Review: PRISONERS - Der Zuschauer wird selbst zum Gefangenen

Review: PRISONERS - Der Zuschauer wird selbst zum Gefangenen
Fakten:
PrisonersUSA. 2013. Regie: Denis Villeneuve. Buch: Aaron Guzikowski. Mit: Hugh Jackman, Jake Gyllenhaal, Terrence Howard, Viola Davis, Maria Bello, Melissa Leo, Paul Dano, Dylan Minnette u.a. Länge: 153 Minuten. FSK: Ab 16 Jahren freigegeben. Im Kino.
Story:
In einer Kleinstadt werden die Tochter des Schreiners Keller Dover und deren beste Freundin entführt. Detective Loki soll die beiden Kinder wiederfinden. Doch Dover und Loki geraten schon bald aneinander, denn dem Familienvater gehen die Ermittlungen des jungen Polizisten nicht schnell genug geht. Als der Hauptverdächtige, der geistig zurückgebliebene Alex Jones, von der Polizei wieder freigelassen wird, nimmt Dover das Gesetz in die eigene Hand. Weiterhin überzeugt von der Schuld des jungen Mannes entführt er Alex und will das Versteck der Kinder aus ihm herausfoltern.

Meinung:
Besonders groß ist der Frankokanadier Denis Villeneuve noch nicht in Erscheinung getreten. Zwar hat er mit „Die Frau die singt – Incendies“, der für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert wurde, bereits auf sich aufmerksam gemacht, doch darüber hinaus dürfte er nur echten Filmexperten ein Begriff gewesen sein. Dies dürfte sich in Zukunft ändern, denn mit seinem US-Debüt „Prisoners“ ist dem Regisseur ein echter Lichtblick im Thrillergenre gelungen. Bei einem Budget von 46 Millionen Dollar hat er einen düsteren, extrem spannenden Film geschaffen, der mit Starbesetzung und angespannter Atmosphäre gleichermaßen punkten kann.

Review: PRISONERS - Der Zuschauer wird selbst zum Gefangenen

Keller Dover glaubt nicht, dass Alex unschuldig ist.

Der Titel des Films spricht für sich, denn eigentlich alle Figuren sind in irgendeiner Form gefangen. Manche ganz wörtlich, wie die beiden entführten Kinder oder Alex, der von Keller ebenfalls eingesperrt und brutal gefoltert wird. Aber auch Keller selbst ist gefangen in seinen Vorstellungen, dass er Recht hat und das Richtige tut. Seine Ehefrau ist in der Hand von Tabletten, die Eltern des anderen Kindes in der Frage zwischen Richtig und Falsch. Ja, selbst Detective Loki ist durch die Vorschriften und die Bürokratie zumindest eingeengt und kann dadurch seinem Job nicht so nachgehen, wie er es vielleicht gerne möchte. Und sie alle sind gefangen darin, dass sie zu keinem Zeitpunkt aufgeben wollen, die beiden Mädchen wieder zu finden. Vielleicht, und das ist der einzige kleine Schwachpunkt des Films, sind die Figuren etwas zu klischeehaft angelegt, aber fällt das kaum ins Gewicht, da der Film dies an anderer Stelle doppelt und dreifach wieder ausgleichen kann.

Gemeint ist die unheimlich packende Atmosphäre des Films. Es ist nahezu unmöglich, nicht wie gebannt im Sessel zu sitzen, um der spannenden Story zu folgen. Immer wieder kommen schockierende Momente, die einen den Atem stocken lassen, vor allem aber fiebert man mit den Protagonisten mit, ob und wenn ja wie sie die Vermissten Kinder wiederfinden werden. Und dann gibt es auch die Szenen, in denen man seine Fingernägel in die Armlehne krallen will – wenn man denn noch welche hätte, denn die dürften schon nach kurzer Zeit abgeknabbert sein. „Prisoners“ stellt abr auch die interessante Frage, wie weit man in einer solchen Situation, in der sich Keller befindet, gehen darf, um seine Kinder wieder zurück zu bekommen. Ist Selbstjustiz okay? Wenn ja, mit welchen Mitteln und mit welchen Folgen? Angenehmerweise liefert Villeneuve aber nicht auch gleich die Antworten dazu, sondern lässt den Zuschauer sich selbst ein Bild machen, selbst Stellung beziehen. Moral und Ethik gehen Hand in Hand mit faszinierend-grausamen Bildern und einer spannenden Entführungsgeschichte, die Villeneuve mit den Motiven eines Serienkillerfilms vermischt, dabei aber weniger auf die Arbeit des Verbrechers eingeht, sondern Polizei und Angehörige auf der Suche nach den Vermissten zeigt. Er gibt den Zuschauern viel Freiraum, selbst mitzurätseln und immer wieder neue Theorien aufzustellen. Dennoch dürfte die Auflösung in der Form wohl kaum zu erkennen sein und die meisten Zuschauer überraschen.

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Die zwei sind sich bei der Vorgehensweise nicht einig.

Optisch erinnert der Film immer wieder an große Thriller der Vergangenheit. Vieles spielt sich in großer Dunkelheit ab, ist düster und schmutzig, wie es in David Finchers Filmen „Sieben“ oder „Zodiac“ oft der Fall ist. Aber dazu kommen auch immer wieder fast neonartige, gleißend blaue und gelbe Lichter, die dann eher an die 80er-Jahre-Optik eines Michael Manns erinnern. Eine Teilschuld am hervorragenden Aussehen des Films trägt Kameramann Roger Deakins, der besonders für seine Zusammenarbeit mit den Coen-Brüdern bekannt ist und für seine Leistung im neuesten James Bond Abenteuer „Skyfall“ bereits zum zehnten Mal für einen Oscar nominiert wurde, ihn aber noch nie gewinnen konnte. Seine Bilder fangen die rohen Augenblicke von Gewalt genauso ein wie die großen Gefühle oder die nervenzerfetzende Spannung. Manchmal sieht man dabei nur schemenhafte Figuren ohne klare Kontur, ein anderes Mal nur vereinzelte helle Flecken in sonst tiefer Schwärze.

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Detective Loki bei den Eltern des verschwundenen Kindes.

Ein weiterer der vielen Höhepunkte des Films sind aber die darstellerischen Leistungen. Hugh Jackman beweist einmal mehr, dass er tatsächlich ein herausragender Schauspieler ist und stapft relativ ungestüm durch den Film. Ja, sein Gang ist fast noch beeindruckender als seine blutunterlaufenen Augen, die die Trauer, Müdigkeit, Verzweiflung und Wut stark symbolisieren. Jake Gyllenhaal, der mit vielleicht etwas merkwürdiger Frisur zu Beginn noch den Scheißegal-Cop gibt, wird im Lauf des Films immer stärker, reißt ihn mehr und mehr an sich und spielt, eigentlich kaum vorstellbar, den hervorragenden Jackman an die Wand. Es ist schwierig, aus der illustren Runde der Nebendarsteller einer Leistung besonders herauszuheben, eindrucksvoll und vor allem zur Atmosphäre des Films passend sind sie nämlich ohne Ausnahme. Denn sie alle, neben den beiden Hauptdarstellern sind dies Viola Davis, Terrence Howard, Maria Bello, Paul Dano und Melissa Leo, bekommen nämlich die Möglichkeit, ihre Stärken auszuspielen. Jeder erhält genügend Raum, um seine Rolle weiter auszuschmücken und zu beweisen, welch gute Schauspieler hier versammelt sind.
Mit „Prisoners“ ist Denis Villeneuve bei seinem US-Debüt ein unheimlich packender Thriller gelungen, der in Tradition von Finchers „Sieben“ oder auch einem Michael Mann steht. Schauspielerisch exzellent, besonders Jake Gyllenhaal als tätowierter und bis nach oben hin zugeknöpfter Cop ist hier hervorzuheben, kann der Thriller aber vor allem durch seine spannende Geschichte punkten, die den Zuschauer zu keiner Zeit zu Ruhe kommen und die 153 Minuten wie im Flug vergehen lässt. Themen wie Moral und Religion bringen immer wieder neue Aspekte hinein und machen den Film abwechslungsreich. „Prisoners“ schafft es, dem zum Großteil etwas angestaubten Thrillergenre wieder zu neuem Glanz zu verhelfen, wobei dieser Glanz erfreulicherweise düster und schmutzig ist.
„Prisoners“ macht auch die Zuschauer zu Gefangenen, denn er lässt sie zweieinhalb Stunden wie gefesselt auf die Leinwand starren und gibt ihnen keine Chance zu entkommen. Ganz klar eines der Highlights des Kinojahres 2013.
9,5 von 10 verschlossene Plastiktruhen

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