[Lesenswert] „Die Rosa-Hellblau-Falle“, oder: Wieso mein Sohn eine pinke Hose trägt

Das erste Mal machte ich mir über die Rollenklischees meiner beiden Kinder Gedanken, als die Oma bei uns zu Besuch war. Sie trug einen Pullover mit Glitzersteinchen. Mein Sohn, damals 2 Jahre alt, war ganz fasziniert vom Pullover und sagte schließlich: „Du auch ein Glitzer anziehen.“ [mit „du“ meint er sich selbst, die Sprachentwicklung verläuft noch etwas holprig …] Die Oma schaute ihn recht belustigt an und erklärte ihm unmissverständlich, dass Glitzer nur etwas für Mädchen sei und er als Junge kein Glitzer anziehen könne. Seine kleine Schwester, die kann dann Glitzer anziehen, wenn sie so groß ist wie er. Er nickte etwas irritiert und beschäftigte sich daraufhin wieder mit seinen Autos.

Überhaupt liebt er Autos über alles. Wieso das so ist, weiß ich nicht, denn wir besitzen noch nicht mal ein Auto, sondern bewegen uns mit Fahrrad oder Straßenbahn innerhalb der Stadt fort.

Nicht nur bei der Spielzeugwahl ist mein Sohn ein „typischer Junge“. Er ist laut, wild und oft nicht zu bändigen. Bisher hatte ich mir darüber noch keine ernsthaften Gedanken gemacht, es war einfach so wie es war, und so wie es war, war es auch in Ordnung.

Doch am Abend, als die Oma wieder weg war, saß ich auf dem Sofa und dachte darüber nach, wieso mein Sohn denn keinen Glitzerpulli anziehen können sollte, nur weil ihm die Oma das so sagt.

Ist das nicht absurd?

Wieso wird denn einem Kind ein Interesse gleich im Keim erstickt, nur weil es angeblich nicht zum vorgefertigten Muster in der Gesellschaft passt?!

Genau hier setzt das Buch Die Rosa-Hellblau-Falle. Für eine Kindheit ohne Rollenklischees* von Almut Schnerring und Sascha Verlau an.

Typisch Junge – typisch Mädchen?

Wieso benehmen sich so viele Jungen wie „typische Jungs“ und so viele Mädchen wie „typische Mädchen“? Viele Menschen würden nun vielleicht behaupten, dass Jungs ein „angeborenes Interesse“ an Autos, Dinosauriern und sowieso allem, was laut und dreckig ist, haben. Mädchen hingegen „interessieren sich nun mal für Glitzer, Ponys und Prinzessinnen“.

Aber sind diese Verhaltensmuster und Interessen denn wirklich angeboren und unveränderlich? Die Autoren (nein, der Autor und die Autorin!) argumentieren dagegen. In mehreren Kapiteln zeigen sie ausführlich die Geschlechterrollen und -vorurteile in verschiedenen Themenbereichen an. Kleidung, Essen, Sport, … Viele alltägliche Bereiche werden hier ob ihrer Geschlechterklischees analysiert.

Schon vor der Geburt werden Babys bestimmte Eigenschaften nur aufgrund ihres Geschlechts zugeschrieben – klar, denn etwas Anderes wissen die Eltern ja von dem ungeborenen Kind noch gar nicht.

Nach der Geburt werden die Kinder dann sofort in den „richtigen“ Farben gekleidet. Rosa für Mädchen, hellblau für Jungen. Dabei war die Farbgebung nicht immer so. Lange Zeit wurden Jungs rosa gekleidet (denn rot stand für den Herrscher), während die Mädchen hellblau trugen (denn blau war die Farbe Marias). Das Interesse für bestimmte Farben ist also keineswegs angeboren, sondern wird von der Gesellschaft vorgegeben.

Ebenso verhält es sich mit den Interessen und anderen Eigenschaften. Jungs werden von Geburt an mit Autos beschenkt und als „groß und stark“ betitelt, während Mädchen eher zu hören bekommen, sie seien niedlich, süß oder hübsch und entsprechendes Spielzeug bekommen.

Bestimmte Eigenschaften werden also als männlich oder weiblich angesehen. Problematisch ist, dass Eigenschaften, die weiblich konnotiert sind, oftmals als Mangel gelten, die umerzogen werden müssen, z. B. Schüchternheit oder Ängstlichkeit. Legt ein Junge solche Eigenschaften an den Tag, so heißt es schnell, er sei „ein Weichei“ oder auch „ein Mädchen“.

Es ist nicht schwer zu erkennen, dass mädchenhaftes Verhalten oder mädchenhafte Eigenschaften und somit auch Mädchen dadurch herabgestuft werden. Eine Hierarchie der Geschlechter entsteht.

Geschlechterrollen in den Medien

Besonders spannend fand ich die Kapitel über Medien und Werbung. Es wird aufgezeigt, wie unterschiedlich die Geschlechter überhaupt in den Medien vertreten sind. Ein Beispiel, um sich dessen überhaupt bewusst zu werden (denn mir war es bis dato überhaupt nicht so stark aufgefallen) ist der Bechdel-Test für Filme.

Der Test ist sehr simpel, ein Film kann den Test entweder bestehen oder durchfallen. Es werden drei Fragen gestellt, wenn eine der Fragen mit „nein“ beantwortet wird, fällt der Film durch:

  1. Gibt es mindestens zwei weibliche Hauptfiguren, die einen Namen haben?
  2. Reden diese miteinander?
  3. Reden sie über etwas anderes als Männer?

Es ist erstaunlich, wie viele Filme den Test nicht bestehen. Dabei sagt der Test noch nicht einmal etwas über die Qualität der Figuren oder der Konversationen aus, sondern lediglich, ob es überhaupt welche gibt. Analysiert man die Qualität weiter, stellt man größtenteils fest: „Männer handeln, Frauen kommen vor.“

Viele Kinder (und auch Erwachsene) verbringen viel Zeit vor dem Fernseher. Teilweise haben wir an einem Tag mehr Interaktion mit fiktiven als mit realen Charakteren. Es erscheint also zunehmend normal, dass Männer die Hauptrolle im Leben spielen.

Kinder und Werbung

Werbung ist im öffentlichen Raum allgegenwärtig. Kinder können sich der Werbung nicht entziehen. Sie prangt auf Spielzeug und sogar auf Lebensmitteln. Beliebte Serienfiguren ziehren beispielsweise auf Kinder zugeschnittene Trinkpackungen. Einmal in rosa mit Glitzer und Prinzessinnen, ein anderes Mal in blau und schwarz mit Rittern oder Piraten. Für das Phänomen gibt es sogar einen Fachbegriff: Gender-Marketing.

Oft ist Werbung bewusst überspitzt dargestellt um lustig zu wirken. Werbung richtet sich an „mündige Verbraucher“, aber das sind Kinder noch nicht. Kinder müssen erst lernen, Ironie zu verstehen. Dies gelingt ihnen erst etwa im 8. Lebensjahr. Vorher empfinden sie Werbung, die gezielt mit Stereotypen der Geschlechterrollen spielt, eher als richtungsweisend. Denn Kinder wollen in ihrer Gruppe dazugehören und versuchen sich dementsprechend gruppenkonform zu verhalten.

Wege aus der Rosa-Hellblau-Falle

Das waren nur zwei Beispiele aus dem Buch, wie der normale Alltag das Geschlechterbewusstsein von kleinen Kindern prägen kann.

Es wird im Buch aber nicht nur kritisiert, sondern auch aufgezeigt, wie sich Wege aus der Rosa-Hellblau-Falle finden lassen können.

Eine sehr einfache Methode ist hierzu die Sprache. Kinder brauchen einige Zeit, bis sie das generische Maskulin verstehen. Wenn Eltern sagen, sie gehen zum Arzt, stellen sich die Kinder einen männlichen Arzt vor, obwohl mit der Bezeichnung auch eine Ärztin gemeint sein könnte. Um dies zu verstehen, erfordert es eine Geschlechtsabstraktion, damit vom natürlichen Geschlecht abgesehen werden kann.

Wir können also unseren Kindern entgegen kommen und stattdessen sagen: „Ich gehe zur Ärztin.“

Übrigens kritisiert das Buch nicht nur den Gebrauch und die Auswirkungen von weiblichen Stereotypen, sondern auch den von männlichen. Wobei der Kanon des Buches dennoch bleibt, dass die Weiblichkeit in der Hierarchie unter der Männlichkeit steht.

Insgesamt regt das Buch auf jeden Fall zum Denken bezüglich des Umgangs mit Geschlechter-Stereotypen in Gegenwart von unseren Kindern an.

Kinder können die Welt neu erfinden

Außerdem ist es ja nunmal so, dass die Welt und die Gesellschaft, in der wir leben, sich in einem ständigen Wandel befinden. Dieser Wandel wird größtenteils von den nachfolgenden Generationen geprägt, da Kinder oft andere Blickwinkel haben als ihre Eltern. Ich rede dabei nicht nur von heutigen Kindern, auch ich erziehe beispielsweise meine Kinder anders als meine Eltern mich damals erzogen haben. Wenn wir also unseren Kindern ihren frischen Blick lassen, können sie die Welt vielleicht verändern, auch wenn es nur ein kleines bisschen ist. Und das ist gut so, denn die Generationen nach uns müssen natürlich länger mit der Welt und der Gesellschaft leben als wir. Also sollten sie auch die Möglichkeit haben, ihre Welt neu zu gestalten.

Wenn in der Welt meiner Kinder Jungen also Glitzerpullis anziehen wollen, dann habe ich dem nichts entgegenzusetzen. Denn er hat die Freiheit, selbst zu entscheiden, was er mag und was nicht.

Nach dem Oma-Glitzerpulli-Vorfall, der Lektüre der Rosa-Hellblau-Falle und einiger Selbstreflexion habe ich also für mich beschlossen, dass mein Sohn alles anziehen „darf“, was er möchte. Ich bin nicht in der Position ihm vorschreiben zu müssen, welche Kleidung für ihn als Junge passend ist und welche nicht. Das gleiche gilt natürlich auch für Spielzeug, Hobbies, etc.

Ein paar Wochen später hatte mein Sohn wieder einen Wachstumsschub, so dass wir neue Hosen für ihn benötigten. Wir gingen zum örtlichen sozialen Kaufhaus, in dem es eine Menge guter Second-Hand-Kleidung für Kinder gibt. Ich legte ihm sämtliche Hosen in seiner Größe vor die Füße und er entschied sich schließlich für drei Hosen: Eine türkise Hose, eine pinke Hose mit Herzaufnähern an den Knien und eine Hose mit Pferdeprint, die er alle drei noch sehr gerne trägt! 🙂

Achtet ihr im Umgang mit euren Kindern auf Geschlechtergerechtigkeit oder auf Rollenklischees? Ich freue mich auf eure Kommentare!

Christin

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