Mein Kind ist hochsensibel - was tun? (Buchrezension)

Es gibt erfreulicherweise mittlerweile viele Bücher, Webseiten, Gruppen und Informationen über hochsensible Kinder. Den überwiegenden Teil der Bücher habe ich schon gelesen und kann deshalb ganz gut vergleichen. Empfehlenswerte Literatur findet sich in meiner Buchliste in der Sidebar. Jede weitere Beschäftigung mit dem Thema ist trotzdem hochwillkommen und wird von mir unter die Lupe genommen. So auch das gerade erschienene Buch von Rolf Sellin: Mein Kind ist hochsensibel - was tun?, das mir der Kösel Verlag freundlicherweise als Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte. Der Autor ist Leiter des HSP-Instituts Stuttgart und hat schon zwei weitere Bücher über Hochsensibilität veröffentlicht, nämlich Wenn die Haut zu dünn ist: Hochsensibilität - vom Manko zum Plus und Bis hierher und nicht weiter: Wie Sie sich zentrieren, Grenzen setzen und gut für sich sorgen.

Mein Kind ist hochsensibel - was tun? (Buchrezension)Das hier rezensierte Buch ist im Gegensatz zu einigen der anderen erhältlichen Bücher über hochsensible Kinder nicht chronologisch aufgebaut, d.h. behandelt die Hochsensibilität nicht nach der Abfolge von Baby-, Kleinkind-, Schulalter und Pubertät. Es orientiert sich eher an den Charakteristika der Hochsensibilität wie Reizverarbeitung, anderer Wahrnehmung, Ängsten, Vollkommenheitsstreben und Ruhebedürfnis, Grenzfindung und Fremdheitsgefühl und beschreibt anhand dieser Aspekte die Problematik und das Potential hochsensibler Kinder. Das Buch ist gespickt mit vielen praktischen Tipps, Anregungen und Übungen, beinhaltet individuelle Fallgeschichten und zwei Tests für Kinder und Erwachsene. Das ganze Buch durchzieht auch der Rekurs auf hochsensible Erwachsene, denn die Grundlage für ein Erwachsenenleben, das konstruktiv und liebevoll mit der eigenen Hochsensibilität umgeht, wird natürlich in der Kindheit gelegt.

Das Eingangskapitel skizziert das Phänomen der Hochsensibilität relativ knapp und ist meiner Meinung nach ohne Vorkenntnisse nicht als Einführung in das Thema geeignet. Da gibt es wesentlich bessere Beschreibungen, aber ich vermute, dass der Autor auch schon von einer gewissen Vertrautheit mit dem Thema ausgeht. Er betont von Anfang an die Wechselwirkung zwischen hochsensiblen Erwachsenen/ Eltern und ihren Kindern: "Dabei hat die Art und Weise, wie ein hochsensibler Elternteil mit sich selbst umgeht, den größten Einfluss auf die Entwicklung des Kindes." (S. 10) Eltern, ob hochsensibel oder nicht, machen sich nach der Erkenntnis über die Hochsensibilität des Kindes meist viele Sorgen, z.B. um schulische Aspekte, soziale Interaktionen und allgemein um die spätere Existenzfähigkeit in der heutigen reizüberfluteten und beschleunigten Welt, die für Hochsensible eine nie dagewesene Herausforderung darstellt. Sellin sagt deutlich, dass es weder darum gehen kann, ein hochsensibles Kind für's Leben abzuhärten noch es zu schonen und zu verzärteln, sondern Hochsensibilität "zu akzeptieren und darüber hinaus auf sinnvolle Weise zu entwickeln" sowie "bewusst einzusetzen" (S. 29). Dies betrifft Bereiche wie allgemeine Reizüberflutung, Ernährung, Medienkonsum, Reisen, Krankheiten etc. Es ist wichtig, dass Eltern um die Besonderheiten hochsensibler Kinder in diesen Aspekten wissen, damit sie selbst angemessen damit umgehen und den Kindern einen gesunden Umgang vorleben und beibringen können.

Es gibt in dem Buch kurze, aber hochinteressante Abschnitte über hochsensible Jungen, über das Konfliktverhalten hochsensibler Kinder und über hochsensible Väter und Mütter. Ein großes Augenmerk wird auf das Verhältnis eines hochsensiblen Elternteils zu seinem hochsensiblen Kind gelegt, das sich sehr viel komplexer, oftmals schwieriger darstellt als das zum nicht-hochsensiblen Elternteil, das zwar von Unverständnis, aber Eindeutigkeit und Klarheit geprägt ist. Vom nicht-hochsensiblen Elternteil, sofern vorhanden, können hochsensible Kinder wichtige Fähigkeiten lernen, zum Beispiel das Setzen von Grenzen, den Umgang mit Ängsten, Geselligkeit und "mehr Klarheit, Konsequenz und Handlungsorientiertheit" (S. 80). Das hochsensible Elternteil ist wiederum für das Verständnis zuständig, was zwar ein außerordentliches Hineinfühlen ins Kind bedeutet, aber auch Gefahren und Schwierigkeiten birgt. "In seinem Kind erkennt er eigene Wesenszüge wieder, und darauf reagiert er. Sein eigenes Verhältnis zu sich und seiner Hochsensibilität spiegelt sich folglich im Verhältnis zu seinem hochsensiblen Kind." (S. 76f.)

Laut Sellin bestehen besondere Schwierigkeiten für hochsensible Eltern beim Konsequent-Sein und Grenzen-Setzen sowie durch zu ausgeprägtes Mitleiden. "Hochsensiblen Erwachsenen fällt es nicht leicht, ihren Kindern Grenzen zu setzen [...]. Gewissermaßen rutschen sie energetisch in ihr Kind hinüber [...] und erleben ihr Kind dann aus dessen Perspektive." (S. 109) Da er ein großes Gewicht auf das Erkennen, Setzen und Einhalten von eigenen und fremden Grenzen legt, sieht er das außerordentliche Hineinfühlen ins Kind logischerweise eher als einen Nachteil bzw. eine Gefahr an als einen Vorteil. Seiner Überzeugung nach brauchen hochsensible Kinder viele eindeutige und klare Aussagen, die ein hochsensibles Elternteil nicht ohne Weiteres bieten könne. Die größte Schwierigkeit für hochsensible Eltern besteht in dem ausgeprägten Mitleiden mit ihrem Kind, das nach Sellin "eine zusätzliche Last für ein betroffenes Kind darstellt" (S. 128), da es durch das ausgiebige Mitleiden der Eltern nicht wagt, "sich in seiner Bedrängnis den Eltern zu offenbaren" (S. 128). Gerade hochsensible Eltern sollten sich dessen bewusst sein und bei Leiden des Kindes möglichst nur ruhig zuhören und das Kind auffangen, anstatt ihm zusätzlich noch ihr eigenes Leid aufzubürden.

Über diese beiden problematischen Aspekte beim Umgang hochsensibler Eltern mit ihrem hochsensiblen Kind kann man sicherlich geteilter Meinung sein. Ich persönlich sehe eher die Vorteile beim Hineinversetzen in das Kind und beim Mitfühlen. Beides erleben Kinder ja nur marginal in der "äußeren", nicht-hochsensiblen Welt. Deshalb meine ich, gerade ein hochsensibles Elternteil kann und muss das leisten, was den Kindern von anderen Erwachsenen nicht entgegen kommt. Ich habe selbst, sowohl in meinen Kindheitserinnerungen als auch mit meinem hochsensiblen Kind, die Erfahrung gemacht, dass es oftmals der beste Weg ist, die Gefühle und seelischen oder körperlichen Schmerzen des Kindes vorbehaltlos anzuerkennen, auch wenn es den Schmerz beim Kind im ersten Moment vielleicht verstärkt. Auf lange Sicht hingegen ist solch eine Umgehensweise meiner Meinung nach tröstender als ein reines Dabeisein und Zuhören. Außerdem ist es für ein hochsensibles Elternteil fast unmöglich, das intensive Mitleiden mit dem Kind abzustellen, da das Gefühl so existenziell und oftmals durch eigene mangelnde Kindheitserlebnisse geprägt ist. Dennoch ist es sicherlich richtig, einen gesunden Mittelweg zu finden und sich selbst immer wieder zu reflektieren. Dazu kann man beispielsweise in der Vorstellung die eigene Kindheit noch einmal durchleben und in Kontakt zu seinem Kind-Ich gehen, um so auch die feinen Unterschiede zwischen sich selbst und dem eigenen Kind zu erkennen. "Vergleichen Sie also das Kind, das Sie selbst damals waren, seine Eigenschaften, Wünsche und Vorlieben, mit Ihrem Kind. Stellen Sie alle Unterschiede fest, seien sie auch noch so klein." (S. 190) Denn auch wenn ein hochsensibles Elternteil und sein hochsensibles Kind die gleichen Grundcharakteristika haben: identische Menschen sind sie eben nicht, und das muss ein hochsensibles Elternteil erkennen und akzeptieren.

Die letzten Kapitel gehen sehr ausführlich auf Hochsensibilität im Schulkindalter und in der Pubertät ein sowie den Ablösungsprozess der Kinder von ihren Eltern, der für hochsensible Familienkonstellationen noch einmal besondere Schwierigkeiten bergen kann. Es gibt hier interessante und hilfreiche Tipps, z.B. für den Umgang mit Sport und Hausaufgaben und die Wahl des Schultyps, der oftmals weniger einflussreich für das Wohlbefinden des Kindes ist als die Lage einer Schule zum Wohnort, da schon ein weiter Anfahrtsweg zuviel Stress für ein hochsensibles Kind bedeuten kann. Genauso ist es bei der Berufswahl: "Viel wichtiger als die Art des Berufes ist für den Berufserfolg eines Hochsensiblen der Umgang mit der Reizaufnahme und der Abgrenzung, mit Belastungen und Stress. Denn all diese Faktoren wirken sich auf den Energiehaushalt aus." (S. 164)

Diese Bereiche sind für mich bisher nur theoretisch interessant, da sich meine Kinder noch im Kleinkindalter befinden. Dafür vermisste ich aber in dem Buch eine ausführliche, mit ähnlich hilfreichen Ratschlägen bereicherte Passage über die Baby- und Kleinkindzeit. Am Ende werden die im Buch erwähnten Erkenntnisse, Tipps und Methoden noch einmal kurz und knapp und sehr hilfreich zusammengefasst. Diese 20 Punkte sollte Eltern sich regelmäßig in Erinnerung rufen, wenn ihnen an einem verständnisvollen und unterstützenden Umgang mit ihrem hochsensiblen Kind gelegen ist. Insgesamt legt Sellin überzeugenderweise sehr viel Wert auf die Selbsterkenntnis von hochsensiblen Eltern, die ihren Kindern den fruchtbaren Umgang mit der Hochsensibilität vorleben: "Manchmal ermöglicht die Selbstannahme erst die Annahme des Kindes, manchmal ist es umgekehrt: die Beschäftigung mit der Hochsensibilität des Kindes ermöglicht es, dass sich der hochsensible Erwachsene selbst annehmen kann. Das Kind gibt den Anstoß zur Selbsterkenntnis, zur inneren Befreiung und Entwicklung des eigenen Wesens." (S. 17)

Das Buch von Rolf Sellin ist auf jeden Fall ein sehr lesenswerter, bereichernder Bestandteil der Literatur über hochsensible Kinder. Gerade für Eltern älterer Kinder gibt es viele hilfreiche Anregungen. Eltern von Babys und Kleinkindern dagegen würde ich eher zu anderen Büchern raten. Einige Gedanken habe ich noch in keinem der anderen erhältlichen Bücher gelesen und waren eine gute Anregung zum Nachdenken und Reflektieren.

Ich danke dem Kösel Verlag nochmals für das Rezensionsexemplar.

Link zu Amazon: Mein Kind ist hochsensibel - was tun?: Wie Sie es verstehen, stärken und fördern


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