Michael Schmidt-Salomon – "Manifest des Evolutionären Humanismus"

Michael Schmidt-Salomon – Manifest des Evolutionären Humanismus

Als ich vor wenigen Tagen über Schmidt-Salomons Heft “Auf dem Weg zur Einheit des Wissens” schrieb, ist mir aufgefallen, dass ich das Manifest des evolutionären Humanismus (Plädoyer für eine zeitgemäße Leitkultur) noch nicht im Blog erwähnt habe. Und ich versprach, das nachzuholen.
Also habe ich mir heut das Büchlein eingesteckt und noch ein wenig darin herumgelesen. Und siehe da: so einfach ist das gar nicht, darüber zu schreiben wenn das Lesen doch schon geraume Zeit zurückliegt.
Deshalb kann dieser Artikel nur der erste sein, in dem ich etwas über das Buch schreibe.

Im Artikel “Vom Virus des Glaubens” habe ich Dawkins zitiert. Im Manifest nun finden sich – bereits in der Einleitung – die Sätze, auf den Dawkins sich hier bezieht:

Eines der bedrückendsten Probleme der Gegenwart besteht darin, dass sich religiöse Fundamentalisten jeder Couleur in aller Selbstverständlichkeit der Früchte der Aufklärung…bedienen, um auf diese Weise zu verhindern, dass die Prinzipien der Aufklärung auf den Geltungsbereich ihrer eigenen Weltanschauung angewandt werden. Seite 7

Im Weiteren definiert Schmidt-Salomon, welchen Hintergrund das Manifest hat; ja, weshalb es überhaupt ein Manifest sein muss. (Immerhin ein ziemlich genau definiertes Wort, das historisch etwas in Ungnade gefallen ist wegen des einen Schriftstückes, das sich ebenfalls Manifest nannte. Insofern ist die Wahl des Titels sowohl programmatisch als auch provozierend.):

Das vorliegende Manifest des evolutionären Humanismus wurde im Auftag der Giordarno Bruno Stiftung verfasst. Es versucht, die Grundpositionen einer zeitgemäßen Aufklärung zu formulieren. Seite 8

Aus diesem Grunde versucht Schmidt-Salomon, einen historischen Ablauf, der letztlich auf den evolutionären Humanismus hinausläuft, darzustellen. Hierzu bedient er sich Beispielen aus allen Wissenschaften. Und umgeht zwar nicht die Fallen des übermäßigen Benutzung diverser -ismen (eine wohl den Philosophen immanente Krankheit) jedoch der der Verächtlichmachung der Religionen. Im Manifest befleißigt sich Schmidt-Salomon (immerhin) noch einer zwar kritischen und teilweise schonungslosen Ansprache an die Religionen; ohne aber in seinen häufigen Fehler der Arroganz den Gläubigen gegenüber zu verfallen.

Dazu vielleicht etwas Grundsätzliches von mir: Religionskritik an sich halte ich nicht nur für zulässig sondern sogar für notwendig. Zeigt sich doch aktuell – man schlage eine beliebige Zeitung auf, schalte Radio oder Fernseher an – wohin es führt, wenn im Namen der Religionen politisch, gesellschaftlich handelt. Jeder Glauben, der institutionalisiert wurde, ist anzugreifen, zu kritisieren und muss sich einer wissenschaftlichen Bewertung unterziehen lassen (wie es das Manifest tut). Was aber nicht geschehen darf, ist das Gleichsetzen des Gläubigen mit (s)einer Religion; oder anders: ein Gläubiger – und sei er Pantheist oder Kommunist – ist eben nicht nur Gläubiger. Sondern Mensch auch im Sinne des evolutionären Humanismus:

Um eine möglichst hohe Flexibilität des Denkens und Handels gewährleisten zu können, versteht sich der evolutionäre Humanismus als “offenes System”. Seite 35

Dieses “offene System” wird schnell zu einen geschlossenen Kreis von “Wissenden” wenn sich evolutionäre Humanisten anmaßen, die Weisheit allein inne zu haben; dann wird auch dieser Humanismus zu einem Glauben.
Ich denke, das es dieses Unbehagen ist, welches einige Menschen mit dem gleichen Misstrauen wie gegen Kirchen und Sekten auch die Humanisten betrachten lässt.
Um das zu begründen, kann ich Sogar Schmidt-Salomon selbst zitieren: 

Atheisten, die so religiös fanatisiert über Atheismus sprachen, dass sie auf mich den Eindruck missionierender Wanderprediger machten… Quelle: Sind AntheisInnen die besseren Menschen?

Denn für den mit der Materie Ungeübten mag manches, das Schmidt-Salomon schreibt, genau diesen Fanatismus ausstrahlen, gegen den er sich im genannten Artikel wehrt.

Doch zurück zum Buch. (Eine genaue Inhaltsbeschreibung bleibt dem zweiten Teil des Artikels vorbehalten.) Ich möchte noch abschließend die 10 (An)Gebote des evolutionären Humanismus benennen, die als die Grundatzaussage des Buches gelten können:

  1. Diene weder fremden noch heimischen „Göttern“, sondern dem großen Ideal der Ethik, das Leid in der Welt zu mindern!
  2. Verhalte dich fair gegenüber deinem Nächsten und deinem Fernsten!
  3. Habe keine Angst vor Autoritäten, sondern den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
  4. Du sollst nicht lügen, betrügen, stehlen, töten – es sei denn, es gibt im Notfall keine anderen Möglichkeiten, die Ideale der Humanität durchzusetzen!
  5. Befreie dich von der Unart des Moralisierens!
  6. Immunisiere dich nicht gegen Kritik!
  7. Sei dir deiner Sache nicht allzu sicher!
  8. Überwinde die Neigung zur Traditionsblindheit, indem du dich gründlich nach allen Seiten hin informierst, bevor du eine Entscheidung triffst!
  9. Genieße dein Leben, denn dir ist höchstwahrscheinlich nur dieses eine gegeben!
  10. Stelle dein Leben in den Dienst einer „größeren Sache“, werde Teil der Tradition derer, die die Welt zu einem besseren, lebenswerteren Ort machen woll(t)en!

Kompletter Text der 10 Angebote auf Schmidt-Salomons Webseite

Damit – zumindest – kann wohl jeder aufgeklärt Denkende konform gehen. Wie das umzusetzen ist… darüber mag man sich (und soll man sich) streiten.


 

Michael Schmidt-Salomon als Sprecher der Giordano Bruno Stiftung hat das Manifest zwar in deren Auftrag geschrieben; wenn man sich aber die Aussagen der Stiftungsmitglieder ansieht (oder hört: siehe Video) kommt einem der Verdacht, dass er nicht den gesamten Kanon der Stimmen eingefangen hat.
Gibt es doch Stimmen, die nicht nur die Abgrenzung von der Kirche (von den Kirchen/Religionen) als Sinn und Zweck der Stiftung ansehen.

Aber Schmidt-Salomon begründet den Aufklärungsbegriff des evolutionären Humanismus:

Wissenschaftliches Wissen ist religiösem Glauben … deshalb überlegen, weil es um die eigene Beschränktheit weiß. [...] Während Wissenschaftler wissen, dass sie nur etwas “glauben” [i.S. von "wahr halten"]…glauben Gläubige, etwas zu wissen, was auch morgen noch gültig sein soll, obwohl es in der Regel schon heute widerlegt ist. Seite 37 f.

Und davon ausgehend macht Schmidt-Salomon den Versuch, über eine logische Beweiskette darzulegen, wie zum einen der Begriff “Gott” und seine gesellschaftliche Assoziation entstanden sind – um dann; genauso logisch, zu beweisen, dass die Zeit dieses Weltbildes, in dem ein allmächtiger, allumfassender Gott diese Welt bewegt, abgelaufen ist.
So kommt er schlüssig im Kapitel “Ethik ohne Gott” zu der Erkenntnis, dass moralische Normen, die das Zusammenleben der Menschen regeln, auch ganz und gar ohne die Regeln auskommen, die Religionen vorschreiben. Ganz im Gegenteil plädiert Schmidt-Salomon dafür, diese Regeln über Bord zu werfen:

Wer auch nur halbwegs redlich mit diesen “heiligen Texten” umgeht, der weiß, dass sie mit Humanität, mit der Gewährung von Menschenrechten, Demokratie, Meinungsfreiheit etc., herzlich wenig zu tun haben. Würden sich [religiöse Denker] nicht kontinuierlich selbst belügen, müssten sie zugeben, dass sämtliche religiösen Quellentexte weit unter dem ethischen Mindeststandard jeder halbwegs zivilisierten Gesellschaft stehen. Seite 67

Nachdem er ausführt, welche Verbrechen an der Menschlichkeit im Namen der Religionen geschehen sind – und noch immer Alltag sind, schreibt er:

Es ist eine historisch unumstößliche Tatsache, dass die fundamentalen Rechte (insbesondere die Menschenrechte), die die Grundlage für eine moderne, offene Gesellschaft bilden, keineswegs den Religionen entstammen, sondern vielmehr in einem Jahrhunderte währenden säkularen Emanzipationskampf gegen die Machtansprüche dieser Religionen durchgesetzt werden musste. Seite 70

Selbstverständlich belässt es Schmidt-Salomon nicht bei der Aufzählung der Verfehlungen diverser Religionen und deren Auswirkung auf die Geschichte der Gesellschaft. (Im Übrigen spricht er immer nur über die westlichen Gesellschaften und Religionen; fernöstliche werden weder erwähnt noch kritisiert. Leider finde ich die Quelle nicht mehr, in dem er dies begründete.)

Für den Ausblick; also das, was Schmidt-Salomon (und die Giordano Bruno Stiftung) daraus an Schlussfolgerungen für das aktuelle und zukünftige Gestalten der Gesellschaft zieht, werde ich in einem dritten Teil zu dem Buch etwas schreiben.


dass es sich bei Ethik und Moral um diametral entgegengesetzte Ansätze zur Begründung von Verhaltensnormen handelt.(Seite 102)

 

In der Moral geht es um die subjektive Wertigkeit von Menschen vor dem Hintergrund vermeintlich vorgegebener metaphysischer Beurteilungskriterien [...] in der Ethik hingegen um die objektive Angemessenheit von Handlungen anhand intersubjektiv festgelegter und immer wieder neu festzulegender Spielregeln. Seite 102

Davon ausgehend versucht er, die Gesellschaft in der wir leben, zu analysieren und kommt dabei zu einigen Schlüssen, die dem gewünschten “gesunden Menschenverstand” schlüssig scheinen, aber in der Gesellschaft eher befremdlich sind. Schmidt-Salomon schreibt über die Kräfte des Marktes, der sich eben nicht als selbstregulierend herausgestellt haben. Dabei zitiert er sowohl Marx als auch Adam Smith.

Das Marktprinzip ist zweifellos ein hervorragendes Instrument zur Befriedigung individueller Bedürfnisse [...], doch befriedigt es von sich aus keineswegs alle Bedürfnisse… Die Bedürfnisse derer, die [...] nicht am Marktgeschehen teilnehmen können [das meint auch als Konsumenten!] bleiben auf der Strecke.  Seite 110

Dabei – und das erscheint mir als äußerst wichtig – meint er nicht allein die Millionen armen und ärmsten Menschen auf deren Kosten der Westen so bequem lebt, sondern auch und vor allem die zukünftigen Generationen auf deren Kosten die Menschheit lebt.
Schmidt-Salomon belegt das mit Zahlen aus denen hervorgeht, welch kaum überschaubares Erbe wir den Nachkommen hinterlassen. Dem Lebensstandard geschuldet machen wir uns schuldig gegenüber dem Leben der Zukünftigen.

Im Grunde aber ist es nicht die Produktionssteigerung, die diese Probleme erzeugt, sondern unsere erschreckende Unfähigkeit, diesen Prozess [...] sinnvoll zu gestalten. Seite 114

So nimmt es nicht Wunder, dass er – über Hinweise zum Umweltschutz hinaus – vor allem für Bildung plädiert. Wobei Bildung für ihn nicht nur die Schulbildung bedeutet, sondern vor allem auch die Ver-Bildung, denen die Menschen unausgesetzt ausgesetzt sind durch das Fernsehen und “gleichgeschaltete” Medien.

Doch Opfer der [...] medialen Gleichschaltung auf unterstem Niveau sind nicht nur die hart an der Grenze der Debilität dahinvegetierenden Individuen, sondern die Gesellschaft als Ganzes. Seite 118

(Manchmal tut es gut, von Dritten etwas zu lesen, dass man selbst denkt und sich nur selten auszusprechen wagt…)

Eine Gesellschaft [...] kann es sich auf Dauer nicht leisten, dass diejenigen, die Anspruch auf Mündigkeit stellen, selbst nicht den Ansprüchen auf Mündigkeit gerecht werden. Seite 118

Um dieses Thema abzuschließen und dann wirklich auf den Ausblick – zu der Idee (Utopie?) einer Gesellschaft zu kommen, wie sie vom evolutionären Humanismus erwünscht, erkämpft, erarbeitet werden kann und muss noch diesen einen Satz von Schmidt-Salomon, dessen Arroganz unübersehbar aber witzig ist:

Die größte aktuelle Bedrohung für Homo sapiens besteht nicht in Erdbeben und Tsunamis, nicht in Vulkanausbrüchen und Meteoriteneinschlägen, nicht in korrupten Regierungen oder Konjunktureinbrüchen, sondern in einer strukturell bedingten Dummheit. [...] Es mag vielleicht anregender und vielleicht auch subjektiv entlastender sein, anzunehmen, dass die Geschicke der Menschheit von einem Grüppchen finsterer Verschwörer gelenkt wird [oder von Gott - Nic], in Wahrheit steckt hinter der ganzen Misere aber nur eine einzigartige, gigantische, weltumspannende Riesenblödheit. Seite 119


Manifest des evolutionären Humanismus

 

Es gibt einige Stimmen, die Schmidt-Salomon vorwerfen, in dem Manifest nur den Stand der Dinge festzustellen und zu kritisieren, ohne jedoch einen Lösungsvorschlag anzubieten (Vgl. auch das Nachwort zur zweiten Auflage). Möglicherweise ist es schwierig aus dem “wie-man-es-nicht-machen-sollte” die Alternativen herauszulesen. Nicht jede Änderung eines gesellschaftlichen Zustandes ist auch eine positive. Aber ich möchte Schmidt-Salomon wenigstens ein bisschen entschuldigen: denn er bietet Alternativen an; diese werden nur nicht in der Ausführlichkeit besprochen wie die Gesellschaftskritik. Hier sind allerdings auch andere Quellen aufschlussreicher; zum Beispiel die Seiten der Giordano Bruno Stiftung.

Schreibt Schmidt-Salomon zum Beispiel:

Evolutionäre Humanisten treten entschieden für das Selbstbestimmungsrecht des Menschen ein, das als Ultimo Ratio auch das Recht auf Selbsttötung … miteinschließt. Seite 127

In der derzeitigen öffentlichen Diskussionen zur “Patientenverfügung” treten die Humanisten für ein selbstbestimmtes Lebensende ein.

Indem Schmidt-Salomon schreibt:

Wenn wir heute vor dem Scherbenhaufen einer gescheiterten Integrationspolitik stehen, dann nicht zuletzt deshalb, weil die demokratiefeindlichen Potentiale der Religionen…maßlos unterschätzt wurden. Seite 133

woraus er den (auch für mich einzig möglichen) Schluss zieht, dass Religionen in den Bildungsanstalten eines demokratischen Landes nicht zu suchen haben.

“Weltanschaulich neutral” kann sich der Staat nur dort verhalten, wo weder die humanistischen, auf den Menschenrechten beruhenden ethischen Prinzipien des Grundgesetzes noch die Seriosität des Bildungsauftrages auf dem Spiel stehen. Seite 139

Er räumt ein, dass Glauben Privatsache ist; wer immer was glauben mag soll/darf/kann es tun. Solang er nicht Dritte – notfalls mit Gewalt – davon “überzeugen” will, dass sein Glauben Vernunft ist. (Religionskritik lässt sich meiner Meinung nach vor allem aus diesem Gedanken ableiten.)

Wenn evolutionäre Humanisten den schmalen Grat zwischen naiver Blauäugigkeit und blankem Zynismus meistern wollen, so müssen sie sich illusionslos, aber unverzagt den fakten stellen – und das heißt u.a., dass sie das alles andere als unwahrscheinliche Scheitern ihrer Bemühungen von vornherein einkalkulieren müssen. Seite146/147

Das klingt nicht gerade nach einer Utopie – zugegeben. Aber wenn etwas bleibt, dass dem Buch zu entnehmen ist, so der Gedanke, dass man nicht allein ist auf der Welt, in der Zeit und der Gesellschaft. Sondern dass es einige Unverzagte gibt, die aufklärerisch an das Positive im Menschen glauben und daher immer wieder versuchen werden, aufklärerische Gedanken zu denken und zu vertreten/verbreiten.
Der Weg gegen die Überzeugungen der Masse war noch nie ein Spaziergang.

Das Glück des modernen Sisyphus liegt aber nicht nur in der Schwierigkeit seiner Aufgabe [...] sondern vor allem im positiven Gehalt der Weltanschauung, die er vertritt und mit Leben füllt. Seite152


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