Tonfilm-Seitensprung: Eine moralische Geschichte

MA NUIT CHEZ MAUD
Frankreich 1969
Mit Jean-Louis Trintignant, Françoise Fabian, Marie-Christine Barrault u.a.
Regie: Eric Rohmer
Dauer: 107 min

Tonfilm-Seitensprung: Eine moralische GeschichteTonfilm-Seitensprung: Eine moralische Geschichte

Beim Namen Eric Rohmer springt in manchen Cinéastenhirnen gleich die Schublade nouvelle vague auf. Das ist richtig, aber unnötig; als Rohmer anfing, Spielfilme zu drehen, hatte sich die französische Avantgardebewegung bereits mit Filmen wie Les quatre cents coups, A bout de souffle oder Hiroshima, mon amour etabliert. Rohmer zählt wohl zu den nouvelle vague-Regisseuren dazu, als Gründer der Welle kann er aber nicht bezeichnet werden.

Die andere, viel charakteistischere Rohmer-Schublade heisst Zyklus. Rohmer fasste seine Filme thematisch in Zyklen zusammen (etwa zu Contes moraux, contes de quatre saisons, etc.). In den Contes moraux, zu denen Ma nuit chez Maud gehört, reflektiert der Regisseur und Auteur Rohmer die Gesellschaft seiner Zeit unter moralischen und ethischen Gesichtspunkten.

Dass ein solches Unterfangen aus dem Jahr 1969 noch heute goûtiert werden kann, spricht für den Regisseur. Die Kleider, die Frisuren, die Automodelle, das alles ist passé, doch die Fragen, die da im Dekor einer noch gar nicht allzu lange vergangenen Zeit abgehandelt werden, sind aktuell geblieben, resp., sie werden auf zeitlose Weise abgehandelt. Wobei Rohmer eigentlich gar keine Fragen stellt; er evoziert sie beim Zuschauer, indem er gegensätzliche Positionen präsentiert – zu einem oder mehreren Themen, die er von seinen Figuren diskutierend vertreten lässt.

Das klingt stark nach papierenem Kino, nach abgefilmtem Dialogtheater und streckenweise ist dieser Film das auch. Aber da ist glücklicherweise eine andere, explizit filmisch-visuelle Ebene, welche das Betrachten dieses Films zum spannenden Schaustück macht. So macht Rohmer hier auf der Bildebene u.a. deutlich, dass Jean-Louis, seine Hauptfigur, seine wortreich dargelegten moralischen Prinzipien als Tarnung für seine Gehemmtheit vor sich und der Welt aufbaut. Das Tun und das Reden seiner Figuren differiert oft, und Rohmer hat einen klaren Blick dafür. Die inszenatorische Umsetzung dieser Divergenz erfolgt unaufdringlich und subtil und wird unterstrichen durch eine aussagekräftige Bildgestaltung. Jean-Louis hausgemachte Isolation wird so  bereits zu Beginn durch enge Räume und Spiegelbild-Spielereien verdeutlicht, bevor ein Wort darüber verloren wird.

Jean-Louis (der im Film nie namentlich genannt wird) lebt zurückgezogen in einem kleinen Dorf in der Nähe von Clairmont-Ferrand. Als regelmässiger Kirchgänger fällt ihm eine hübsche junge Frau ins Auge, auch sie eine regelmässige Kirchgängerin, und er beschliesst, sie zu heiraten. Nur wagt er nicht, sie anzusprechen.
Als er zufällig einem alten Jugenfreund begenet, der inzwischen als Philosophieprofessor arbeitet, gerät Jean-Louis Welt kurzzeitig fast aus den Fugen, denn die Streitgespräche der beiden um den Philosophen Pascal, um Liebe, Treue und Heiligkeit, und vor allem eine Nacht, die Jean-Louis bei der freizügigen Maud, einer Bekannten seines alten Freundes verbringt, droht sein Weltbild ins Wanken zu bringen. Doch standhaft, wie er ist und bleibt, bekommt er am Schluss, was er sich in den Kopf gesetzt hatte: Er heiratet die junge, gleichgesinnte Kirchgängerin tatsächlich – um ganz am Schluss vom Schicksal eine lange Nase gedreht zu bekommen.

Die Geschichte ist unglaublich dicht erzählt, vor allem ihr reichhaltiger Subtext macht weitere Sichtungen zu einem lohnenden Unternehmen. Unter der scheinbar coolen und gepflegt-langweiligen Oberfläche der Hauptfiguren tun sich Welten oder, je nach Figur, Abgründe auf, die Rohmer aber nicht offen vor dem Zuschauer ausbreitet, die sich diesem aber durch genaues Hinsehen und Zuhören erschliessen.

Kein einfacher Film also. Ob er sich lohnt? Für jene, die Rohmers liebevoll-entlarvenden, fast ethnologischem Forscherblick auf menschliche Verhaltensweisen spannend finden bestimmt – für Filmfreunde, welche sich über eine subtile und feinsinnige Bildsprache freuen.
8/10

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Der Film ist bei arthaus erschienen und ist über amazon.de bestellbar.


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