Noch einmal Guttenberg

Noch einmal KTG: Nachdem in den vergangenen Tagen nur wenige Hundert Fans ihre guttiphile Meinung auf den Unterstützer-Demos in Berlin und Hamburg geäußert hatten, steigt die Verwunderung über knapp 600.000 Anhänger, die die beiden großen Pro-Guttenberg Gruppen („Wir wollen Guttenberg zurück“ und „Gegen die Jagd auf Karl-Theodor zu Guttenberg„) vereinen. Im Stundentakt werden neue Mutmaßungen und Interpretationen aus den Kommentarspalten der Blogs und Newsportale gezaubert: Sind die Facebook-Fans am Ende gar nichts wert? Ist die Hoffnung auf eine politischere Jugend völlig unbegründet? Ist die Fanpage gar ein Machwerk gewiefter PR- und Social-Web-Agenturen?

Guttenbergs Facebook-Fake und der Tipping Point

Um sich nicht im Geflecht aus Gerüchten und Meinungen zu verlieren, konzentrieren wir uns auf den letzten Aspekt. Eine kurze Chronik: Zunächst meldete sich Medienstratege Peter Berger zu Wort, wühlte in seinem Erfahrungsschatz und bekundete, dass Guttenberg im unpolitischen Deutschland in drei Tagen niemals mehr Fans rekrutieren könne als DSDS in 9 Jahren. Die vage, aber plakative Vermutung untermauert er mit ausgewählten Indizien, die darauf hindeuten könnten, dass ein Teil der Unterstützung aus dem Netz elektronisch erzeugt worden sein könnte (Fans ohne Freunde und Interessen / kopierte Kommentare, sog. Sockenpuppen / unbekannter Betreiber der Fanpage / etc.). Auf den konstanten Zuwachs von Fans – auch zu nächtlicher Stunde – fokussiert weiterhin der (mir gänzlich unbekannte) Derivatehändler Kristjan Schmidt, der hierin einen klaren Hinweis auf einen künstlich erzeugten Unterstützerstrom sieht. Wenig später hat sich auch Netzaktivist Sascha Lobo in die Diskussion eingeschaltet und die „Facebook Fake Finding Force“ gegründet, die durch die Beteiligung der Netzcommunity weitere Indizien für eine gezielte Manipulation liefern soll. Die Diskussion endete relativ abrupt mit dem exklusiven Einblick von Rhein-Zeitungs-Blogger Marcus Schwarze in die internen Statistiken der Facebook-Fanpage. Klares Ergebnis: Es gibt keine Indizien für gezielte Manipulation. Das muss nicht heißen, dass es keine gegeben hat bzw. gibt – Schwarze bezeichnet sich selbst als „kein Experte“ auf dem Gebiet – aber es hat erheblich zur Beruhigung der Debatte beigetragen. Womit wir zum eigentlichen Thema kommen…

Denn was hier vermutet wurde, ist gelebter Alltag in der Auftragsakquise von Social-Media-Agenturen: Fans werden den werbetreibenden Kunden als schlichtes „Klickvieh“ angeboten und im Zehntausenderpaket meistbietend verschachert. Im Zuge einer performanceabhängigen Entlohnung der Agenturen greifen sie nicht selten zu Prinzipien und Technologien, um ein Thema aktiv zu befeuern – sei es mit Fans, mit Seitenaufrufen oder mit Kommentaren. Der Experte spricht dann von Astroturfing, einem Ansatz, der eine basisdemokratische und spontane Graswurzelbewegung vortäuschen soll. klickstu Je breiter die Bewegung im Anfangsstadium und je explosiver das Wachstum, desto höher der Medienimpact und die öffentliche Aufmerksamkeit, die der „geturften“ Sache zugute kommt. All diese Bemühungen haben ein Ziel: den Tipping-Point einer Bewegung zu überschreiten.

Guttenbergs Facebook-Fake und der Tipping Point

Der brilliante Buchautor Malcom Gladwell hatte den Begriff 2000 mit seinem gleichnamigen Buch populär gemacht (hier sei ein Link zur Amazon-Seite ausnahmsweise gestattet) und versteht ihn als einen quantitativen Umschlagspunkt, ab dem eine Bewegung an Schwung gewinnt und zum Massenphänomen wird. Tipping Points lassen sich beispielsweise auch in der Klima- und Sozialforschung finden, besondere Relevanz kommt ihnen aber in der Tat im Social Web zu. Was entscheidet darüber, ob ein Video 1x oder 1.000.000x angeklickt wird? Häufig sind es die Zuwächse in den ersten Minuten und Stunden, in denen einzelne Internetphänomene geboren und gleichzeitig die Löwenanteile der veröffentlichten Meldungen zu immerwährender Unbedeutsamkeit verdammt werden.

Ob im Fall der Online-Kunstfigur zu Guttenberg nachgeholfen wurde, muss jeder selbst entscheiden. Bei (anderen) Popstars wird diese Technik jedoch seit Jahren eingesetzt, ohne einen Hehl daraus zu machen. Für mich steht fest: Weder Guttismus noch Guttiphobie tragen dazu bei, diese Debatte besonders smart beurteilen zu können…

siehe auch: „Guttenberg und die Klingonenkrieger“ und „Ich will meinen Teil von Bill Gates’ Vermögen!“


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