Ort voller Geschichte - Der Alexanderplatz in Berlin

Ort voller Geschichte - Der Alexanderplatz in Berlin
Der Alex ist vielleicht der authentischste Platz in Berlin – mit rauem Charme, viel Vergangenheit und einigen Superlativen.
„Alexanderplatz, teurer Alex, wie haben sie dir zugerichtet … Die Berolina haben sie dir geklaut, schön grün war’s in der Mitte, jetzt gibt’s nur Bauzäune und Löcher“, schrieb der Schriftsteller Alfred Döblin 1929 wehmütig. Otto Alfred Palitzsch, Autor einer Tageszeitung, meinte wenig später ganz ungehemmt: „Der Alexanderplatz ist so charakterlos wie eine Bahnhofshalle. Gewimmel. Sonst nichts. Da drängen sich die Kaufläden aneinander, jedes Fenster ist platzevoll, für einen winzigen Beutel voll Geld kann man alle Schätze der Erde kaufen“. Verdammungen wie diese finden sich viele – bis heute, so auch Historiker Robert Liebscher. Selbst der Regierende Bürgermeister, Klaus Wowereit, befand noch vor kurzem, dass der Alex „hässlich“ sei und einer „Betonschlucht“ gleiche.
Zugegeben: Der Alex ist nicht der schönste unter Berlins Plätzen. Es ist ein 30.000 Quadratmeter großer Platz inmitten der Stadt, ein Verkehrsknotenpunkt und ein Einkaufsparadies. Unterirdisch verkehren die U-Bahnen. Die S-Bahn kreuzt den Platz und schlängelt sich dort entlang, wo einst die alte Berliner Stadtmauer stand. Oben auf dem Platz herrscht unter der Woche hektische Betriebsamkeit. Zehntausende Menschen hetzen hier täglich her – von der Straßenbahn zur U-Bahn, dann weiter auf dem Weg nach Hause, zwischendurch geht man shoppen. Und wenn auf der großen Freifläche wieder einmal ein Volksfest, Weihnachtsmarkt oder Open-Air-Ausstellungen stattfinden, dann wird der Platz manchmal undurchdringbar. Dann scheint hier „janz Berlin uff de Beene“ zu sein.
Die Hektik am Alex hat Tradition: Selbst als der Platz noch vor den Stadttoren lag, wurde hier gelagert und gehandelt. Die Berichte darüber gehen bis ins 17. Jahrhundert zurück. Bedeutung erhielt der Platz vor allem dadurch, dass er direkt auf eines der Stadttore, das Georgentor, zulief. Das Tor, 1746 abgerissen, ist immer noch mit ein wenig Fantasie sichtbar: Der Durchgang zwischen den in den 1930er Jahren von Peter Behrens, einem der bekanntesten Vertreter des Neuen Bauens, erbauten „Berolina“- und „Alexanderhaus“ nimmt die historische Flucht zum Stadttor auf.
Vom Ochsenhandel zum „world class shopping”
Damals, als der Platz nicht mehr als eine Freifläche war, nannte man ihn auch „Ochsenplatz“ oder Platz vor dem Georgentor. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts, unter Friedrich dem Großen, rückte der Platz in den Blick der Stadtplaner. Friedrich der Große beauftragte bedeutende Architekten mit dem Bau repräsentativer und funktioneller Gebäude. Die Neubauten gaben dem Platz erstmals eine erkennbare Form. Teil der Bebauung war das „Arbeitshaus“, in dem Bettler zur Zwangsarbeit untergebracht worden sind. Daneben lebten hier auch „alte und Hülfe verdienende Personen, welche nicht betteln wollen“, „Arme von guter Herkunft“, aber auch „ungetreues, liederliches Gesindel“ – gemeint waren Prostituierte. Schon immer war der Alex ein Platz des „gemeinen Volkes“, einer, wo sich eben alles traf. Da halfen selbst alle Verschönerungsmaßnahmen und adelige Namenspatronen nichts. Aber immerhin bekam der Platz zunehmend ein Gesicht – und damit auch einen offiziellen Namen: Denn als der russische Zar Alexander I. Berlin 1805 besuchte, überquerte er den Ochsenplatz und zog durch das Georgentor weiter zum Schloss. Der Besuch Alexanders war ein Freundschaftsbeweis gegenüber dem preußischen König, der angesichts des Eroberungshungers Napoleons damals arg in Bedrängnis war. Kurzerhand ließ der Preußenkönig den Platz dann nach dem Zaren benennen.
Das Jahr 1805 war aber wahrscheinlich das einzige, in dem es einmal wahrhaft royal am Alex zuging, denn ansonsten fanden hier weiterhin nur Wochenmärkte und Viehhandel statt. Erst auf freier Fläche, dann kamen die ersten Geschäfte und die große Markthalle dazu. Die namhaften Kaufhäuser „Tietz“ (später Hertie) und „Wertheim“ ließen sich hier Ende des 19. Jahrhunderts nieder. Wo heute der Kaufhof mit neuer steinerner Fassade „world class shopping“ verspricht und dem feinen KaDeWe im Westen Konkurrenz machen will, stand seit 1904 das Warenhaus Tietz. Das lockte damals mit der längsten Schaufensterfront der Welt und zeigte „eine Welt von Poesie und Prosa“, wie ein Autor vor 100 Jahren verwundert schrieb. Wenig später kam mit Wertheim unweit des Platzes in der Königstraße ein weiteres Warenhaus hinzu. Selbst zu DDR-Zeiten wurde diese Tradition aufrecht erhalten: Das Centrum-Warenhaus war das „Schaufenster Ost-Berlins“ – hier bekam man vieles, was es sonst in der DDR nicht zu kaufen gab. Und das zeigte die Führung in Ost-Berlin vor allem aus propagandistischen Interessen im Hinblick auf die Besucher aus dem Westen. Selbst die Leuchtreklamen auf den Dächern der Hochhäuser um den Alex herum hatten in der sozialistischen Planwirtschaft einzig zum Ziel, der eigenen Bevölkerung als auch dem Westen zu signalisieren, dass es die DDR auch zur Wohlstands- und Konsumgesellschaft gebracht habe.
Kästners Detektive und Döblins Biberkopf
Neben dem schönen Schein der frühen Konsumwelt gab es aber immer auch das zwielichtige Milieu rund um den Alex – die angrenzenden Arbeiterquartiere Prenzlauer Berg und Friedrichshain, noch lange davon entfernt trendige Szenebezirke zu sein, prägten den Platz. Verbrechen und Prostitution waren hier an der Tagesordnung. Die Spelunken rund um den Alexander-Bahnhof wie „Der Kruke“, die „Wolfsschlucht“ oder „Zum großen Seidel“ (besser bekannt als Brilliantenbörse) waren Treffpunkt einer illustren Halbwelt. Erich Kästner verarbeitete das später in seinem Kinderbuch „Emil und die Detektive“. Der Dramatiker Gerhart Hauptmann siedelte seine Berliner Tragikomödie „Die Ratten“ von 1910 in den kleinbürgerlichen und proletarischen Vierteln um den Platz herum an. Ebenso fing Alfred Döblin das zwielichtige Milieu in „Berlin Alexanderplatz“ ein, worin er mit expressionistischer Wortgewalt diesem Platz ein literarisches Denkmal setzte. Nach wie vor ist es großartig, sich im Sommer auf den Platz zu setzen und Döblins Buch zu lesen. Mit blinzelnden Augen schwirrt dann der Alexanderplatz Döblins und dessen Hauptcharakter Franz Biberkopf vor Ihnen und wird wieder zusammengeschnitten mit der Realität, den Tausenden Menschen, dem Verkehr. Die Großstadt als Wahrnehmungsherausforderung war das große Thema Döblins. Am Alex kann man das immer noch austesten. Wer das Buch übrigens gerade nicht zur Hand hat, kann auch einige Zitate an der Fassade des Bürohausblocks am östlichen Rand des Platzes nachlesen, wo heute unter anderem das Umweltministerium untergebracht ist.
Weltstadtplatz in drei Anläufen?
Der Alex ist Verkehrsknotenpunkt. Er ist ein Ort des Konsums schon seit Generationen. Typisch für ihn ist aber auch, dass er sich immer wieder gründlich verändert hat. Der Platz ist in Bewegung – architektonisch und städtebaulich.
Anfang des 20. Jahrhunderts erfuhr der Platz eine dieser enormen Veränderungen. Die Spuren der ehemaligen königlichen Vorstadt mussten den Baumaßnahmen für U- und S-Bahn weichen. Durch die Eingemeindung der umliegenden Bezirke war Berlin zur größten Stadt des Kaiserreiches mit über vier Millionen Einwohnern geworden. Flächenmäßig stellte Groß-Berlin sogar die größte Stadt der Welt dar – und brauchte seinen Weltstadtplatz. Als wichtigstem Umsteige-, Anlauf- und Verkehrsknotenpunkt maßen die Stadtplaner dem Alex eine besondere Bedeutung bei. Der Platz sollte modern und urban werden. Hier wurden später sogar die Revolutionäre des Neuen Bauens rangelassen. Peter Behrens baute so ab 1929 das „Alexander-“ und das „Berolinahaus“, Beispiele einer neuen schnörkellosen Architektur, die bewusst Assoziationen amerikanischer Modernität hervorrufen sollte. Die beiden Behrens-Bauten sollten der Anfang umfangreicherer Umbauarbeiten sein. Doch erst kam die Weltwirtschaftskrise, dann der Nationalsozialismus. Und mit dem kam dann auch der Krieg. Kaum ein Gebäude am Alexanderplatz blieb vom Bombenhagel unversehrt.
Nach 1945 beschloss man den Wiederaufbau des Platzes, der in der unmittelbaren Nachkriegszeit sogar zum Anbau von Gemüse genutzt worden war. Berlin wurde geteilt, der Alex lag im Osten. Im Zuge des politisch gefärbten Neuaufbaus der geteilten Stadt erhielt der Alexanderplatz seitens der DDR-Führung sein bis heute kaum verändertes Aussehen. Und die Genossen ließen sich nicht lumpen. Nicht weniger als den „sozialistischen Hauptstadtplatz“ wollten sie mit dem Alex schaffen. Anfang der 1960er Jahre entstanden die ersten markanten Gebäude, das Haus des Lehrers und die Kongresshalle, die Symbol eines neuen, modernen, vom Ballast falscher Traditionen erleichterten Deutschlands sein sollten. Das war ideologisch überladen, mehr Vision als Realität. Das riesige Fries am Haus des Lehrers fasst das noch immer in bunte Bilder vom neuen, glückseligen Menschen des Sozialismus, der heute ironischerweise jedoch auf die nach der Wende gebauten Shoppingmalls blickt. Aber unabhängig was man in das mittlerweile etwas skurrile Miteinander von sozialistischen Utopien und konsumistischem Überangebot hält: Die Gebäude aus den 60ern sind heute unumstrittene Ikonen der Nachkriegsmoderne. Interessant ist vor allem, dass sich die sozialistischen Planungen am Vorbild Moskaus ausrichteten, wo mit dem Roten Platz ebenfalls ein zentraler Aufmarsch- und Repräsentationsplatz geschaffen worden war. Für Aufenthaltsqualität, gemütliche Ecken und Rückzugsmöglichkeiten gab es da keinen Platz. Nur wenige Details setzten Akzente auf diesem großräumig erschaffenen Kundgebungsort: Weltzeituhr und Nuttenbrosche. Die etliche Meter große Weltzeituhr zeigt die Uhrzeiten in Städten der ganzen Welt an, die für die Bewohner der DDR zwar teilweise unerreichbar waren, aber dennoch Weltläufigkeit nahelegten. Auch der heute unter Denkmalschutz stehende „Brunnen der Völkerfreundschaft“, der im Volksmund frei nach Berliner Schnauze wegen seiner bunten Kacheln zur „Nuttenbrosche“ umbenannt wurde, ist immer noch eines der wenigen dekorativen Details eines ansonsten fast klinisch freigeräumten Riesenplatzes. Hier zeigte sich „das neue Deutschland“. Der Platz wurde schließlich auf zahlreichen DDR-Briefmarken und einem Geldschein abgebildet. Letzterer war nach 1989/90 wertlos.
Keine Skyline für den Alex
Die Wende fegte das DDR-System weg. Wieder behauptete sich der Alex als Aufmarschplatz – diesmal für die Hunderttausenden, die gegen Honecker und Co. protestierten. Der Euphorie der Wendezeit waren wiederum ganz neue Pläne für den Platz zu verdanken. Auch wenn es ja angeblich seit den 20er Jahren dort haupt- und weltstädtisch zugehen sollte, wollte das vereinigte Berlin hier noch höher hinaus. Man sah Berlin als Drehscheibe zwischen Ost und West, eine großartige Zukunft rief, blühende Landschaften sollten hier zu glitzernden Wolkenkratzern werden, die Berlin eine prägnante Skyline verleihen sollten. Geworden ist daraus nicht besonders viel. Weil Investoren ausblieben, begann man erst mit einer sogenannten Sockelbebauung. Irgendwann sollen vielleicht noch einmal die Wolkenkratzer folgen. Solange kann man unten auf dem Platz, zum Beispiel an der „Nuttenbrosche“, sitzen und den vielen Menschen zuschauen. Sie sind es, die dem Alex seinen eigentlichen Charme verleihen. Hier trifft man auf Künstler, die auf imposanten Rohren und Trichtern Musik machen. Jugendliche treffen sich zum Skaten oder Fußballspielen. Auch für ausgefallene und neue Sportarten bietet der Platz ständig eine Bühne und begeisterte Zuschauer. So kann man hier im Sommer waghalsige Springer beobachten, die sich auf einer Art Stelzen, sogenannten Kangaroo-Schuhen, fortbewegen. Das Park Inn-Hotel bietet Base Flying an. Angeseilt an eine Spezialkonstruktion, stürzen sich Schwindelfreie 98 Meter tief vom Dach des Hotels hinunter. Wem das zu lifestylig wird, muss sich nur einmal um die eigene Achse drehen, um über den Platz verteilt Grüppchen von Punks zu finden, die den Alex im Sommer schon seit Jahren zum Wohnzimmer erklärt haben. Aber auch Porträt-Zeichner, Zeitungsverkäufer, Demonstranten, Bettler, Promoter und Straßenhändler sind Teil der bunten Mischung an Menschen, die man hier sieht. Auch die in der Hauptstadt weit bekannten mobilen Wurstverkäufer, die ihren Grill um den Bauch gespannt haben, sind stets auf dem Alex anzutreffen. Flashmobs sind eine Erscheinung, die man hier neuerdings beobachten kann. Niemand sollte sich deshalb wundern, wenn am Alex eine Gruppe von Menschen in pinkfarbenen Affenkostümen mit Ghettoblastern versehen über den Platz rennt oder sich scheinbar spontan Personen versammeln, die sich mit Bananen gegenseitig erschießen.
Mehr zur Geschichte des Alexanderplatzes: hier...

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