Suizidhilfe: “Warum dürfen nur Tiere ‘human’ erlöst werden?”

Suizidhilfe: “Warum dürfen nur Tiere ‘human’ erlöst werden?”

WEIMAR. (fgw) Die Diplom-Psychologin Gita Naumann, beim Humanistischen Verband Berlin seit über 20 Jahren ver­ant­wort­lich tätig im Bereich Lebens- und Krisenhilfe / Sterbebegleitung / Patientenverfügung, hat jetzt einen Sammelband zum Thema “Suizidhilfe als Herausforderung” vor­ge­legt. Dieser Band ent­hält ärzt­li­che, ethi­sche und psy­cho­lo­gi­sche Positionen aus Sicht der Praxis sowie per­sön­li­che Aussagen Betroffener, ver­bun­den mit juris­ti­schen Klarstellungen und huma­nis­ti­schen Lösungsansätzen. Die Über­schrift die­ses Artikels ist dem Brief einer Betroffenen ent­nom­men.

Doch zunächst, der Suizid bzw. Freitod ist in unse­rem seit mehr als 15 Jahrhunderten vom Staats-Christentum gepräg­ten Kulturkreis nach wie vor ein Tabu-Thema, wird von kirch­li­cher Seite als Selbstmord, also als ein Verbrechen, denun­ziert. Ganz anders sieht es in ande­ren Kulturkreisen aus. Ganz anders sah es auch in der vor­christ­li­chen Zeit Europas aus, also in den anti­ken hel­le­nis­ti­schen, römi­schen, kel­ti­schen, ger­ma­ni­schen und sla­wi­schen Kulturen (und Religionen). Das mensch­li­che Recht auf einen selbst­be­stimm­ten, wür­de­vol­len, ehren­haf­ten Tod war bzw. Ist gesell­schaft­lich akzep­tiert. Anders eben im Christentum. Warum? Ich nenne dafür – in aller Kürze – nur zwei Gründe: mensch­li­che Selbstbestimmung führt eine “gött­li­che Allmacht” ad absur­dum. Vor allem aber: mensch­li­che Selbstbestimmung über Leben, Lebensweisen, Gesundheit und auch über das Lebensende gefähr­det das Hauptziel aller Priesterkasten – also die Macht, ihre Macht, über Menschen.

Im vor­lie­gen­den Sammelband geht es aber nicht an den Suizid an sich, son­dern um einen Sonderfall. Hier geht es um den Sterbewunsch, und die mit-menschliche Sterbe-Hilfe, von Menschen, für die das Leben aus gesund­heit­li­chen Gründen nur noch uner­träg­li­che Qual oder end­lo­ses Dahindämmern, voll­ge­pumpt mit Chemikalien oder ange­schlos­sen an tech­ni­sche Apparaturen, ist.

Doch lei­der kom­men in die­ser Frage, wie eigent­lich in unse­rer Gesellschaft lei­der üblich, die Betroffenen nicht zu Wort bzw. wird deren Wort abge­tan. Abgetan von Klerikern, abge­tan von einer den christ­li­chen Kirchen zuge­neig­ten Politik, Justiz und auch Ärz­te­schaft. Und nicht ver­ges­sen soll dies wer­den: seit aus einem Gesundheitswesen ein Gesundheitsmarkt gewor­den ist, läßt sich mit Pharmaka, Apparatemedizin, Pflegeheimen u.a. Einrichtungen sehr, sehr viel Geld ver­die­nen. Einrichtungen in pri­va­ter Trägerschaft, und dazu zäh­len ohne Anstriche auch Einrichtungen in kirch­li­cher Trägerschaft, sol­len, wol­len, müs­sen Gewinn erzie­len. Ist doch Gewinnerzielung der ein­zige Zweck pri­va­ter Unternehmen.

Und zur Verschleierung z.B. von Machtinteressen und von Gewinnstreben, wurden/werden Mythen aller Art erfun­den und medial breit gestreut.

In ihrem ein­füh­ren­den Beitrag “Mythen, Realitäten und eine neue Debatte” schreibt daher Gita Neumann, daß es zum Thema Suizid und Suizidhilfe in Deutschland ein gan­zes Bündel von Mythen gibt: den Allmachtsmythos einer über­schätz­ten und ideo­lo­gisch (christ­lich) ver­ein­nahm­ten Palliativmedizin und der Hospize, den Rechtfertigungsmythos des so nicht exis­ten­ten Hippokratischen Eides; vor allem aber den Mythos daß die Hilfe zum Suizid in Deutschland ver­bo­ten sei…

Die nach­ste­hend auf­ge­führ­ten Beiträge die­ses Sammelbandes befin­den sich auf fach­lich hohem Niveau, rich­ten sich mehr an “Fachleute” als an den “Normalleser”. Daher soll in die­ser Besprechung auch weni­ger auf die kon­kre­ten medi­zi­ni­schen und juris­ti­schen Inhalte ein­ge­gan­gen wer­den, son­dern es sol­len ledig­lich einige (Neben-)Aspekte beleuch­tet wer­den, die dem Rezensenten beim Lesen stär­ker ins Auge gefal­len sind.

Den Auftakt gibt der Mediziner Uwe Christian Arnold, der seit 1995 über eigene dies­be­züg­li­che Erfahrungen ver­fügt, mit “Ärzt­lich Assistierter Suizid – Theorie und Praxis”. Er berich­tet über seine Begegnungen mit ster­be­wil­li­gen Patienten (u.a. anhand von Fallbeispielen), geht aber auch sehr aus­führ­lich auf juris­ti­sche Fragen und die gel­tende Rechtslage in Deutschland ein.

Aufmerken las­sen seine Aussagen zu Palliativmedizin und Hospizen: “Es stellt sich auch die Frage, ob die erheb­li­chen Geldsummen, die ins­ge­samt für die Hospiz- und Palliativversorgung im Umlauf sind, letzt­end­lich bei den Richtigen ankom­men – und nicht etwa in auf­ge­bläh­ten Geschäftsführungen und Apparaten von Stiftungen lan­den. (…) So gibt es etwa seit vie­len Jahren die ‘Deutsche Hospizstiftung’, die dank ihres wohl­klin­gen­den Namens und eini­ger pro­mi­nen­ter Fürsprecher über ein hohes Spendenaufkommen ver­fügt, aber selbst zugibt, keine Hospize zu för­dern…” (S. 30/31) In einer Fußnote zitiert er dazu aus einem Buch von Barroso (Über das Sterben): “Neid, Eifersucht, Missgunst, Mobbing, Intrigen, Machtkämpfe mit har­ten Bandagen und Ähn­li­chem sind in der pro­fes­sio­nel­len Hospiz- und Palliativarbeit genauso häu­fig anzu­tref­fen wie über­all sonst.” Und stellt dann die Frage, warum die Vereinigungen für Palliativmedizin und Hospizversorgung einen so ver­bis­se­nen Kampf gegen “jede Form akti­ver Sterbehilfe” füh­ren.

Was die Richtlinien von Ärz­te­kam­mern angeht, so ver­weist Arnold – ebenso wie andere Autoren die­ses Sammelbandes – dar­auf, daß diese zumeist (nur) “mit der Deutschen Bischofskonferenz ent­wi­ckelt bzw. abge­spro­chen wor­den sind.” (S. 34)

Was die Bundesärztekammer und einige ihrer füh­ren­den Repräsentanten angeht, wie auch deren “Argumente” (Suizidhilfe sei Euthanasie!), so beleuch­tet Arnold aus­führ­lich deren dama­li­ges Wirken in der NS-Zeit. So seien sie­ben Prozent der Ärzte sei­ner­zeit SS-Angehörige gewe­sen und jeder zweite Mitglied der NSDAP (siehe S. 41/42)

Ebenso deut­lich wird der Autor auf S. 43: “Die Bundesärztekammer (BÄK) läßt keine Gelegenheit aus, sol­che Gesetze zu ver­hin­dern und setzt ihre ableh­nende Haltung fort, selbst nach Inkraftreten der Gesetze. Unterstützung fin­det sie dabei durch kirch­li­che Kreise, vor allem der katho­li­schen Kirche. Man könnte die BÄK manch­mal als Sprachrohr des Vatikans bezeich­nen.”

Der letzte Abschnitt sei­nes Beitrages stellt rich­tig: “‘Genfer Gelöbnis’ statt Mythos vom Hippokratischen Eid”.

Ergänzt aus juris­ti­scher Sicht wer­den Arnolds Ausführungen vom Juristen Wolfgang Putz (Spezialgebiet Medizinrecht): “Strafrechtliche Aspekte der Suizid-Begleitung – Im Lichte der der Entwicklung von Rechtsprechung und Lehre Zur Patientenverfügung”.

Hier geht es um klare juris­ti­sche Begrifflichkeiten und das gel­tende Strafrecht: “Es gibt kein ‘Sterbehilfegesetz’ in Deutschland. Nur die direkte aktive Sterbehilfe ist im Strafgesetzbuch (StGB) expres­sis ver­bis gere­gelt: § 216 StGB ver­bie­tet die Tötung auf Verlangen, die §§ 211 und 212 StGB ver­bie­ten die Tötung auch ohne Verlangen des Getöteten.” (S. 57)

Der Arzt Michael de Ridder for­dert in sei­nem Beitrag “Ärzt­li­ches Ethos und Suzidhilfe in engen Grenzen”: “Freiwillensfähige Menschen, aus­sichts­los kranke und schwerst­kranke Patienten dür­fen weder sich selbst über­las­sen blei­ben, um mit oft­mals grau­sa­men Mitteln und Methoden aus dem Leben zu schei­den, noch einer orga­ni­sier­ten oder gar kom­mer­zia­li­sier­ten Sterbehilfe dilet­tie­ren­der Nicht-Ärzte (…) zum Opfer zu fal­len.” (S. 75)

Dem kann wohl jeder Humanist zustim­men. Eine men­schen­wür­dige Methode stellt da doch wohl der ärzt­lich beglei­tete Suizid im jeweils kon­kre­ten Einzelfall dar.

Meinolfus W.M. Strätling, eben­falls Arzt, stellt daher die berech­tigte Frage an die soge­nannte ver­faßte Ärz­te­schaft: “Assistierter Suizid – grund­sätz­lich ‘keine ärzt­li­che Aufgabe? – Eine Bestandsaufnahme und Kritik: Medizin – Ethik – Recht”.

Er kri­ti­siert u.a. die belegte “ein­sei­tige, welt­an­schau­lich moti­vierte Vereinnahmung und Unterwanderung der Palliativmedizin, der Hospizbewegung und ihrer Grundanliegen” (S. 95/96).

Da kann man nur auf die seit alters bewährte Methode des christ­li­chen Klerus ver­wei­sen: “Wenn ich etwas nicht ver­hin­dern kann, dann setze ich mich an des­sen Spitze und lasse es ins Leere lau­fen…”

Strätling for­dert die Anerkennung der “con­di­tio humana” (und setzt sich damit in Gegensatz zu den christ­li­chen Kirchen): “Der Mensch ist sterb­lich. Er ist dem Tod und denk­bar damit auch dem Leiden unter­wor­fen. Dieses Leid kann und sollte (…) sicher best­mög­lich ver­mie­den oder gelin­dert wer­den. Eine ‘Erlösung’ davon kann die schein­bare ‘Heilsbotschaft’ Palliativmedizin aber sicher nicht bie­ten.” (S. 100) Er for­dert daher “ärzt­li­che Leidvermeidung statt Zementierung der Grauzone” und spricht sich des­halb dafür aus, daß die Vermeidung von schlim­men Leid durch den ärzt­lich assis­tier­ten Suizid durch­aus zu den ärzt­li­chen Aufgaben gehöre.

Zur öffent­li­chen Wahrnehmung des Themas schreibt Strätling: “Empirisch exis­tie­ren viele Hinweise, daß die öffent­li­che Berichterstattung über­wie­gend durch Unwissen, Unsicherheiten und gezielte Desinformation geprägt ist. (…) Zu iden­ti­fi­zie­ren sind dabei vor allem kon­ser­va­tive bzw. reli­giös moti­vierte Kreise (…) und der Hospizbewegung. Dies belegt eine über­wie­gend weltanschaulich-ideologische und berufs­po­li­ti­sche Motivation.” (S. 124) Und er weist auf eine Über­re­prä­sen­tanz “christ­li­cher Träger” in der Palliativmedizin und Hospizbewegung hin, was im “Sinne der Vertretung welt­an­schau­li­cher Pluralität (…) nicht legi­tim sei.” (S. 132). In die­sem Zusammenhang fällt die Bemerkung, daß sich der Klerus in der Debatte gerne hin­ter “medi­zi­nethi­schen” Argumenten ver­ste­cke.

Wie sieht es nun hier­zu­lande aus? Dazu äußert sich der Arzt Johann F. Spittler mit sei­nem Beitrag “Organisierte Suzid-Beihilfe in Deutschland – Die Realität aus ärztlich-psychiatrischer Sicht”.

Auf eine Form des Suizids, ins­be­son­dere hoch­be­tag­ter Menschen, geht Hartmut Klähn ein: “Der frei­wil­lige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit” und führt hierzu das pro­to­kol­lierte Beispiel eines guten Verlaufes an.

Der Arzt Klähn kon­sta­tiert: “Eine neue Sterbekultur sollte einem Menschen ein gan­zes Leben gereift eine weit­ge­hende Selbständigkeit ein­räu­men in der Art, wie die letzte Lebensphase zu gestal­ten ist. Der Sterbewunsch soll über­prüf­bar und die Durchführung beglei­tet sein kön­nen. Dazu bedarf es erheb­li­chen Umdenkens in der Politik, den Medien und bei allen Menschen – denn jeder ist betrof­fen.” Denn: “Sterbekultur und Humanität sind Begrifflichkeiten, die allem huma­nen Verständnis nach direkt zusam­men­ge­hö­ren.” (S. 185)

Und in die­sem Sinne schreibt abschlie­ßend Gita Neumann “Aus der huma­nis­ti­schen Praxis: Suizidpräventation, -kon­flikt­be­ra­tung und Begleitung”. Ausgehend von den Positionen des HVD gibt sie ein doku­men­tier­tes Beispiel “Humanistische(r) Lebenshilfe und Begleitung”.

Gita Neumann schreibt aber als Fazit des Sammelbandes dies klar und deut­lich: “Das unstrit­tige Recht, die eigene Grenze der Leidensfähigkeit selbst zu bestim­men, darf nicht zum Recht auf Suizidhilfe umde­fi­niert wer­den.” Und: “Beherzigen wir zur Entscheidung ideo­lo­gi­scher Grundsätze immer, daß nie­mand mei­nen darf, defi­nie­ren zu kön­nen, was die Würde am Ende des Lebens bedeu­tet – es sei denn für sich selbst.” (S. 234)

Nun, das dürfte dem christ­li­chen Klerus aber abso­lut nicht gefal­len…

Der HVD redet aber nicht nur aka­de­misch, er han­delt auch. Ausgehend von allen Erfahrungen unter­brei­tete er der Bundesjustizministerium einen Vorschlag für eine gesetz­li­che Regelung der Suizidhilfe. Dieser ist auf S. 239 im Wortlaut abge­druckt.

Was den Wert die­ses Sammelbandes aus­macht, das ist, daß hier betrof­fene Menschen selbst zu Wort kom­men! Nicht nur in Fallbeispielen und Dokumentationen, son­dern in einer Reihe von Auszügen aus sehr per­sön­li­chen Briefen und auch in einem eigen­stän­di­gen Artikel von Beatrix Baudner.

Gita Neumann: Suizidhilfe als Herausforderung. Arztethos und Strafbarkeitsmythos. 246 S. kart. Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin, Band 5. Alibri-Verlag Aschaffenburg 2012. 20,00 Euro. ISBN 978-3-86569-084-5

[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]

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