirklichkeit unserer Zeit entsprechen. Innovativ ist das noch lange nicht. Man muss erkennen, dass die Kunden, auf die die heute entwickelten Innovationen abzielen müssen, frühestens in 5-10 Jahren in die Zielgruppe der Banken fallen. Das bedeutet auch, dass die bisher angewendeten Muster nicht funktionieren. Eine gute Idee wäre es, in den Archiven nachzusehen, welche Ideen in den letzten Jahren als nicht gut bewertet und deshalb nicht umgesetzt wurden. Insbesondere Konzepte, die unter anderen gesellschaftlichen und technologischen Randbedingungen gescheitert sind, sind dabei von Interesse.

Noch wichtiger ist aber, dass die typischen Auswahlkriterien für entscheidende Personalien verändert werden müssen. Anstelle von einer Armee aus Juristen und (Volks-) Wirtschaftswissenschaftlern sollten zunehmend andere Berufsgruppen in den Produktentwicklungsprozess involviert werden. Gesellschafts-, Geistes- und Kulturwissenschaftler können Transformationsprozesse gestalten und Ideen entwickeln. In Verbindung mit Entwicklungen der Realwirtschaft sind Vertreter praktisch aller Branchen prinzipiell als wertvoll anzusehen. Das muss in den Köpfen der Personaler aber erst mal ankommen.

Eine weitere zu bearbeitende Baustelle sind die IT-Abteilungen. Regelmäßig werden wichtige Erneuerungen und Anpassungen nicht vollumfänglich durchgeführt, weil die Verantwortlichen der IT-Abteilungen die Funktionalität nicht garantieren wollen. Die Ursache dafür ist aber nicht die Unfähigkeit der Mitarbeiter in den IT-Abteilungen. Vielmehr ist in vielen Fällen eine Mischung aus schlichten Kommunikationsproblemen sowie nicht eindeutigen Verantwortlichkeiten (und fehlende Entscheidungsfähigkeit) auf Führungsebene für bestimmte Probleme ursächlich.

Der wichtigste Faktor im Innovationsprozess sind aber die Führungskräfte. Diese müssen dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiter sich wertgeschätzt fühlen. Außerdem müssen sie auf ihr Personal hören. Häufig widerkehrende Probleme sollten, anstatt sie nach dem Motto „das ist nun mal so“ abzutun, gemeinsam mit den betroffenen Mitarbeitern gelöst oder aber wenigstens Lösungsmöglichkeiten erarbeitet werden. Auch installierte Mitarbeiterbeteiligungsprogramme oder das Vorschlagswesen sollten ernst genommen werden. Ein Mitarbeiter, dessen Verbesserungsvorschläge ein oder zweimal nicht ernst genommen wurden, wird nie wieder einen Vorschlag machen. Was ebenfalls einer Todgeburt gleichkommt, sind toll klingende Innovations- oder Verbesserungsprojekte, deren Ziele und Methoden nicht mal diejenigen prägnant formulieren können, die diese Projekte leiten.

Weiterhin sollten auch in großen Organisationen regelmäßig Ideen im kleinen Rahmen umgesetzt werden. Das können Kleinigkeiten, wie z.B. eine Obstschale in der Kaffeeküche, oder teamspezifische IT-Lösungen sein, die nicht durch komplexe Rollout-Prozesse müssen. Derartige Kleinigkeiten sorgen dafür, dass die Mitarbeiter nicht innerlich kündigen und selbst bei stumpfsinnigen Tätigkeiten im Tagesgeschäfft eine gewisse Kreativität erhalten und ausbauen. Anstelle von Assessment-Centern als Bewertungsinstrument für Führungsnachwuchs sollte alle gewillten Mitarbeiter stattdessen regelmäßig geschult werden. Das ist nicht nur zielführender, sondern auch eine vergleichsweise kostengünstige Möglichkeit, um die zeitgemäße Arbeitsfähigkeit des Personals zu erhalten.

Das oben beschriebene kratzt natürlich nur an der Oberfläche. Wenn man jetzt noch berücksichtigt, dass man damit also auch nur die Spitze des Eisbergs abtragen kann, wird das Ausmaß der Aufgabe klar. Allerdings schwimmt Eis. Das bedeutet, dass nach jedem bisschen Abtragen auch etwas mehr des Eisbergs zum Vorschein kommt.


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