„Ja aber so ist es doch überhaupt (noch) nicht!“

„Ja aber so ist es doch überhaupt (noch) nicht!“

„Islamisierung“. Allein schon über das Wort streiten sich Islamwissenschaftler, seitdem es dieses gibt und nehmen es in ganz seltenen Fällen in den Mund. Die Anführungsstriche kann man oft heraushören. Nachvollziehbar ist es durchaus: Das Wort wirkt gespenstig, extrem bedrohlich, als sei der Islam ein Monster mit weit aufgerissenem Maul, das dabei ist, Europa zu verschlingen. Und nicht ohne Grund ist „Islamisierung“ das Lieblings- und meist verwendete Wort der Populisten bei ihrer Propaganda. Aber richten wir unsere Blicke auf die Art und Weise, wie wir uns Muslime gegen diese Vorwürfe zu wehren pflegen. Wie reagieren wir eigentlich auf islamfeindliche Angriffe? Wohin führt es uns, wenn wir antworten, „Islamisierung lässt sich wissenschaftlich wiederlegen“?

Auf dem diesjährigen „Zukunftsforum Islam“, veranstaltet von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), haben wir interessante Vorträge gehört. Haci Halil Uslucan, Migrationsforscher und Professor für Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen, referierte über das Thema „Muslime in Deutschland“. Er kam schließlich zu dem Punkt „Schwierigkeiten bei der Erfassung der ‚Islamisierung‘“. Man könne bei den hier lebenden Muslimen die Zuwendung zum Islam („Reislamisierung“) schwer erfassen. Auch die Methoden dafür, den Zahlenanstieg der Muslime in Deutschland zu erfassen, seien höchst problematisch. Resümee: Islamisierung? Kann man nicht genau sagen. Die Instrumente, um sie zu erfassen, funktionierten nicht!

Genau an dieser Stelle kamen in mir fundamentale Fragen auf. Fragen nach dem Zweck und der Intention. Dafür müssen wir zunächst einen großen Schritt zurückmachen. Weg von den Fragen, wie „Verbreitet sich der Islam tatsächlich so schnell?“, „Wie hoch ist der Anstieg der Zahl der Muslime? oder „Kann man konkret von einer Islamisierung sprechen?“ Die grundlegende Frage, die wir uns stellen müssen, ist: „Warum?“. Aus welchen Gründen soll ich die Zahl der Muslime in Deutschland erfassen? Warum soll ich die Zahlen der Muslime von 1990, 2000 und 2010 miteinander vergleichen? Warum soll ich sagen, ob man von einer Verbreitung des Islam sprechen darf oder nicht? Vor allem die Frage: Was ist der Sinn dahinter, wenn ich sage: „Nein, eine Islamisierung lässt sich wiederlegen und ist auch sonst problematisch aufzuzeichnen“?

Es ist teils die Rechtfertigung. Teils der Drang danach für Nüchternheit zu sorgen und die Angst zu nehmen. Es ist die Einstellung, allem Anschein von Angst und Feindschaft des Gegenübers entgegenzutreten. Um jeden Preis für den Islam geradezustehen, ohne eigentlich zu fragen, ob es sinnvoll ist. Am Ende laufen unsere Aussagen auf Folgendes hinaus: „Der Anstieg der Muslime ist ein Problem, ja. Aber soweit sind wir doch nicht. Er ist zwar eine Gefahr, deswegen thematisieren wir „Islamisierung“ und wollen beruhigen, indem wir Statistiken, Daten und Fakten liefern, aber Alarmstufe Rot haben wir nicht erreicht, keine Sorge.“

Muslimische Intellektuelle haben sich soweit mitnehmen lassen, dass sie sich für Phänomene beinahe schämen wollten. Ich frage mich: Stempelt man den Islam nicht selbst als Gefahr ab, wenn man dem Gegenüber zu erklären versucht, die Anzahl der Muslime steigt nicht so, wie es in den Medien suggeriert wird. Manche Medien vermitteln inkorrekte Bilder, das stimmt. Sie verzerren vielleicht tatsächlich Realitäten. Doch darum soll es nicht gehen. Ich hinterfrage vielmehr den Sinn hinter unseren Reaktionen: Wenn wir mit dem Ziel, für „Sachlichkeit“ zu sorgen, erklären, „so eine hohe Geburtsrate haben muslimische Familien auch wieder nicht.“, lassen wir dann nicht Muslime und ihre Kinder als Risikopotenzial darstellen? Wir müssen uns ernsthaft fragen, wohin das „Thematisieren“ führt? Für Nüchternheit kann man sorgen, wenn sich Muslime in der Gesellschaft engagieren, versuchen diejenigen zu werden, die unser Prophet (s) gelobt hat: „Der Beste unter euch Muslimen ist derjenige, der den MENSCHEN am Meisten von Nutzen ist.“ Das wäre ein vernünftiger Weg, Vorbildfunktion zu übernehmen und entgegen allen Vorurteilen, Menschen, die im Islam eine Bedrohung sehen, zu irritieren.

Doch wie verteidigen wir uns? Es ist mehr als absurd, wenn sich ein Muslim dahinstellt und das Publikum zu beruhigen versucht, in dem er indirekt sagt, so schlimm ist es nun doch auch wieder nicht, “noch” nicht. Muslime haben sich im Kampf um Anerkennung, im Ringen um Akzeptanz zur Gewohnheit gemacht, ständig für irgendwelche Angriffe gerade zu stehen. Ich habe das starke Gefühl, wir verlieren so langsam das Verständnis dafür, was eigentlich berechtigt ist, was Sinn macht und was eigentlich völlig einfältig ist. Wenn wir unserem Gegenüber erklären, muslimische Familien wären allmählich auf dem Weg niedrige Geburtenraten zu bekommen oder wenn wir unseren Gesprächspartner mit der Feststellung beruhigen wollen, die neue Generation unter den Muslimen sei säkularer, man finde sogar Nichtmuslime und weniger Kopftuchträgerinnen unter ihnen oder wenn wir unserem Publikum die Panik nehmen wollen, indem wir belegen, auch von den deutschen Konvertiten treten doch manche aus dem Islam aus, dann liebe Leserinnen und Leser sollten wir uns bitterernst zusammenreißen und uns mal fragen worauf wir eigentlich hinauswollen. Was wollen wir ernsthaft im Endeffekt sagen? Übernehmen wir nicht gerade dadurch die Einstellung mancher islamfeindlicher Kritiker und Rechtspopulisten? Stimmen wir ihnen nicht letztendlich in dem Punkt zu, mehr Islam sei eine Bedrohung? Nützt noch die verzweifelte Anmerkung: Ja aber so ist es doch überhaupt (noch) nicht!?


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