Sarrazin schreibt ein Buch

Sarrazin schreibt ein Buch

… und es ist logisch, dass ich darauf reagiere wie der Stier auf das rote Tuch.

Weshalb nur wundert es mich überhaupt nicht, dass Thilo Sarrazin sein Buch bei der BILD promoten darf? Unter der Schlagzeile “Deutschland wird immer ärmer und dümmer!” verbreitet er sein übliches Halbwissen. Gepaart mit verbalen Ausfällen gegen all die, die er für die Upperclass hält. Ein wahrlich widerliches Geschreibsel.

Fast hätte ich Lust, den gesamten Artikel Wort für Wort zu zerpflücken. Aber da die BILD bereits ankündigt, dass noch mehr von dieser Volksverblödung zu erwarten ist, heb ich mir noch etwas für die kommenden Tage auf.

Als ich Sarrazin letztens Demagogie vorwarf, bekam ich bei Facebook dafür arge Schelte. Nun kann ich problemlos auf den BILD-Artikel verweisen, denn da schreibt er:

Geburtenrückgang, Bildungs-Misere, wachsende Unterschicht und mangelnde Integration – wenn nicht bald etwas passiert, schaffen sich die Deutschen selbst ab.

Er begründet diese merkwürdigen Themen damit, dass “eine Nettoreproduktionsrate (Töchter pro Frau, d. Red.) von 0,7 oder weniger, wie wir sie seit 40 Jahren haben” bedeutet,  “dass die Generation der Enkel jeweils halb so groß ist wie die der Großväter. Die Geburtenzahl sank in Deutschland von über 1,3 Millionen jährlich in der ersten Hälfte der Sechzigerjahre auf 650 000 im Jahr 2009 ab.”

Das klingt erst einmal logisch. Ist es aber nicht. Denn:

Dieses Szenario weist zwei grundlegende Probleme auf. Das erste davon ist die demographische Entwicklung an sich. Die Vorhersagen, auf denen das ganze Horrorszenario beruht, sind nicht besser als Kaffeesatzleserei. Eine Voraussage über 50 Jahre in die Zukunft ist vollkommen unseriös. (Quelle: Oeffinger Freidenker – ich empfehle sehr die Lektüre des gesamten Artikels)

Dabei spricht Sarrazin im Weiteren an, dass diese (wie gesehen: falsche Folgerung) nur die “ur”deutsche Bevölkerung betrifft. Migranten, auch die der dritten Generation, zählen für ihn nicht als Deutsche. (Ich nenne dieses Denken im Übrigen “Rassismus”.):

Geht das so weiter – und warum sollte sich etwas ändern an diesem Trend, der schon über vier Jahrzehnte anhält –, dann wird in 90 Jahren die Zahl der Geburten in Deutschland bei rund 200 000 bis 250 000 liegen. Höchstens die Hälfte davon werden Nachfahren der 1965 in Deutschland lebenden Bevölkerung sein.

Ja und? Vermutlich hält Sarrazin die Deutschen für etwas Besonderes. Mit dieser Idee sollte er mal in die USA gehen. Man würde ihn dort nur verständnislos anschauen (außer in einigen Teilen des Südens, wo sich die “Weißen” für besser als alle anderen halten”).

Es ist mir persönlich ziemlich egal, ob mein Nachbar in der siebenunddreißigsten Generation “ur”deutsch ist. Genau genommen trifft das auf Viele, die sich genau so fühlen, sowieso nicht zu. Wie viele Nachkommen der Hugenotten gibt es in und um Berlin, wie viele polnischstämmige im Ruhrpott? Da stellt sich mir die Frage, ab wann Sarrazin (und Gleichdenkende) Menschen mit dem Stempel des Deutschseins bedienen mögen. Ehrlich: ich kann auf einen solchen Stempel gut und gern verzichten.

File:Thilo Sarrazin030709.jpg

Photo: wikimedia

Und weil Sarrazin sich für einen Helden hält und einen, der ausspricht, was die Wahrheit sei, folgert er:

Über die Folgen des Geburtenrückgangs durfte man Jahrzehnte überhaupt nichts sagen, wenn man nicht unter völkischen Ideologieverdacht geraten wollte. Das hat sich inzwischen geändert, da die Generation der Achtundsechziger Angst um ihre Rente bekommen hat.

(noch Fragen, weshalb die BILD das druckt?: 68iger-Bashing kommt da immer gut.) Ich halte das für einen hahnebüchenden Unsinn. Denn selbstverständlich konnte man immer darüber reden. Der oben zitierte Artikel des Oeffinger Freidenkers zeigt auf, wieso und weshalb das politisch eher nicht gewollt war. Wer ist – in Sarrazins Satz – “man”? Es gab Medien, die darauf hingewiesen haben, dass dieses Land einen Bevölkerungswechsel erleben wird und erlebt. Nur waren diese Hinweise nicht sonderlich gern gesehen.

Erlaubt ist aber seit einiger Zeit solche demagogischen und unterschwellig abgrenzenden Bemerkungen zu machen:

Die sozialen Belastungen einer ungesteuerten Migration waren stets tabu, und schon gar nicht durfte man darüber reden, dass Menschen unterschiedlich sind – nämlich intellektuell mehr oder weniger begabt, fauler oder fleißiger, mehr oder weniger moralisch gefestigt – und dass noch so viel Bildung und Chancengleichheit daran nichts ändert.

Chancengleichheit? Hallo? Für Migranten? Auf welchem Planeten lebt der Mann? Sicherlich nicht hier auf der Erde. Und keinesfalls in deutschen Großstädten. Egalität haben nicht einmal die fehlerbehafteten Multi-Kulti-Befürworter gesehen. Dass Menschen unterschiedlich sind, ist von einer solchen Plattheit, dass sie nur einem Demagogen als Neuheit aus der Feder springen kann. Denn im Kontext mit seinen üblichen Äußerungen gilt das natürlich nur – und vor allem die negativen Benennungen – für “Nicht”Deutsche.

Die Verblödung des Volkes ist unter anderem auch solchen Medien zu verdanken, in denen solche Artikel wie der von Sarrazin erschienen ist. “Den grössten Erziehungsfehler nennt Gotthold Ephraim Lessing, ‘dass man die Jugend nicht zum eigenen Nachdenken gewöhnt…’ Das ist kein Fehler. Das ist Absicht!” – so Karlheinz Deschner.

Nur noch ein paar Worte zu diesem unsäglichen Artikel. Sarrazin schreibt:

Es war tabu, darüber zu reden, [...]

• dass wir als Volk an durchschnittlicher Intelligenz verlieren, wenn die intelligenteren Frauen weniger oder gar keine Kinder zur Welt bringen

• dass der Einzelne selbst für sein Verhalten verantwortlich ist und nicht die Gesellschaft.

Beim Ersteren ist gegenzufragen: Weshalb haben sich seiner Meinung nach intelligentere Frauen für Karriere und gegen die Einengung durch Familie und Kinder entschieden? Vermutlich, weil dieses Gesellschaft so ungeheuer kinderfreundlich ist.
Beim Zweiten: ich kann mich nicht erinnern, jemals gehört zu haben, dass das Ego des Einzelnen nicht im Mittelpunkt stehen würde in dieser Gesellschaft, die nicht umsonst “Ellenbogengesellschaft” genannt wird. Das nenne ich “Umdrehung der Tatsachen”.

Dass der Mann der Meinung ist, das Menschen einen freien Willen im schlechtesten biblischen Sinne haben, beweist er mit diesem Satz:

Die Tendenz des politisch korrekten Diskurses geht dahin, die Menschen von der Verantwortung für ihr Verhalten weitgehend zu entlasten, indem man auf die Umstände verweist, durch die sie zu Benachteiligten oder gar zu Versagern werden

Es muss mir bisher irgendwie entgangen sein, dass es die “Tendenz des politisch korrekten Diskurses” ist, den Menschen als von der Umwelt determiniertes Wesen wahrzunehmen. Das wird jeder HartzIV-Empfänger bestätigen, der auf dem Amt erklären muss, weshalb er sich nicht genügend anstrengt.

Ein Letztes noch:

Machen die Kinder von Alleinerziehenden in pädagogischer Hinsicht Schwierigkeiten, so ist dafür die Gesellschaft verantwortlich, die den Alleinerziehenden nicht genügend Unterstützung gewährt. Dabei wäre doch zu fragen, welche gesellschaftlichen Umstände und individuellen Dispositionen dazu führen, dass es so viele Alleinerziehende gibt, und was man dagegen tun kann.

Genau Thilo! Du hast ja so Recht! Es sollte einfach keine Alleinerziehenden mehr geben. Dann hätte nicht die Gesellschaft Verantwortung für diese. Sondern der Ehemann. Die gesellschaftlichen Umstände müssen sich so verändern, dass Alleinerziehende (Frauen zumeist) nicht als erste von Armut betroffen sind.
Was man dagegen tun kann? Warum sollte “man”? Die Welt dreht sich, Herr Sarrazin. Schon bemerkt? Und die Vorstellungen der Mitglieder der Gesellschaft (man nennt diese auch “Menschen”) haben sich in den letzten 50 Jahren grundlegend verändert. Nur der Politik und den Kirchen scheint das noch nicht aufgegangen zu sein.

Na gut, Einen leg ich noch drauf: weil es so wahnsinnig schön ist:

… Aber wir machen uns Gedanken über das Weltklima in 100 oder 500 Jahren.

Mit Blick auf das deutsche Staatswesen ist das völlig unlogisch, denn beim gegenwärtigen demografischen Trend wird Deutschland in 100 Jahren noch 25 Millionen, in 200 Jahren noch 8 Millionen und in 300 Jahren noch 3 Millionen Einwohner haben. Warum sollte uns das Klima in 500 Jahren interessieren, wenn das deutsche Gesellschaftsprogramm auf die Abschaffung der Deutschen hinausläuft?

Gegenfrage, Herr Sarrazin: Glauben Sie im Ernst, dass es

  1. in 500 Jahren die Welt noch gibt. Und wenn, ob man sich
  2. darüber Gedanken machen wird, ob es Deutschland noch gibt.

So wichtig hat sich nicht einmal das römische Imperium genommen.

Nic


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