Proteste unerwünscht - das Regime im Iran verschärft seine Abschreckung

Proteste unerwünscht - das Regime im Iran verschärft seine Abschreckung

03.02.2010Artikel zu Iran Hintergrund erstellt von Helmut N. Gabel

Iran ist im Besitz raffiniertester Überwachungstechnologie. Trotzdem zittert das Regime vor den möglichen Protesten am 11. Februar. Jetzt setzt es seine schärfste Waffe ein: ideologische Verdrehungen.

Proteste unerwünscht - das Regime im Iran verschärft seine Abschreckung

Stellen Sie sich vor, Sie demonstrieren friedlich für eine politische Vision, die eine andere als die gesellschaftspolitische Vision der Herrschenden ist. Sie meinen es Ernst. Jahrelang haben Sie sich nicht auf die Straße gewagt, um Ihrer Meinung Luft zu verschaffen. Gerade gibt es einen Anlaß, der große Massen mobilisiert gegen die herrschende politische Klasse und bestimmte Einseitigkeiten zu protestieren. Damit Sie nicht alleine auf der Straße sind, haben Sie vorher Freunde per SMS verständigt und den einen oder anderen auch angerufen und aufgefordert mit auf die Straße zu gehen. Noch ahnen Sie nicht, dass Ihnen das zum Verhängnis wird. Kurz nach der Demonstration kommen einige zivil gekleidete Geheimdienstmänner zu Ihnen nach Hause, beleidigen alle Anwesenden, konfiszieren von Satellitenschüsseln über Computer, Notizbücher bis zu Mobiltelefonen alles was Informationen enthalten und vermitteln könnte. Selbstverständlich werden Sie abgeführt ohne zu erfahren, was gegen Sie vorliegt. Sie können froh sein, keine dicke Lippe riskiert zu haben, noch werden Sie nicht geschlagen. Später erfahren Sie, dass es anderen in dieser Phase nicht so gut ergangen ist. Im Gefängnis werden Sie mit Ihren SMS und Ihren Anrufen konfrontiert. Hochentwickelte Technologie aus einem westlichen Land steht den Herrschenden zur Verfügung. Alles kann mitgehört, mitgelesen und mitdokumentiert werden. Die Vorwürfe gegen Sie lauten Anstiftung zum Landesverrat, Bildung einer terroristischen Bewegung und durch den offenen Protest auf der Straße, Kampf gegen Gott. Sie sind ein Mohareb. Ihnen droht die Todesstrafe.
Nun, wir in Europa sind von solchen Zuständen nicht betroffen. Aber im Iran ist eine solche Entwicklung dieser Tage möglich. Die Regierung im Iran versucht die Bevölkerung mit derlei Anklagen gegen Protestierende einzuschüchtern. Ende Januar sind zwei politische Gefangene, die bereits vor den Junidemonstrationen in Haft gekommen waren mit dem Vorwurf gegen Gott zu kämpfen, hingerichtet worden. Sie hatten keine Straftat begannen, bei ihnen wurden keine Waffen gefunden, allein ihre Einstellung zum Regime reichte dem Richter aus, um das Todesurteil zu fällen. 
Am 11. Februar 2010 jährt sich die Absetzung des Schah im Iran und der Beginn einer Radikalisierung weiter Teile der Gesellschaft im Iran durch Staatskleriker, die einen exportorientierten messianischen, schiitischen Politislam predigten. Nach den vermutlich gefälschten Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 brach ein Sturm der Entrüstung, der sich vornehmlich bei vielen jungen Menschen im Iran angestaut hatte, aus. Sie fühlen sich um ihre Stimme, ihre Entwicklung, ihre Freiheit und ihre Zukunft betrogen. Zuletzt wurden die fortwährenden Proteste Ende Dezember 2009 an Aschura, einem heiligen Tag der Schiiten, wieder von vielen Iranern auf den Straßen aufgegriffen. Das brutale vorgehen von Sicherheitskräften gegen die Demonstranten hat Iran viele negative Schlagzeilen weltweit eingebracht. Den 11. Februar wollen Oppositionelle wieder als Anlass nehmen ihre freie Meinung in den Straßen zum Ausdruck zu bringen. Das und die negativen Schlagzeilen will das Regime mit aller Macht verhindern. Schliesslich geriert es sich durch seinen Präsidenten Ahmadinedschad als  Robin Hood und Vorkämpfer für alle Unterdrückten in der Welt. 
Feinde Gottes
Das schwerste Geschütz, das nun von Staatsklerikern aufgefahren wird, heißt Mohareb. Einst verstanden fromme Muslime zu Zeiten Mohammeds unter Mohareb bewaffnete Krieger, die sich gegen sie wandten und sie aufgrund ihrer Fömmigkeit bekämpften. Im Iran wird der Begriff weit ausgedehnt: jeder, der auf der Strasse gegen das Regime protestiert, läuft Gefahr als Mohareb (Feind Gottes) abgeurteilt und durch den Strang hingerichtet zu werden. Die iranische Justiz hat weitere Hinrichtungen von Regierungskritikern angekündigt. Gegen neun Angeklagte werde in Kürze das Todesurteil vollstreckt, sagte laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Fars der erste stellvertretende Leiter der iranischen Justizbehörden, Ebrahim Raissi, bei einer politischen Veranstaltung in einer Moschee in Ghom. Alle Betroffenen seien "mit einer konterrevolutionären Strömung verbunden und haben an den Unruhen mit dem Ziel, die Führung zu stürzen, teilgenommen". Solche Ankündigungen dienen der Diskreditierung des Gegners und sollen die Angst schüren sich für seine rechte auf die Straße zu wagen.

Der Prozess gegen die Bahá’í-Führungsriege
Die Glaubensgemeinschaft der Baha'i in Deutschland ist in Sorge um Ihre iranischen Glaubensgenossen. Angesichts der Tendenzen des Regimes alle möglichen Gruppierungen im Iran als Sündenböcke für die Unruhen darzustellen ist das eine berechtigte Befürchtung. 
Am 7. Februar soll vor der 28. Kammer am Teheraner Revolutionsgericht der Prozess gegen die Baha'i Führungsriege fortgeführt werden. Der Prozess begann am 12. Januar 2010, nachdem die sieben Angeklagte über 20 Monate im berüchtigten Evin-Gefängnis inhaftiert waren. Die Verhandlung soll laut Anwälten der Inhaftierten öffentlich stattfinden.
Die sieben Baha'i wurden schon im Frühling 2008 verhaftet. Über ein Jahr wurde keinerlei Anklage erhoben, auch konnten Familienangehörige und Anwälte erst  Monate später Kontakt mit den Gefangenen aufnehmen. Erst im Februar 2009 berichteten staatliche Medien über den Standpunkt der Teheraner Generalstaatsanwaltschaft. Die anwaltliche Vertretung hat das Defenders for Human Rights Center übernommen, das von der iranischen Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi mitbegründet wurde. Der erste Verhandlungstag am 12. Januar 2010 brachte folgende Anklagepunkte zum Vorschein: "Spionage", "Propaganda-Aktivitäten gegen die islamische Ordnung", "Aufbau einer illegalen Verwaltung", "Kooperation mit Israel", "Versenden von Geheimunterlagen ins Ausland", Tätigkeiten gegen die nationale Sicherheit" sowie "Verbreitung von Korruption auf Erden". Alle sieben Baha'i haben der Anklage widersprochen. Shirin Ebadi und ihr Team konnten nach Durchsicht der Akten keinerlei individuelle Schuld feststellen.
Am 7. Februar 2010 könnte das Schlimmste aller Urteile gefällt werden. Denn den Bahá’í wird nun zusäzlich in den iranische Medien der Vorwurf gemacht, die gewaltsamen Unruhen um den Aschura-Festtag geschürt zu haben. Aufgrund jüngster iranischer Medienberichte erwartet die Bahá’í Gemeinde Deutschland eine Verknüpfung des Prozesses gegen die ehemalige Führungsriege mit Vorwürfen gegen die am 3. Januar 2010 in Teheran verhafteten zehn Bahá’í. Da die am 12. Januar 2010 vorgetragenen Anklagepunkte gegen die ehemalige Führungsriege nicht haltbar sind,  befürchten die Baha'i, dass mit den Aschura-Vorwürfen nun eine Verschärfung der Anklagesituation entstehen könnte.
Jede Vermutung, dass Bahá’í an der Organisation der Unruhen beteiligt oder im Besitz von Waffen waren, die gegen die Regierung eingesetzt werden sollten, wird von den Baha'i selbst abgewiesen. Sie weisen eine Mitverantwortung an den gewaltsamen Ausschreitungen strickt zurück und betonen demgegenüer den friedlichen Charakter der Bahá’í Religion. Der  Regierung im Iran wird vorgehalten, genau über die grundlegende Lehre der Bahá’í Religion Bescheid zu wissen, und auch zu erkennen, dass die Anhäger sich strickt jeglicher parteiischer, voreingenommener politischer Aktivität enthalten, sei es auf örtlicher, nationaler oder internationaler Ebene.Der Versuch, den Prozess gegen die sieben ehemaligen Mitglieder der Bahá’í Führungsriege mit den Aschura-Unruhen zu verknüfen, sei nur die aktuellste Taktik einer langfristigen, systematischen Kampagne mit dem Ziel, die Bahá’í Gemeinde als eine lebensfäige Gemeinde in diesem Land auszulöchen. Die Verfolgung der Bahá’í in der Islamischen Republik Iran sei allein religiös motiviert, betonen Vertreter der Baha'i in Deutschland. 
Iran betreibt seit vier ein halb Jahren eine konsequente und unberechenbare Politik der Säuberungen und Besetzung von Schlüsselstellen in der Machtstruktur des Landes mit Radikalen. Neben den Baha'i sind ethnische Minderheiten betroffen, Frauenrechtlerinnen, Gewerkschaftler, Journalisten und viele Studenten, die sich als gefährliche Gegner für das Regime entpuppen, da sie zum einen auf Freiheiten pochen und zum anderen mehr Zugang zu Wissen, Informationen und geistigem Gut haben als andere im Iran. Das Regime hat sich sogar an die Sufi Derwische heran gemacht, die im Iran eine starke Verwurzelung und hohe Anerkennung bei der Bevölkerung besitzen. Ihre tolerante und freiheitlich gesinnte Geisteshaltung gefällt dem Regime nicht. Die Sufi lehren einen Gegenentwurf zur Ideologie der Radikalen und gelten grundsätzlich auch als unpolitisch. 

Der gemeinsame Nenner
Der Oppositionspolitiker Mehdi Karroubi bekennt sich klar zum islamischen Herrschaftssystem in Iran. Gleichzeitig ist er eine treibende Kraft sich der Willkür der Regierung Ahmadinedschads und seiner Hinterleute entgegenzustellen. Mehreren Angriffen von Seiten aufgehetzter Bassidschi ist er unversehrt entkommen. Er hat diese Woche schiitische Geistliche und anerkannte Persönlichkeiten der Islamischen Republik aufgefordert "den Menschen zu Hilfe zu kommen". Saham News zitiert Mehdi Karroubi: "Die Leute werden sich am 11. Februar mit großer Kraft für ihre Ziele unter Vermeidung physischer und wörtlicher Gewalt einsetzen". Führende Oppositionelle rufen wiederholt ihre Anhänger zu Gewaltlosigkeit auf. Karroubis Sorge gilt dem Bild der Menschen vom Islam. Er appellierte an die schiitische Geistlichkeit sich für die Menschen einzusetzen, bevor "all die Grausamkeiten dem Islam, den Schiiten und der Geistlichkeit zugeordnet werden". Er bezeichnete als gemeinsamen Nenner der Grünen Bewegung ihre Forderungen nach "freien Wahlen, Pressefreiheit, bedingungsloser Entlassung aller Häftlinge, einer Reform der Regierung und der Justiz, sowie Respekt für die Rechte der Bürger."

Deutschlands Zivilgesellschaft solidarisiert sich mit den Menschen im Iran
Nicht nur vielfältige Gruppierungen von Exiliranern formieren sich in Europa zu offenen und kreativen Protesten gegen das Regime im Iran. Es werden in Deutschland auch Bürger aktiv, die gar nicht so sehr die Sorge um das Atomprogramm im Iran antreibt, als viel mehr die Solidarität mit der Zivilgesellschaft im Iran. Acht Jahre hat man fruchtlos mit wechselnden iranischen Partnern zum Atomprogramm Diskussionen geführt, nur um festzustellen, dass das Regime diplomatische Rücksichten als Schwäche ansieht und gnadenlos ausnutzt. Jetzt regt sich der Widerstand der Bürger auch in Deutschland angesichts der Brutalität eines geschickt lavierenden religiös-politisch legitimierten Systems.
Am 30. Januar führte Amnesty International die Aktion "A face for freedom in Iran" am Hamburger Mönckebergbrunnen durch und konnte mehr als 100 Menschen bei eisigen Temperaturen für Fotos gewinnen. Hamburger zeigten ihr Gesicht aus Solidarität mit Menschen in Schiraz, Isfahan oder Teheran, die sich für ihre Freiheit auf die Straße wagen. Gleichzeitig informierten sie sich über die Verhältnisse und Hintergründe im Iran.
Der Druck von der deutschen Zivilgesellschaft auf das Regime im Iran scheint Früchte zu tragen. Eine Veranstaltung der iranischen Botschaft im Berliner Maritim aus Anlass des Jubiläums am 09. Februar wurde wieder abgesagt. Verschiedene deutsche Nichtregierungsorganisationen, wie das Büro für Menschenrechte und Minderheiten Angelegenheiten in Berlin hatten einen Protest vor dem Maritim geplant und in einem Brief an die Geschäftsleitung des Maritim gegen die Veranstaltung protestiert.
So werden um den 11. Februar nicht nur friedliche Proteste im Iran erwartet, auch in Deutschland finden einige Aktionen statt. Vom 6. bis 13. Februar stellt United4Iran eine Solidaritätswoche für die Grüne Bewegung im Iran auf die Beine. Auftakt wird eine Kundgebung auf dem Kölner Rudolfsplatz am 6. Februar zwischen 15:00 und 17:00 Uhr sein.
Am 12. Februar ruft das Iranische Solidaritätskomitee Stuttgart zu einer Protestkundgebung ab 17:00 Uhr auf dem Schloßplatz in Stuttgart auf. 
Weitere Aktionen sind in Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt, München, Nürnberg, Hannover, Leipzig und Berlin geplant.
Am 19. Februar findet eine Konferenz mit dem Titel "Menschenrechte im Iran-Unterstützung der Zivilgesellschaft aus Europa" in Berlin statt. 
Bei der Konferenz kommen sowohl die eklatanten Verletzungen der Menschenrechte im Iran als auch Hintergründe der Ideologie einer auf Export angelegten Islamischen Revolution zur Sprache. 
Das Szenarion zu Beginn des Artikels sollte lieber nicht weitere Fortsetzungen erfahren. Die Chancen dazu werden größer, wenn die Radikalen in den Reihen des Regimes im Iran gestoppt werden.

 

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