Köln ist kein Einzelfall

Irmingard Schewe-Gerigk

Irmingard Schewe-Gerigk

Die Abweisung einer mut­maß­lich ver­ge­wal­tig­ten Frau durch zwei katho­li­sche Krankenhäuser in Köln im Dezember 2012 hat eine breite Empörung in Deutschland her­vor­ge­ru­fen. Die Vorstandsvorsitzende von TERRE DES FEMMES, Irmingard Schewe-Gerigk, äußerte sich im Interview zum Skandal von Köln und den not­wen­di­gen Folgen.

hpd: Frau Schewe-Gerigk, TERRES DES FEMMES unter­stützt die Unterschriftenkampagne von pro fam­lia NRW zur Sicherstellung einer Notfallverhütung für ver­ge­wal­tigte Frauen in allen deut­schen Krankenhäusern, die sich an den Bundesgesundheitsminister und die Gesundheitsministerin von Nordrhein-Westfalen rich­tet. Warum ist Ihnen das Thema der­ar­tig wich­tig?

Schewe-Gerigk: Als größte deut­sche Frauenrechtsorganisation waren wir ent­setzt, das im 21. Jahrhundert im Namen einer christ­li­chen Religion Frauen, die Opfer von Gewalt gewor­den sind, die not­wen­dige Hilfe ver­sagt wurde. Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, Frauen in Not zu unter­stüt­zen. Darum wol­len wir dazu bei­tra­gen, bis zum 14. Februar, dem welt­wei­ten Aktionstag gegen Gewalt an Frauen 50.000 Unterschriften zu sam­meln und mit den ver­ant­wort­li­chen PolitikerInnen dar­über zu spre­chen, was zu tun ist. Unser Ziel ist eine Notfallverhütung ganz beson­ders für ver­ge­wal­tigte Frauen, und zwar in allen deut­schen Krankenhäusern, denn “Vergewaltiger tra­gen keine Kondome”.

Sie ver­lan­gen die Sicherstellung der Notfallverhütung in allen deut­schen Krankenhäusern. Sehen Sie somit den Vorfall von Köln nicht als Einzelfall, son­dern als exem­pla­risch für katho­li­sche Krankenhäuser ins­ge­samt?

Nach TERRES DES FEMMES vor­lie­gen­den Informationen ist Köln lei­der kein Einzelfall. Durch die “ethi­schen Stellungnahmen” der katho­li­schen Kirche auch in Krankenhäusern ande­rer Bistümer wer­den mei­nes Erachtens ärzt­li­che Pflichten ver­letzt und Opfern Hilfe ver­sagt. Da klingt es in mei­nen Ohren zynisch, wenn Kardinal Meissner erklärt, der Vorfall “beschämt uns zutiefst”, aber gleich­zei­tig wie­der­holt, dass Frauen das Kind eines Gewalttäters aus­tra­gen müs­sen.

Gut, dass es doch immer wie­der mutige Menschen gibt, die hel­fen und selbst einen Arbeitsplatzverlust in Kauf neh­men.

Bekannt ist in der Öffent­lich­keit, dass die katho­li­sche Kirche Abtreibungen selbst nach Vergewaltigungen ablehnt. Was ist mit der in Köln im Vordergrund der Hilfeverweigerung ste­hen­den „Pille danach“? Diese Pille soll in katho­li­schen Krankenhäusern kei­nes­wegs ver­schrie­ben wer­den.

Auch wenn von den GegnerInnen der “Pille danach” immer behaup­tet wird, sie diene der Abtreibung, ist doch allen Fachleuten klar, dass sie die Einnistung der Eizelle in die Gebärmutter ver­hin­dert und daher eine Verhütungsmaßnahme ist. Also keine Abtreibung. Die in Köln jetzt von der katho­li­schen Kirche ver­wen­dete unrich­tige Bezeichnung der Wirkung die­ser Pille als Abtreibung ist mit Sicherheit kein Versehen, son­dern gezielte Politik.

Liegt nicht das gene­relle Problem darin, dass die katho­li­schen Einrichtungen einen Zugriff auf die medi­zi­ni­sche Grundversorgung und auf die Notfallversorgung haben, aber nur im engen Rahmen ihrer reli­giö­sen Vorstellungen bereit sind, Hilfe zu leis­ten? Das, obwohl diese Einrichtungen durch die Steuerzahler und die Sozialversicherung finan­ziert wer­den?

Die katho­li­schen Krankenhäuser sind ja Bestandteil der all­ge­mei­nen medi­zi­ni­schen Versorgung. In Nordrhein-Westfalen ist jedes zweite Krankenhaus in katho­li­scher Trägerschaft. In länd­li­chen Regionen sind sie oft die ein­zi­gen Krankenhäuser weit und breit.

Vorfälle wie in Köln sind künf­tig in öffent­lich finan­zier­ten Institutionen zu unter­bin­den. Hier sehen wir poli­ti­schen Handlungsbedarf sowohl beim Bund als auch bei den Ländern.

„Lebensschützer“ üben offen­bar enor­men Druck auf katho­li­sche Krankenhäuser aus – wie soll man damit umge­hen?

Es ist schon per­fide, wie selbst ernannte “Lebensschützer”, finan­ziert durch eine Krankenkasse, “Testkäufe” für die Pille danach initi­iert haben, um damit Ärz­tIn­nen ein­zu­schüch­tern. Klare recht­li­che Grundlagen für die Ärz­tIn­nen könn­ten viel von die­sem Druck neh­men.

Die Regierungsparteien in NRW, SPD und Grüne, haben lücken­lose Aufklärung des Vorfalls ange­kün­digt. Ist der poli­ti­sche Wille zur lücken­lo­sen Aufklärung vor­han­den ist, und auch die Bereitschaft dazu, nöti­gen­falls Konsequenzen zu zie­hen?

Mit der lücken­lo­sen Aufklärung ist es ja bekann­ter­ma­ßen bei der katho­li­schen Kirche ein Dilemma, wie das Beispiel des sexu­el­len Missbrauchs gezeigt hat. Ich habe aller­dings gro­ßes Vertrauen in NRW-Gesundheitsministerin Steffens, dass sie im Interesse der Opfer hart bleibt.

Religion darf kein Grund sein, Menschen medi­zi­nisch not­wen­dige Maßnahmen vor­zu­ent­hal­ten. Es wird genau zu prü­fen sein, ob es eine ärzt­li­che Pflichtverletzung gege­ben hat und ob eine unter­las­sene Hilfeleistung vor­liegt.

Wäre es nicht gebo­ten, eine bun­des­weite Bestandsaufnahme zur Diskriminierung von Frauen in katho­li­schen Krankenhäusern zu machen?

Eine bun­des­weite Bestandsaufnahme ist tat­säch­lich ein not­wen­di­ger Schritt, um das ganze Ausmaß an Diskriminierungen zu erfas­sen.

In den letz­ten Wochen hat sich der Weltöffentlichkeit im Zusammenhang mit dem Tod einer jun­gen indi­schen Frau nach einer bru­ta­len Vergewaltigung in einem Bus ein erschre­cken­des Bild der Situation von Frauen in Indien gezeigt. Wie schät­zen Sie die Situation bezüg­lich sexu­el­ler Gewalt in Deutschland ein?

Trotz vie­ler recht­li­cher Verbesserungen wie dem seit 10 Jahren beste­hen­den Gewaltschutzgesetz oder der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe müs­sen wir lei­der fest­stel­len, dass das Ausmaß an Männergewalt nicht abge­nom­men hat. Es gibt zwar eine stär­kere Sensibilisierung in der Bevölkerung und ein gestie­ge­nes Anzeigeverhalten, die Verurteilungen lie­gen aller­dings im ein­stel­li­gen Bereich. Dieses gesell­schaft­li­che Phänomen hängt auch mit den immer noch beste­hen­den Machtverhältnissen zwi­schen Männern und Frauen zusam­men.

Vielen Dank für die­ses Gespräch.

Die Fragen stellte Walter Otte.

[Erstveröffentlichung: hpd]

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