Otfried Preußler: Kriegstraumata und Kinderliebe

Otfried Preußler erzählt Geschichten aus seinem Leben

Foto: Francis Koenig, Quelle: Thienemann

Otfried Preußler stammt aus einer Familie von Geschichtenerzählern und Geschichtensammlern. Großmutter Doras Geschichten von Räubern und Riesen, Nachtgespenstern und Hutzelweibern sind die erzählten Blockbuster in Preußlers Kindheit. Vater Joseph sammelt Märchen und Volkssagen aus dem böhmischen Isergebirge. Otfried Preußler ist wieder ein Erzähler: Er erzählt von der kleinen Hexe und vom kleinen Wassermann, von Wanja und Krabat. Seine Töchter Susanne und Regine haben sich erneut dem Sammeln zugewandt: Sie haben autobiografische Geschichten und Gedanken zusammengestellt, die ihr Vater über Jahrzehnte in kleinen Artikeln geschrieben hat.

Herausgekommen ist ein spannendes quasi-autobiografisches Erinnerungsbuch mit behutsam moderierenden Erläuterungen. Zum ersten Todestag des Geschichtenerzählers stellt das Eulengezwitscher diese Lebensgeschichten vor.

Kriegstraumata und Kinderliebe

Otfried Preußler

Ich bin ein Geschichtenerzähler

Erschienen bei Thienemann im Januar 2010. 272 Seiten kosten in der gebundenen Ausgabe 19,90 €.

 

Otfried Preußlers Kindheit ist glücklich und reich an Geschichten aller Arten. Er liest viel geht sogar gerne in die Schule. Im Berufsleben wird er später selbst leidenschaftlicher Lehrer sein und Geschichten für Kinder erzählen. Die wunderbaren Märchenwelten, die Otfried Preußler mit seinem Vater im Isergebirge erwandert und die in der Abenddämmerung mit seiner Großmutter bereist, werden ihm zur trauten Heimat. Erst die Schrecken des Krieges und der russischen Kriegsgefangenschaft zerstören das Kindheits- und Jugendidyll. Sie traumatisieren Preußler, der sich mit der Überlebenskraft von Gedichten und Geschichten gegen Hunger und Ruhr stemmt. Diese entbehrungsreichen Jahre beschäftigen Preußler in mehreren Erinnerungsartikeln – sie dominieren das erste Buchdrittel und nehmen auch in späten Beiträgen noch eine zentrale Rolle ein (in den Erinnerungen an die gefallenen Kameraden). Dadurch ergeben sich Dopplungen, die aber durch die geschickte Auswahl der Herausgeberinnen keinen Wiederholungscharakter annehmen, sondern die Bedeutung für Preußlers Werdegang hervorheben.

Verlorene Jahre? Es kommt auf den Standpunkt an. Für mich sind es jedenfalls entscheidende Jahre gewesen. Jahre, die für mich für das ganze Leben geprägt haben. Ursprünglich hatte ich vorgehabt, zu dieser Zeit zu studieren, und zwar an der Deutschen Karls-Universität in Prag [...]. Daraus ist nichts geworden. Hitler und Stalin haben mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. […] Heute weiß ich, dass ich mein Studium in den tatarischen Lagern absolviert habe: zehn Semester eines Studiums generale, wie es mir keine Universität der Welt umfassender hätte anbieten können.

Zurück in Deutschland (nicht in der Heimat, die gehörte nach dem Krieg nicht mehr zu Deutschland) kehrt jedoch das kindliche Glück zurück in Preußlers Leben. Er heiratet Annelies und entdeckt seine Fähigkeit, mit seinen Geschichten nicht nur ausgehungerten Kriegsgefangen Mut machen zu können, sondern auch Kinder zu erreichen, die ihm gebannt zuhören. Wieder erwartet ihn eine Prüfung – diesmal aber eine angenehme:

Als Geschichtenerzähler bist du zugleich Intendant, Regisseur und Ensemble eines glorreichen Einmann-Theaters. […] Erst allmählich und unter Mühsal habe ich gelernt, lebendig erzählte Geschichten in Geschriebenes umzusetzen.

Preußler meistert die Herausforderungen glänzend: Seine Kinder- und Jugendbücher haben Generationen von Heranwachsenden geprägt:

Otfried Preußler bei Thienemann (Auswahl). Otfried Preußler bei Thienemann (Auswahl).

Wie ihm das gelingt, und wie daraus all‘ die beliebten Kinder- und Jugendbücher entstehen, haben die Preußler-Töchter durch erneut kluge Zusammenstellung kurzweilig aufbereitet. Preußlers gesammelte Erinnerungen beschränken sich dabei nicht nur auf Lebensstationen und Entstehungsgeschichten seiner Bücher. Auch seine künstlerischen und pädagogischen Überzeugungen sind dokumentiert. Otfried Preußler nimmt Kinder ernst – das macht den Erfolg seiner Geschichten aus.

Kinder brauchen Geschichten. […] In Geschichten erleben Kinder eine erste Begegnung mit der Welt der Literatur. Sie machen die grundlegende, für ihr weiteres Leben möglicherweise entscheidende Erfahrung, was es bedeutet, sich von einer Geschichte einfangen zu lassen, an ihrem Beispiel, mit ihrer Hilfe einen Blick in die innersten Zusammenhänge, die verborgenen Triebkräfte ihrer und unserer Welt zu tun.

Fazit: Das ungewöhnliche Format einer Sammlung von in sich abgeschlossenen autobiografischen Aufsätzen überzeugt. Denken und Leben Otfried Preußlers werden darin vielleicht sogar noch unmittelbarer transportiert als in klassischen Memoiren. Die vielen Generationen von Hotzenplotz- und Krabat-Lesern dürfen sich auf schöne Deja Vus am Mühlenweiler freuen und auf ein – neudeutsch gesagt – literarisches Making Of der Preußler-Klassiker.

Rezension weiterzwitschern:

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