So blöd wie eh und je

So blöd wie eh und je

Generationengerechtigkeit.
Beide tun sich schwer.

Lange hat man uns gesagt, dass wir immer blöder würden. Der gesunde Menschenverstand, den jeder von uns zu haben glaubt, stufte diese Einsicht als Wahrheit ein. Schließlich belegte das unser aller Alltagserfahrung. Im Umgang mit Jugendlichen schien sich zu bestätigen: Ja, es stimmt! Und die Hilferufe von Ausbildungsunternehmen, die in die Bildzeitung diktierten "Hilfe, unsere Schulabgänger werden immer blöder!" verfestigten diese Erkenntnis. Tja, seit einigen Tagen wissen wir: Nicht nur Schulabgänger haben Schwierigkeiten beim Lesen, auch ältere Menschen plagen sich beim Erfassen eines Textes. Und auch in der Mathematik ist es nicht anders.

Anders gesagt: Blöd waren wir schon vorher. Die Vorgängergenerationen waren nicht unbedingt klüger. Man hat sie nur seltener über ihr Allgemeinwissen ausgequetscht. Wären sie in einem solchen Ambiente aus Rating-Fetisch und Wertungswut aufgewachsen, sie wären schon vor Jahrzehnten die immer blöder werdenden Generationen gewesen.
Mein Vater erzählte gerne von jenen Arbeitskollegen in den Sechzigern, die ihre Lohntüte nicht selbst nachrechnen konnten, die prozentuale Zuschläge für Zauberwerk hielten. Ein anderer Kollege wettete mit ihm, dass Mallorca eine eigene Nation, jedenfalls aber nicht spanisches Territorium sei. So viel Besserwisserei gegenüber jemanden, der aus Spanien kommt, ist kaum nachvollziehbar. Wenn Dummheit auch noch frech wird, droht entweder Gefahr oder es gibt etwas zu lachen. Und dann waren da noch seine Schwiegereltern, die ihn auslachten, weil er seine Heimat als bergig beschrieb. Spanien sei eben, meinten die. In einem alten Schlager, so argumentierten sie, gab es Orangen und Palmen, aber von Bergen war da nie die Singe.
Klar, es gibt viele junge Leute, die ungebildet sind. Aber die gab es in jeder Generation. Heute habe sich jedoch ein Chic herausentwickelt, orakeln Soziologen allwissend. Man sei stolz auf sein Unwissen, kultiviere diese Scheißegal- und Interessiert-mich-nicht-Haltung und schäme sich nicht mehr. Das ist soziologische Wichtigtuerei. Ähnlich war es immer. Man denke nur an all die Leute, die ihren begrenzten Bildungshorizont an ihr Umfeld vermittelten und auch noch pampig wurden, wenn dieses Umfeld das nicht so sah. Ja, man denke nur mal an den Typen, der Mallorca als nicht-spanisch einstufte und auch noch wie ein Oberlehrer auftrat.
Die Studie der OECD belegt: Je höher der Bildungsabschluss, desto besser die Resultate in den jeweiligen Sparten. Meine persönliche Erfahrung mit neuen Abschlüssen, mit Bachelor und Master, sagt mir etwas anderes. Ohne Anspruch auf Richtigkeit natürlich. Vor Jahren bat mich ein eben vollendeter Bachelor, ich sollte doch mal seine Bewerbung durchlesen, die er an ein Unternehmen schicken wollte. Das tat ich. Es war grauenhaft. Zwar nur überschaubare Rechtschreibfehler, aber eine Syntax, dass es einem die Schuhe auszog. In Erinnerung blieb mir: "Ich habe ihre Stelle in der Zeitung gesehen." Ich fragte mich spontan, ob man da eventuell Fotos vom Arbeitsplatz in die Stellenanzeigen gedruckt hatte. Einige Zeit später geriet mir der Text einer Frau, die den Master gemacht hatte, in die Finger. Wenn man sich die Korrespondenz zwischen Personen aus der so genannten "bildungsfernen Schichten" vorstellen müsste, dann sähe die genau so aus. Keine Satzzeichen, orthographische und grammatikalische Fehler wechselten sich in schöner Regelmäßigkeit ab, um teilweise miteinander zu verschmelzen. Hier ging es mir wie vielen Testpersonen der OECD-Studie: Ich konnte anhand dieses Textes keine Lesekompetenz entwickeln. Ich verstand kaum etwas.
Legte das traditionelle Studium noch wenigstens etwas Wert darauf, dass sich der Absolvent vollumfänglich als Vertreter einer wie auch immer definierbaren Bildungselite ausdrücken konnte, so sind die neuen Abschlüsse rein praxisbezogen, haben jeglichen "Schnickschnack" ausgemerzt. Universelle Wissensvermittlung über das Fach hinaus nimmt man nur als Hemmnis wahr. Was ich jedoch sagen will: Vielleicht sollte man eine gezielte Studie unter Bologna-Abschlüssen anstreben. Man dürfte gespannt sein, ob diese "höheren Abschlüsse" auch bessere Werte zeitigten. Ich bezweifle dies.
Die Studie ist Trost und Armutszeugnis zugleich. Trost, weil wir eben nicht dümmer werden, sondern immer schon ein ordentliches Maß an Unbildung in unserer Mitte ertragen mussten. Und Armutszeugnis, weil es das Bildungswesen nach tausenden von Reformen und neuen Konzepten kaum geschafft hat, eine nennenswerte Steigerung des Bildungsniveaus zu erzielen.
Ob denn eine Zentralisierung des deutschen Schulwesens Früchte tragen würde, bleibt fraglich. Verwaltungsreformen sind eben nur Verwaltungsreformen. Und dann ist ja fraglich, welches Schulsystem sich bundesweit durchsetzt. Das paternalistische Konzept aus Bayern, in dem es starre Vorgaben aus München gibt, das teils undurchlässig und klassistisch ist, teilweise aber auch kindgerechter und liberal? Oder das Laissez-faire aus Hessen, in dem jede Schule ihr eigenes Süppchen kocht und es Rektoren freisteht, sich schulfremde Sponsoren ins Haus zu holen - und in dem Eltern ohne Rücksicht auf die Substanz ihres Kindes entscheiden können, ob sie ihr Kind trotzdem auf ein Gymnasium schicken wollen oder nicht? Aber das ist Föderalismusdebatte. Ich sollte das mal gesondert erläutern. Heute jedoch nicht.
Selbstverständlich muss man nicht jeder Studie gleich Wahrheit attestieren. Es ist schon fraglich, ob man die Lesekompetenz von Lesern deutscher Texte oder japanischer Wort- und Satzzeichen überhaupt vergleichen kann. Und diejenigen, die bewerten, was verstehen sie in jeweiligen Kultur- und Sprachkreisen eigentlich unter "Leseverständnis"? Überhaupt müsste man sich auch mal erläutern lassen, wie die Bedingungen bei den Tests waren. Als Stefan Sasse noch hübschere Texte schrieb, hat er mal über die PISA-Studie berichtet, wie deren Testläufe so gehandhabt wurden: "... wer 15jährigen sagt, dass der Test anonym ist, nichts zählt, sie an dem Tag keine Schule haben und zudem gehen dürfen, wenn sie fertig sind, braucht sich kaum über das Ergebnis zu wundern." Auch so kann man Ergebnisse verfälschen. Wie das bei der Studie der OECD war, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Deshalb gilt es besonders vorsichtig zu sein.
Was ich sagen will: Vielleicht kann man Wissen gar nicht standardisiert prüfen. Das wäre schön, denn dann wüssten wir nicht, dass wir so blöd sind wie wir es eh und je schon waren.


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