Roche schreibt Geschichte

Der Basler Chemiekonzern Roche hat die Geschichte seiner Pharmatests in der DDR selber aufgearbeitet. Das Resultat ist zwiespältig.

Was geschah wirklich in den Kliniken und Spitälern der DDR? Welche Medikamente liessen westliche Pharmafirmen an ostdeutschen Patienten testen, und wie viele Todesfälle gab es dabei? Diese und weitere Fragen untersucht derzeit in Deutschland eine Forschungsgruppe um den Berliner Medizinhistoriker Volker Hess. Den Anstoss für die Aufarbeitung dieses bisher kaum beachteten Kapitels der ostdeutschen Geschichte hatten 2013 Berichte in verschiedenen Medien gegeben.

Der BEOBACHTER enthüllte in den vergangenen Monaten, dass auch Schweizer Firmen, unter ihnen die Weltkonzerne Ciba-Geigy, Sandoz (heute zusammen Novartis) und Hoffmann-LaRoche, von den 70er-Jahren bis 1990 in der DDR hatten Medikamente testen lassen – mit dem Wissen der schweizerischen Bundesbehörden.

Eine Roche-interne, 24-köpfige Arbeitsgruppe, die auch die DDR-Tests der Roche-Tochterfirmen Boehringer-Mannheim und Syntex untersuchte, stiess bei ihren Recherchen auf insgesamt 2247 ostdeutsche Patienten in 46 Studien, wobei Boehringer-Mannheim für rund 80 Prozent der Tests verantwortlich zeichnete. Dabei kam es zu 51 Todesfällen. Lediglich drei davon stehen nach Roche-Erkenntnissen in einem direkten Zusammenhang mit den getesteten Medikamenten.

Keine Dokumente publiziert

Der nur per Passwort und nur für Personen mit einem «berechtigten wissenschaftlichen, publizistischen oder persönlichen Interesse» zugängliche Bericht zeugt zwar von einem Willen, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Die darin aufgeführten Erkenntnisse lassen sich jedoch nicht überprüfen, da Roche keine Originaldokumente veröffentlicht.

Das ist ein Mangel des Roche-Berichts, und nicht der einzige: Während die deutsche Forschungsgruppe um Volker Hess sich um eine wissenschaftliche Aufarbeitung und Einordnung bemüht und dazu insbesondere auch die umfangreichen Akten aus dem deutschen Bundesarchiv aufarbeitet, belässt es Roche bei Recherchen in den firmeneigenen Archiven. Dabei erlaube gerade die Unterlagen aus dem Bundesarchiv Einblicke in die Praktiken in den DDR-Kliniken – und zeigen auf, dass längst nicht alle Patienten in die Teilnahme an klinischen Studien eingewilligt haben. Roche hingegen hält fest: «Die Einwilligung wurde entweder schriftlich oder mündlich unter Anwesenheit eines Zeugen erteilt, was über die damaligen gesetzlichen Anforderungen hinausging.»

Der Basler Konzern hat also nach eigenen Angaben rund 4000 Arbeitsstunden in einen internen Bericht investiert, der nicht alle verfügbaren Quellen berücksichtigt. Rechnet man konservativ mit einem Stundenansatz von 150 Franken, so hat Roche also rund 60 000 Franken (50 000 Euro) ausgeben. Das Geld hätte auch die mit bescheidenen Mitteln ausgestattete deutsche Forschungsgruppe gut gebrauchen können. Sie hat für die Aufarbeitung der gesamten Geschichte der Medikamententests in der DDR gerade einmal 300 000 Euro zur Verfügung.

Auf Anfrage erklärt Roche, man sei überzeugt, «dass das gewählte Vorgehen nicht nur wissenschaftlich angemessen ist, sondern auch der Sensibilität des Sachverhalts Rechnung trägt.» Sollte die offizielle deutsche Arbeitsgruppe vorstellig werden, so sei man «selbstverständlich bereit, weitere Fragen zu beantworten».

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