Islam - zwei gegensätzliche Religionen, ein Name

31.12.2015Hintergrundcreated by Dr. Seyed Mostafa Azmayesh

mehriran.de - Interview mit Dr. Seyed Mostafa Azmayesh, Religionswissenschaftler, Forscher auf dem Gebiet der Spiritualität, Menschenrechtsanwalt und Sufi Meister über Koran, Islam, das Leben Mohammeds und zu Gewalt im Namen von Islam.

Islam - zwei gegensätzliche Religionen, ein Name

In diesem Buch sind weitere Details zu erfahren, ab 2016 erhältlich

mehriran.de - Die Gewalt im Namen von Islam rückt stärker ins Bewusstsein und in den Alltag westlicher Gesellschaften. Im Mittleren Osten wird diese Gewalt gegen Muslime und Mitglieder anderer Religionen schon lange erfahren. Durch Angriffe wie kürzlich in Paris, sind westliche Gesellschaften jetzt stärker davon betroffen.

Interviewer: Wie können Texte des Korans, die scheinbar zu Gewalt auffordern oder Gewalt anpreisen, aufgefasst werden? Was sollten wir wissen über den Kulturraum und die Zeit, in der der Koran entstanden ist und bekannt wurde? Und wie können wir ihn heutzutage auslegen?
Über den Koran und die beiden Versionen von Islam
Dr. Azmayesh: Keinesfalls fordert der Koran zu Steinigungen, Kopftuch, Vielweiberei, Hinrichtungen durch den Strang oder Töten anderer Menschen auf und dennoch wird all dies im Namen des Islams ausgeführt. Was hier geschieht, passiert auf Grund einer Anschauung von Islam, die sich auf ausgedachte Überlieferungen (Rewayat) stützt und den Koran links liegen lässt. Diese Überlieferungen (Rewayat) wurden willkürlich und fälschlicherweise dem Propheten Mohammed zugesprochen, um ihnen Gültigkeit und Legitimation zu verleihen. Sie haben nichts mit den Lehren des Korans zu tun. Sie widersprechen gänzlich den Botschaften des Korans.
Schon zu Lebzeiten Mohammeds entstanden zwei entgegengesetzte Religionen unter gleichem Namen und in der gleichen Periode. Das hat alles noch gar nichts mit den späteren Abspaltungen von Sunniten und Schiiten und allen weiteren islamischen Denominationen zu tun. Im Koran finden sich Verse, die eindeutige Kritik an den sogenannten Monafeghoun (Heuchler) oder "falschen Muslimen" üben. Diese "Heuchler" waren Anhänger von Stammestraditionen, die sich an ihren Ahnen und Bräuchen orientierten. Sie hielten an ihren abergläubischen Überzeugungen fest, wodurch sie die kulturell-geistigen Lehren des Propheten Mohammed gänzlich ablehnten.
Dass sich Anhänger der vor-islamischen Ahnenkulte und der Götzendienerei zum Islam bekannten, stellte sich recht bald als Lippenbekenntnis heraus, denn sie waren ihren Überlieferungen verhaftet, während sie eine Gruppe "falscher Muslime" innerhalb der neugeborenen Gemeinschaft der Muslime in Mekka bildeten. Diese "falschen Muslime" gaben ein Lippenbekenntnis ab, als sie sich zum Islam bekannten (Shàhâdàt ol Léssânnieh) und die Einheit Gottes priesen, sowie Mohammad als Propheten anerkannten, ohne wirklich davon überzeugt zu sein. Nachdem sie dann Teil der Gemeinschaft der Muslime waren, bauten sie Moscheen, um im Namen Allahs zu beten und zu predigen, taten dies jedoch nach ihrem eigenen Gutdünken und brachten ihre eigenen Interpretationen hervor, um die Menschen von den spirituellen Lehren des Korans abzubringen.
Sie bekämpften Islam nicht mehr als Feinde, sondern integrierten sich in die Gemeinschaft der Muslime, um den Einfluss Mohammads und seiner Führung zu mindern und die Muslime dazu zu bringen, ihnen zu folgen. Sie hielten nichts von dem Islam, der mit den Lehren aus dem Koran übereinstimmte. Eine komplette Sure schildert die Heuchelei dieser Leute und verurteilt ihre Haltung. Das findet sich auch in einigen weiteren Versen. Diese "falschen Muslime" lebten in Medina zu Lebzeiten Mohammeds.  Hier ist die Geschichte der Menschheit Zeuge geworden, wie zwei sich widersprechende Religionen unter dem Namen Islam seit 622 n.Chr. (nach dem Auszug Mohammeds und seiner Gefährten von Mekka nach Medina) geboren wurden.


Es gibt diverse Unterschiede von großer Tragweite zwischen den beiden Islam-Versionen, die man den Islam der abergläubischen Beduinen und den Islam der Bürger (al-Islam ol Màdàni: in Medina) nennen könnte. Der Koran enthält die Botschaft, Menschen dazu zu inspirieren, hoch zivilisierte Gesellschaften aufzubauen, die sich auf Recht, Gleichwertigkeit, Partnerschaftlichkeit, Toleranz, Ritterlichkeit, Bildung, Respekt für Bürgerrechte gründen. So finden sich im Koran die Königreiche von David und Salomo als Beispiele für eine spirituelle Kultur und den Aufbau einer idealen Gesellschaft. Im Koran wird jeder individuelle Mensch als Stellvertreter Gottes auf Erden betrachtet. Im Gegensatz dazu, waren die Nomaden und herumziehenden Beduinen der arabischen Halbinsel jener Zeit ein Leben ohne Bindungen an einen Ort gewohnt und lehnten zivilisatorische Errungenschaften ab. Ihre Weltsicht widersprach zivilisatorischen Werten und Errungenschaften. Sie sicherten ihr Überleben dank Raubüberfällen, Eroberungen und in Besitznahme anderer Leute Güter. Sie wirkten als Zerstörer von Zivilisationen. 
Diese beiden antagonistischen Weltsichten gab es seit Anbeginn der Menschheit. Doch diese aggressive Weltsicht mit ihren Werten fehlt nicht nur gänzlich darin, sondern widerspricht geradezu dem Koran. So setzten sich an Stelle des Korans gewisse Überlieferungen (Rewayat) durch, die von bestimmten Geistlichen unter Menschen, die weder schreiben noch lesen konnten, verbreitet wurden. Diese Geistlichen erfanden also "überlieferte" Sprüche (Rewayat) und ordneten sie dem Propheten Mohammad zu. 
Der Koran hat zwei Aspekte: am Wesentlichsten sind die Lehren über die Entwicklung der individuellen Substanz, ein Weg, der für jeden Menschen möglich ist. Der zweite Aspekt enthält Gesetze und Prinzipien zur Gestaltung des Gesellschaftslebens, die einen Entwicklungscharakter haben und der jeweiligen Zeit und den jeweiligen Umständen angepasst sein müssen. Ein Beispiel: es findet sich im Koran ein Gesetz, das die Anbetung von Götzen und das Erbringen von Opfern diesen Idolen gegenüber für die Menschen auf der Arabischen Halbinsel verbietet. Zur gleichen Zeit gab es in unmittelbarer Nachbarschaft der Arabischen Halbinsel (z.B. in Persien) ein Kastenwesen, wo die Menschen in ihrer jeweiligen Kaste limitiert waren; manche Menschen durften schreiben lernen und Schulen besuchen, andere nicht. Der Koran postuliert Gleichwertigkeit und fordert Chancengleichheit für alle Menschen. Unterschiede zwischen Menschen entspringen dann eher aus dem Grad ihrer Nähe zu Gott und ihrem inneren Entwicklungszustand. Diesen Zustand kennt alleine Gott und keine menschliche Autorität. Dadurch kann sich niemand erlauben, andere abzuwerten. Jeder ist gleichwertig. Diese Ansicht von Gleichwertigkeit lebte weder auf der Arabischen Halbinsel, noch in den Anrainerstaaten jener Zeit. So führten die Lehren des Korans dieses Prinzip ein. Es heißt im Koran, dass jeder Mensch ein potentieller Stellvertreter Gottes auf Erden sei. Diese Tatsache ist unabhängig von Hautfarbe, Sprache, sozialem Hintergrund eines Menschen und anderer sekundärer Merkmale einer Person. Viele Verse des Korans sprechen nicht von Muslimen und Nicht-Muslimen, sondern von den Kindern Adams, "Bani Âdam".
Interviewer: Wie können Menschen, die sich dem Islam verbunden fühlen, angesichts von Gewalt im Namen des Islams reagieren? Was ist Ihre Antwort auf diese Gewaltanwendung, der damit verbundenen Unwissenheit und den damit in Zusammenhang stehenden Anschuldigungen? 
Gewalt im Namen des Islams            
Dr. Azmayesh: Die Angriffe, die im Namen des Islams von fanatischen Islamisten stattfinden, entbehren jeder Verbindung mit der Lehre des Islam. Für mich finden sich die Unterweisungen des Koran allesamt im Koran und die Grundlage dieses Buches ist Einheit. Das Buch betont die Schöpfung der Welt durch einen einzigen Schöpfer und den eigentlichen Grund der Schöpfung: in diesem endlosen Weltall ist der Mensch Stellvertreter Gottes. Es ist einfach nicht möglich, ein anderes menschliches Wesen, einen Mitmenschen und gleichfalls Stellvertreter Gottes, zu enthaupten. Dies sind Sufi Weisheiten, die der Koran enthält. Leute, die Mitmenschen im Namen des Islam töten, haben leider gar keine Kenntnisse über Islam. Der Islam dieser Leute hat nicht im Geringsten etwas mit dem Koran gemein, ihre Handlungen widersprechen den Lehren des Korans. Die Definition von Islam findet sich im Koran: es ist der Name eines methodischen Vorgehens, einer praktischen Anwendung, die seit der Zeit Abrahams bis in die Zeit Mohammeds zur Anwendung kam. Es ist der Pfad der substanziellen Entwicklung einer Person, die eine Reihe von Übungen praktiziert, um ihr "krankes" oder "unentwickeltes" Herz in ein "gesundes" oder "erleuchtetes" Herz zu verwandeln. Die Methode umfasst verschiedene Elemente oder Anwendungsformen, wie Selbstbetrachtungen und Selbsterkenntnis oder das Ausüben bestimmter Rhythmen, stilles oder hörbares Rezitieren von Mantren oder Zhikrs (rhythmisch wiederholte Namen Gottes), Herz-Meditationen und Hinwendung der Aufmerksamkeit im Alltag auf Gott. Die Hinwendung der Aufmerksamkeit auf das Herz und die Verbindung zum Herzen ist in dieser Methode entscheidend. Wenn unser Herz nicht gesund ist, können Körper und Seele ebenfalls nicht ihre volle Kraft entfalten oder gesund sein. Ein Muslim ist ein Mensch, der diesen Prozess mit der Absicht einer "Gesundung" durchläuft.
Interviewer: Zitiert wird neben den Stellen im Koran, wo Gewalt zur Sprache kommt, immer wieder auch das Leben des Propheten Mohammad als Beispiel für Gewaltanwendung. Wie können wir solchen Vorwürfen am besten begegnen?
Das Leben des Propheten Mohammad
Dr. Azmayesh: War Mohammad ein Krieger oder jemand, der seine spirituelle Entwicklung aktiv in die Hand genommen hat? Hat er Frauen von seinen Gegnern geraubt? War er Analphabet, wodurch der Koran nach seinem Tod geschrieben wurde? Hat Mohammad Menschen gezwungen, sich zum Islam zu bekennen? Das sind einige der fixen Ideen und Vorstellungen, Vorurteile in vielen Köpfen, die sich im Verlauf der Geschichte angesammelt haben und die Mohammad schlecht aussehen lassen.
Nach der öffentlichen Bekanntgabe seiner Mission predigte Mohammad für die Dauer von 23 Jahren: 13 Jahre davon in Mekka und danach 10 Jahre in Medina. Er hat seine Weltanschauung und seinen Aufruf an die aggressiven Stämme der Umgebung, ihr Verhalten an friedlichen Werten auszurichten, verteidigt. Gleichzeitig war er gegenüber anderen Weltanschauungen tolerant, was sich mit der Formel "ihr habt eure Überzeugungen, ich habe meine" ausdrücken lässt. Er war bereit, Dialoge zu führen und forderte andere auf, mit ihm zu diskutieren. Gleichfalls heißt es im Koran: "Mit Menschen Gespräche zu führen ist die beste Art des Umgangs."Viele Menschen jener Region haben jedoch seine Lehren über den Weg der Liebe, der Toleranz, der Einheit, der Partnerschaftlichkeit nicht angenommen und haben ihn und seine Gedanken als Bedrohung ihrer gewohnten Lebensführung betrachtet.
Die Kernursache der ganzen Kämpfe und militärischen Auseinandersetzungen liegt in der Absicht bestimmter Leute, Mohammed zu ermorden. Mohammed flüchtete aus Mekka nach Medina, wo er über 30 Angriffe seiner Gegner aus Mekka abwehren musste, um seiner persönlichen Vernichtung und der Auslöschung seiner Gemeinschaft zu entgehen. Da er sich verteidigen musste, ließ er einen Wall und einen Stadtgraben um Medina ziehen, um Medina vor Überraschungsangriffen zu schützen. Schließlich wurden seine Gegner mürbe und ihr Glaube an ihre eigene Weltanschauung begann immer weiter abzunehmen, so dass sie sich am Ende der Gemeinschaft Mohammeds anschlossen. Zuletzt zog Mohammed kampflos nach Mekka ein und erklärte das Ende der Zeit der Götzenanbetung. Dann wies er die Entfernung der Idole aus der Kaaba an, um der Kaaba ihre ursprüngliche Widmung zurück zu geben. Schließlich kehrte er zurück nach Medina, wo er Zeit seines Lebens verblieb.
In groben Zügen war das die Lebensgeschichte Mohammads. Nach seinem Tod folgten vier von der Gemeinschaft gewählte Kalifen, von denen der letzte, Ali ibn Abi Talib, durch einen Eiferer während eines Morgengebets in der Moschee von Kufa (im heutigen Irak) ermordet wurde. Danach usurpierte ein despotisches System die Macht und formte ein Reich, das seinen Herrschaftsbereich unter der Flagge des Islams von China bis nach Spanien expandierte. Alte Stammesbräuche, wie Sklavenhaltung, Enthauptungen, Steinigungen, Genitalverstümmelungen bei jungen Mädchen, Verschleierungszwang, wurden auf der Grundlage von Überlieferungen (Rewayat) - die einige den Machthabern nahe stehende Leute erfunden und dem Propheten zugeschrieben hatten - fortgesetzt. Dies nutzte den Despoten, die die Macht ergriffen und sich selbst zum Kalifen und Führer der Gemeinschaft der Muslime proklamiert hatten.
Interviewer: Im Iran werden Sufis unterdrückt, da man ihnen vorwirft, keine guten Muslime zu sein. Sie versuchen schon seit vielen Jahren eine Stimme für sie zu sein und ihnen zu helfen. Das bedeutet, Sie sind sehr erfahren darin und wissen vermutlich, wie mit dem Druck der aktuellen Zeit umzugehen ist. Wie kann man am besten mit einem solchen Druck umgehen?

Dr. Azmayesh: Der Leitstern meines Handelns ist geistige Ritterlichkeit (Javânmardy). Was wir seit Jahren in Europa versuchen, ist über die Gefahren aufzuklären, die aus den Ereignissen im Iran vor mehr als 35 Jahren erwachsen sind. Da ich aus dem Iran stamme, habe ich all das erfahren und jetzt sehe ich, dass es sich in Europa anbahnt. Daher versuchen wir die internationale Gemeinschaft über die zunehmende Gefahr aufzuklären. Es gilt sich der Gleichgültigkeit und Unwissenheit über die Gefahr, die mehr und mehr zunimmt, entgegenzustellen. Die Gefahr wird zu wenig ernst genommen. Die Leute denken oft, dass sich all dies woanders zuträgt, bevor sie plötzlich mit unerwarteten Situationen konfrontiert werden und viel zu spät erwachen und feststellen, dass ihr Handlungsspielraum sehr klein geworden ist. Das Phänomen, mit dem wir es zu tun haben, ist anti-zivilisatorisch und brandgefährlich. Die Gräueltaten im Sindschar sind bekannt geworden: Männer wurden ermordet, da sie sich nicht den Aggressoren anschließen wollten, Frauen wurden auf Märkten als Sklavinnen verkauft. Das ist nicht zu fassen, es ist empörend und die Taten lassen sich überhaupt gar nicht aus dem Islam heraus rechtfertigen oder womöglich gut heißen. Die Gefahren eines auf Überlieferungen (Rewayat) gegründeten Islams für die an einer konstruktiven Zivilisation interessierten Menschen, sollten uns allen bewusst sein. Darüber gilt es öffentlich und wiederholt und deutlich zu sprechen. Dafür braucht es immer wieder geeignete Plattformen und vertiefende Gespräche für die ich zur Verfügung stehe.

All rights reserved, Dr. Seyed Mostafa Azmayesh

Dezember 2015

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