Inszenierung von Macht

Politiker sind Marken. Ihre Persönlichkeit ist oftmals das Produkt einer langen, komplexen Werbe- und Imagekampagne. Ein Image wird inszeniert, je nachdem welcher Anlass es gerade erfordert. Das kann hervorragend klappen - Adenauer als großväterlicher Fels in der Brandung, Kohl als bräsige Gemütlichkeit, Schröder als erster Proll der Nation - oder furchtbar daneben gehen, wie es im Hochglanzprospekt Guttenbergs oder eben im Falle der bürgerlichen Spießigkeit Christian Wulffs war. Dieses Projekt war schon alleine deswegen interessant, weil es eigentlich hätte funktionieren müssen. Wulff hatte gute Beziehungen zur BILD, hatte sich mit der Heirat mit Bettina Wulff ein halbwegs modernes Image zugelegt (Patchworkfamilie und Arschgeweih, durfte nie fehlen!) und wirkte generell auf die CDU-Art seriös. Geklappt hat es bekanntlich seit der Bundespräsidentenwahl nicht. War die generelle Charakterisierung Wulffs vor der Wahl noch die des "Schwiegersohns" (scheinbar ein Innbild an Spießigkeit), so verbaute ihm der Coup Sigmar Gabriels, Joachim Gauck zu nominieren, alle Chancen. Von Anfang an galt er als eine "politische" Wahl (oh Graus!), als der unterlegene Kandidat, die Niete, die nur aus niederen Motiven überhaupt zur Wahl steht und wegen getürkten Systems diese gewinnen kann und wird. Ein solcher Start würde ziemlich vielen Leuten den Imageaufbau verhageln.
Danach wurde es relativ ruhig um Wulff, bis er mit "der Islam gehört zu Deutschland" den einen bleibenden Satz seiner Präsidentschaft aussprach und begann, die Integration als sein Thema zu entdecken. Das ermöglichte es ihm, sich gegen Teile seiner Partei, aber nicht unbedingt gegen Merkel zu profilieren (die ja schon in der Sarrazin-Debatte ihre Meinung ungewöhnlich deutlich ausgedrückt hatte). Erneut verschwand Wulff in der Versenkung typischer Präsidentschaftstätigkeiten. Es schien, als wäre er zwar als zweite Wahl, aber doch irgendwie in Ordnung angenommen, bis der große Skandal ausbrach. Was bereits bei der Wahl geschehen war, potenzierte sich nun noch. Wulff wurde planmäßig abgeschossen, sein versuchtes biederes Image gnadenlos gegen ihn gespielt. Er war der niedersächsische Ikarus, ein Emporkömmling, der gerne groß spielen wollte, dem das aber nicht in die Wiege gelegt war. Er war ein Repräsentant des wahren Deutschlands, mit jeder Faser. Aber wer schaut schon zu gerne in den Spiegel? Diese Zerstörung Wulffs offenbart eine tiefe Sehnsucht nach Übermenschen an den Schaltknöpfen der Macht. Andere haben das verstanden. Wulff wohl auch, wenngleich zu spät für ihn. 
Merkel beispielsweise. Sie schwebt völlig über den Dingen. Sie ist praktisch unfehlbar. Geht etwas schief, findet sich immer jemand, dem die Verantwortung dafür zugeschoben werden kann. Sie hat das luftige Nicht-Regieren zum Prinzip erhoben. Natürlich regiert sie in Wahrheit, überhaupt keine Frage. Sie tut sogar außerordentlich viel, und sie macht auch relativ viel Quatsch. Nur was verbindet man in der Öffentlichkeit schon ernsthaft mit ihrer Person? Merkel konnte sich nie als klassischer Macher inszenieren, wie Schröder das gerne tat. Sie wählte eine ihr angemessene Art. Ihr Image ist fast unangreifbar geworden, und es ist auf sie zugeschnitten. Das musste Steinmeier 2009 auf die unangenehme Art erfahren, als er ihr Rezept kopieren wollte.
Eine andere Art Übermensch versuchte Guttenberg zu inszenieren. Er wollte den Glamour auf die Bühne der Politik bringen, ein Celebrity sein. Stil, Autorität und doch irgendwie noch Volksnähe, inszeniert durch das AC/DC T-Shirt im Bierzelt. Der Mann verstand sich darauf, das muss man ihm lassen. Er übertrieb allerdings; am Ende wurden seine Hochglanzfotos schon fast belächelt (Top-Gun-kompatible Fliegerbrille in Afghanistan, pars pro toto). In der amerikanischen politischen Arena wäre der Mann wie zu Hause. Hierzulande brach er Tabus, was die Inszenierung anbelangte und wagte das Experiment, ob man diese Art der politischen Zurschaustellung annehmen würde. Es scheiterte. Der schnelle Zusammenbruch Guttenbergs in der Doktoraffäre ließ ihn dastehen wie den Kaiser ohne Kleider. Nichts sieht das Volk so gerne wie die Helden von gestern in den Staub getreten.
Merkel hat das ebenso verstanden wie Kohl; beide inszenierten sich nie als Helden, sondern als Durchschnittstypen, unauffällig und provinziell, ja altbacken, aber auf eine sympathischere Art als Wulff. Sympathisch deshalb, weil sie nicht zu sehr an einen selbst erinnert. Wulff wollte gerne die großen Events mitmachen, jedes Mal in einem anderen Anzug und in schicker Limousine vorfahren. So wie es die meisten Leute auch gerne würden, wenn sie nur das Geld hätten. Merkel und Kohl dagegen inszenieren ihre Bescheidenheit; Kohl mit seinem ewigen Kassengestell, Merkel mit ihren unauffälligen Kostümen.
Den Abschluss dieser kurzen Geschichte der Inszenierung macht Schröder. Ich nannte ihn vorher den ersten Proll der Nation, und er war es. Er kokettierte gerne mit Bildungsferne, konnte völlig glaubhaft ein Bier auf dem Jahrmarkt trinken und in Gummistiefeln herumlaufen. Sein "Basta" war echt. Man nahm ihm die ganze Attitüde ab. Im Gegensatz zu Guttenberg hatte er aber einen Abwehrmechanismus gegen den Angriffsreflex von Volk und Medien: sobald die Gefahr bestand, dass er allzuheftig attackiert wurde, brachte er sich in die Position des Underdogs. Er machte es bei der Agenda2010 im Jahr 2003, als er seine Partei brutal mit der Rücktrittsdrohung auf Linie zwang (nichts kommt so gut an wie die eigene Partei zu besiegen) und er tat es mit der Neuwahlforderung 2005. Beide Male bestimmte er selbst das Bild über sich, im Guten wie im Schlechten.
Man sollte die Inszenierung von Macht nicht allzu vorschnell als hohle Veranstaltung ohne Sinn, als pures politisches Spiel abtun. Ihre Funktion ist es, sich den Rücken freizuhalten. Wer ständig Angriffe der Presse gegen sich abwehren und ein schlechtes Image neutralisieren muss, hat wenig politisches Kapital für andere Dinge übrig. Merkel und Kohl nutzten eine Teflonoberfläche, um Angreifer von vornherein abzuschrecken; Schröder nutzte die Energie des Angriffs, drehte ihn ab und schoss damit davon. Wulff und Guttenberg brachen unter dem Druck zusammen. Die einen brachten ihre politischen Projekte durch; die anderen scheiterten.


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