Logbuch Berlin: Montag, 27. Juni 2016

Pfeilschnell fliege ich im ICE durch deutsche Lande Richtung Berlin. Im Abteil ebenso wie vor dem Fenster wird mir vorgeführt, dass der Fleiss der Deutschen das Etikett «sprichwörtlich» durchaus verdient. Im Abteil liegen die Laptops aufgeklappt auf den Klapptischchen. Die Tastaturen klappern. – Nein, natürlich nicht. Dazu sind sie zu modern. Aber es wird heftig getippt und lauthals telefoniert – dem Vernehmen nach zur Hauptsache gewichtige Geschäftsangelegenheiten und organisatorische Belange. Rein sozial motivierte Gespräche habe ich keine mithören müssen.

Derweil draussen die deutsche Landschaft vorbeiflattert – auch diese vom Fleiss der Einwohner durch und durch geprägt: In Süddeutschland wirkt die Gegend, als käme sie direkt vom Frisör. Jedes Feld, jeder Schrebergarten ist akkurat bepflanzt und gestriegelt. Jeder Flecken wird genutzt. Die sanften Hügel sind Rebberge, die Flächen davor ein Flickenteppich von Feldern, Äckern und intensiv genutzter Wiesen. Feldwege und Strassen bilden gleichsam den Saum dieses Flickenteppichs.

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Agrarlandschaft in Hessen. (Bild: Samba do Brasil von Lutz Koch, CC-Lizenz via flickr)

Auch die Dörfer zeugen von Fleiss und Rechtschaffenheit ihrer Bewohnerinnen und Bewohner. Häuschen reiht sich an Häuschen, wie aus einem Katalog herausgeschnitten. Die Gärten sind zwar nicht gerade symmetrisch, aber etwas bieder, strotzen dafür nur so vor Fruchtbarkeit. Die Deutschen sind ein fleissiges Völkchen. Warum soll man sich auch darüber lustig machen oder es ihnen gar verübeln, solange sie diesen Ameisenfleiss nicht von anderen Völkchen erzwingen wollen?

Weiter nördlich kommt zu diesem Fleiss, der gleichsam aus dem Boden spriesst, eine gewisse Grandeza. Die Weizenfelder sind nun so weit, dass man sie nur noch mit Grossmaschinen bewirtschaften kann. Hinzu kommen Schlackeberge, die sich wie Vulkane aus der Ebene erheben und vom Kohleabbau erzählen. Ebenso die Städte: grossartig und irgendwie grosstuerisch zugleich, wenn man sie mit Schweizer Augen betrachtet, die ans Kleinliche – pardon: ans weniger Grosse gewöhnt sind. Die Skyline von Frankfurt, wie sie sich dem Zugreisenden darbietet, ähnelt mit ihren Wolkenkratzern aus Stahl und Glas immer mehr den Skylines der Megastädte weltweit. Doch das ist in Basel ja auch nicht anders, bloss geht das hier weniger schnell. Deutschland lebt und entwickelt sich sichtlich in anderen Dimensionen.

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Skyline von Frankfurt. (Bild: Frank Friedrichs, CC-Lizenz via flickr)

Schliesslich Ankunft in Berlin. Wie in indischen Städten fährst du zunächst lange Zeit durch einen Gürtel, der bereits Berlin heisst, bevor du ins Innere der Stadt und dann ins Zentrum vorstösst. Ganz so lange wie in Indien dauert es allerdings nicht – nicht weil Berlin kleiner wäre als die meisten indischen Städte, sondern weil der Zug schneller unterwegs ist.

Auf dem Bahnsteig erwartet mich Urs, ein Freund. Vielleicht nur wegen ihm bin ich in Berlin. Städtereisen gehören nicht eigentlich zu meinem Repertoire. Doch dass er mir «sein» Berlin zeigen will, ist Grund genug, mich auf dieses Abenteuer einzulassen. Er hat sich «anerboten» – tatsächlich habe ich ihn inständig darum gebeten –, mich durchs Labyrinth der Berliner U-Bahnen zu meinem Hotel in Neukölln zu lotsen, mich, dem ohne Plan vor Augen selbst ein mittleres Dorf zum Labyrinth wird, in dem ich mich heillos verirre.

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Berlin Hauptbahnhof. (Bild: Alexander Meijer, CC-Lizenz via flickr)


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