Linker Antisemitismus

Seit einigen Wochen hat die Linkspartei eine „Antisemitismusdebatte“. Konkret hastet ein Teil der Partei mit Erklärungen und Aufrufen durch die Medien, dass man nicht antisemitisch sein darf, weil das böse ist, und der Rest der Partei rennt dagegen an, weil es keinen Antisemitismus gäbe, zu dem man sich verhalten muss.

Die Medien haben sich nun ihrerseits bemerkenswert einhellig auf eine Berichterstattung verlegt, bei der der Versuch vor allem des Führungspersonals, sich vom Antisemitismus freizusprechen, ein Beweis dafür ist, dass der Vorwurf zutrifft. Die Kritik an diesem Vorgehen wiederum wird ebenfalls als Beweis für den linken Antisemitismus genutzt, denn wer gegen eine Parteiführung aufsteht, die sich vom Antisemitismus distanziert, muss ja Antisemit sein. Gleichzeitig enthält einem besagte Berichterstattung fernab unverlinkter Hinweise aber auch die Ursache der ganzen Aufregung vor.

In der Summe ist also schon der Umgang der Medien mit dem Thema so tendenziös, dass man es als durchaus gelungene Kampagne gegen die Partei abhaken könnte. Es ist aber Wochenende, ich habe ein bisschen Zeit und bin auch neugierig geworden. Damit man das Thema ordentlich diskutieren kann, gibt es eine „Arbeitsdefinition“ für den Begriff, der vom EFoA aufgeschrieben wurde:

Der Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und / oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.

Weiter wird in dieser Definition aber auch Kritik am Staat Israel selbst erwähnt, nämlich folgendermaßen:

  • Das Abstreiten des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z.B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen.

  • Die Anwendung doppelter Standards, indem man von Israel ein Verhalten fordert, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet und verlangt wird.

(...)

  • Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten.

  • Das Bestreben, alle Juden kollektiv für Handlungen des Staates Israel verantwortlich zu machen.

Der klassische Antisemitismus aus dem 19. Jahrhundert spielt bei den Vorwürfen weniger eine Rolle als eben vielmehr die Kritik an der israelisichen Politik dieser Tage, die man auch als Kritik am Staate Israel deuten kann. Wichtig ist also auch der nachfolgende Hinweis:

Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden.

Nachdem wir jetzt diese Arbeitsgrundlage haben, graben wir mal nach den Ursachen der Debatte. Dabei landen wir früher oder später in Duisburg, und zwar im Jahre 2009, und dort wiederum bei einer Affäre rund um den damaligen OB-Kandidaten der Linkspartei, Hermann Dierkes. Im Februar 2009 hatte dieser bei einer Wahlkampfveranstaltung den folgenschweren Satz formuliert:

"Wir dürfen es nicht länger zulassen, dass im Namen des Holocaust und mit Unterstützung der Bundesregierung derart schwere Menschenrechtsverbrechen begangen und geduldet werden", attackierte er dort die israelische Regierungspolitik. "Jede und jeder kann zum Beispiel durch den Boykott von israelischen Waren dazu beitragen, dass der Druck für eine andere Politik verstärkt wird."

taz.de

Diese Forderung - hervorgegangen aus einem Aufruf zu einem "Tag der Solidarität mit Palästina" seitens des Weltsozialforums - explodierte in hundert Richtungen gleichzeitig. Sie begründete ein merkwürdiges neues Hobby deutscher Journalisten, nämlich mit dem ausgiebigem Vergleich von Äpfeln und Birnen den Antisemitismus der Linkspartei zu belegen. Die Beweisführung und auch die Thesen sind dabei nicht nur originell...

Die RAF lobte die Geiselnahme israelischer Sportler durch ein Palästinenser-Kommando bei den Olympischen Spielen in München 1972 (...)

Zeit.de

...sondern teilweise klassisch antisemitisch...

Nur im liberal-kapitalistischen System konnten und können sich Juden frei entfalten (...)

ftd.de

Dabei war die Weiterverarbeitung des "Skandals" durch die Gegner der Linkspartei nicht annähernd so zerstörerisch wie die Versuche von Dierkes Unterstützern, bei ihm selbst angefangen. Er räumte nämlich durchaus ein, sich mißverständlich ausgedrückt zu haben...

Dierkes sagte der Zeitung: "Natürlich weiß ich, wo der Spruch herkommt: 'Deutsche, kauft nicht bei Juden'." Er räumte ein, dass seine Aussage deshalb "einen Beigeschmack" bekommen könne.

z.B. beim Kölner Stadtanzeiger

... machte sich aber leider nicht die Mühe, seine Aussage zu konkretisieren, die aber - und hier hilft uns jetzt der Arbeitsbegriff, in der Tat nicht antisemitisch war. Der Aufruf zum Boykott von Waren, um die Politik eines Staates zu verändern, ist zwar weder links noch sozial und will auf Kosten der Bevölkerung eine Einsicht erpressen- genau so wie G.W. Bushs Aufruf zum Boykott französischer oder deutscher Waren, weil die nicht mit ihm Krieg spielen wollten. Aber, nochmal zur Erinnerung...

Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden.

... und weder die Kritik noch die Forderung sind einzigartig und unvergleichlich. Auch die einseitige Parteinahme ist es nicht. Und sie richtet sich eben nicht konkret gegen Juden, sondern gegen die israelische Regierung. Es hätte allerdings nicht geschadet, das nochmal zu betonen, nicht zuletzt gegenüber der eigenen Mannschaft. Stattdessen wurde die ganze Angelegenheit, unter anderem mit Dierkes Rücktritt als Kandidat, heruntergekocht und gärte dann weiter, unter anderem scheinbar auch bei der Linksjugend "solid" in Duisburg.

Die stellte dann ein Flugblatt ins Internet. Oder vielleicht auch nicht. Dieses Flugblatt war dann auf jeden Fall eindeutig antisemitisch und enthielt neben eindeutiger Propganda gegen den Staat Israel auch wenig unverblühmte Formulierungen, die den Holocaust leugneten sowie einen flammenden Apell für den Iran. Nachdem diese Verlinkung am 27.4.2011 öffentlich wurde, wurde es sofort gelöscht. Damit Sie einen Eindruck haben, musste ich mich auf echte und daher nicht verlinkte Abwege begeben - so sah das aus:

anti

Die Linkspartei in Duisburg befindet sich derzeit im Stadtrat in einer Koalition mit SPD und Grünen, delikaterweise nicht nur die erste rot-rot-grüne Regierung dort, sondern auch gerade hochbeschäftigt damit, OB Sauerland(CDU) abzuwählen. Und natürlich musste sich entsprechend nicht nur die Linkspartei dazu verhalten, sondern auch z.B. die SPD bis hoch zum nordrhein-westfälischen Innenminister Jäger, inklusive dem Aufruf:

Wir erwarten vom Kreisverband der Linken eine ebenso klare und öffentliche Verurteilung bzw. Distanzierung von diesem Flugblatt und dessen Verbreitung.

Wir erwarten vom Kreisverband der Linken eine lückenlose Aufklärung des gesamten  Vorganges.

Haben die dann auch gemacht. Und tatsächlich ein paar Erkenntnisse gesammelt, zum Beispiel, dass das Flugblatt aus dem Jahr 2006 stammt, dass es im Januar 2011 auf der Seite verlinkt wurde, dass nicht zu ermitteln ist, wer es war und dass es aber auch kein Hacker gewesen sei, wie man ursprünglich dachte. Entsprechend sollte sich "Die Linke" Gedanken machen, ob sie noch zu Fans der Vorratsdatenspeicherung mutiert, denn die Verbindungsdaten, die ihr Aufschluss geben konnten, wurden ordnungsgemäß gelöscht. Also stellte sie stattdessen Anzeige gegen Unbekannt und dokumentierte das alles auch in einer Stellungsnahme, die allerdings ausser in der "Jungen Welt" kaum Öffentlichkeit fand.

Dafür hatte dann die Linkspartei wieder eine Antisemitismusdebatte, und Deutschlands Journalisten übertreffen sich einmal mehr mit kreativen Versuchen, eben diesen Antisemitismus zu rekonstruieren - natürlich auch aus dem Duisburger Skandal. Befeuert wurde diese Entwicklung sowohl vom Zentralrat der Juden, dessen Präsident Dieter Graumann "blindwütigen Israel-Hass" ausgemacht hatte, aber zum Beispiel auch von der deutschen Bischofskonferenz. In Folge der Diskussion möchte die Linkspartei jetzt das Existenzrecht Israels in ihr Programm aufnehmen und schafft es dabei einmal mehr, aus der gewollten Explosion eine nicht minder wirksame Implosion zu machen. Zum Beispiel so:

Parteichef Ernst wirft Bundestagskollegen mangelnde "Lebensleistung" vor

welt.de

Ich halte die Linie der israel-kritschen Linken schon deswegen für falsch, weil sie ernsthaft suggeriert, es gäbe nach Jahrtzehnten beidseitiger Gewalt einen klar auszumachenden Schuldigen. Und in der Tat ist der Einsatz für Palästinenser häufig blind, aber nicht antisemitisch - die Wurzeln hier sind eher überspitzter Antiamerikanismus bzw. entgleister Antiimperialismus. Auch die sonstige linke Ideologie enthält Ansichten, die denen von Antisemiten ähneln - wenn man selber so denkt. Wenn ich zum Beispiel glaube, alle Juden wären ausgemachte Kapitalisten, dann wäre Antikapitalismus gleichzeitig antisemitisch. Aber da ist ein entscheidender Zwischenschritt drin. Und wenn ich alle Juden für Zionisten halte, dann ist eine Ideologie mit der Überschrift, Religion wäre "Opium für's Volk" auch irgendwo antisemitisch. Aber eben wieder nur mit einem  entscheidenden Zwischenschritt.

Das eigentliche Ziel der ganzen Debatte ist damit auf jeden Fall erreicht: Die Linkspartei verliert nicht nur in Umfragen, sondern auch bei Wahlen und hat sich in ein Wespennest verwandelt. Einige nicht benannte Nebenziele wurden allerdings auch erreicht - um echten Antisemitismus, der nicht nur hierzulande in der Tat noch immer ein Problem ist, kümmert sich kein Mensch mehr. Und jenen Antisemiten, die ihre Juden jetzt durch Muslime ersetzt haben, leistet die Debatte einen unschätzbaren Dienst auf ihrem Weg in die Mitte der Gesellschaft. Die Gräueltaten der Nazis sind noch heute eine der schwersten Hypotheken ihrer aufstrebenden Erben. Wer sie davon aus nichtigem Anlaß befreit und ihre natürlichen Gegner zu den eigentlichen Erben erklärt, wird hoffentlich klug, bevor er aus seinen Fehlern lernen muss.

Bis dahin Wetter.

Kommentare


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