›If life gives you lemons – make lemon juice‹

Die Bettwäsche ist frisch. Ihr Geruch aber verrät, dass sie schon lange benutzt wird – wie die Haut alter Menschen. Schlackernd zerhackt der Ventilator die stickige Luft, Geräusche, Gedanken – den Nachmittag. Das Warten. Die Schwüle hat die Bewegungen des Körpers und die des Geistes viel zu eng bandagiert – Schweiß und Staub die Hände verklebt. Aaron liegt halbnackt auf dem Bett. Schlaf überbrückt die Zeit. Und meine fließt dahin, mit ihrem Treibgut an Zufällen und Erwartungen. Der Fernseher mit seiner flackernden bunten Welt reckt seinen Kopf in unser Zimmer. Der Fernseher. In die Ferne sehen … Ist dieser Begriff nicht längst irreführend? Wenn ich heutzutage in den Fernseher schaue – auch in diesen Ländern – dann sehe ich ein Programm, dass nicht zu peinlich ist, an die niedersten Instinkte des Zuschauers zu appellieren; ein Programm, dass nicht zu einfältig ist, Stereotypen zu überzeichnen, fragwürdige Rollenbilder zu verfestigen und Klischees zu tradieren; ein Programm, dass Dauerwerbesendungen als Unterhaltung oder Musik zu verkaufen versucht; ein Programm, dass die ›Sau durchs Dorf treiben‹ als Journalismus erklärt; ein Programm, dass kritisches und abstraktes Denken dämpft; ein Programm, dass Wiederholungen als Nachrichten präsentiert – kurzum, ein Programm, dass einer perfiden Verwertungslogik unterworfen ist. Nein, ich sehe nicht in die Ferne – ich sehe Vergangenheit: ›Panem et circenses‹.

Aaron hat soeben im Schlaf gefurzt. Der Mülleimer im Bad quillt über mit benutztem Toilettenpapier. Es gibt keinen Aufenthaltsraum, keinen Hinterhof, keine Terrasse, nur dieses dunkle schimmelige Zimmer, in dem sich Ventilator und Neon-Glühbirne unermüdlich abrackern. Mototaxis brausen vorbei. Einige Bremsen müssten wieder geölt werden. Die Satzbrocken, die der Wind durchs das Fenstergitter wirft und das Moskitonetz siebt, sind wie Brosamen: Anfangs locken sie noch unsere Aufmerksamkeit, dann aber sind wir ihrer satt, und lassen von ihnen ab. Hinter der Tür wird gesprochen. Männer. Mittlerem Alters, untersetzt. Eine Stubenfliege surrt. Siesta.

Es gibt Orte, die einen begeistern, beschäftigen, lieben oder wenigstens verstoßen, ablenken, unterhalten oder immerhin beschimpfen – und es gibt Orte wie diesen hier: Tumbes. Großstadt. Grenzstadt. Tumbes wie tumb. Nichts versprüht diese Stadt, nur Lethargie. Schon morgens spürte man, dass die nächtliche Abkühlung, der Regen, nicht genug war. Es war, als hätte man einem Durstenden nur ein Schluck gewährt, allein nur, um ihn weiter am Dursten zu halten. Dieser Morgen war trügerisch. Man glaubte neuen Elan zu haben. Die Farben dieser bunten kleinen Großstadt wirkten so brillant und leuchtend, der Himmel war von kaltem weißlichem Blau. Aber die Sonne kommt, sie drängelt ungeduldig, und mit jeder Minute steigt sie höher, und wird unerreichbarer für die Rufe derer, die unter ihren Arroganz leiden. Sie dirigiert das hiesige Leben, mit ihrem grellen sengenden Licht: Die Schatten reichen nur bis zum Mittelstreifen. Die Rollläden sind zugezogen – Friseure, Fleischer, Eisenhändler, Bäcker vergittert. Eine Gruppe tollender Kinder bewirft sich mit Wasserbomben. Der Kleinste hält eine Wasserpistole, aber er hält sie so, als wüsste er nicht, was dieses Spielzeug eigentlich ist. Die Eltern lachen mit. Amerikanische Limousinen aus den 80ern wanken durch die Straßen – wie gealterte überanstrengte Männer am Stock. Und ich denke an Havanna und seine tapferen Geiseln. Hunde kühlen sich auf nacktem Beton. Einer von ihnen liegt vor einem Graffiti, dass Mutter Theresa darstellt. Dort lag er schon morgens. In der gleichen Position. Die Peruanos harren in dunklen Restaurants, unter Schatten spendenden Kolonnaden oder in ihren Wohnzimmern, aus denen muffige Luft, klimperndes Besteck oder der rauschende Fernseher wallen. Aus den Dreh- und Schiebetüren teurer Hotels und Restaurants flieht kalte Luft … hinaus auf die Plaza, aber noch auf der Treppe erstickt sie. Von irgendwoher erklingt die Melodie eine Straßenkapelle.

Gäbe es hier auch nur eine Möglichkeit, Rum zu kaufen, ich wäre längst sternhagelvoll. Oder anders formuliert: In meiner Welt versunken. Jener Welt, die mich mit Gefühlen segnet, die ich in der profanen – mich so oft verzweifelnd und wütend machenden – Welt vergeblich suche. Einige große Charaktere haben Zeit ihres Lebens nichts anderes gemacht, als ihrem Unmut eine Gestalt zu geben, als sich auszukotzen über Schlechtigkeit und Verlorenheit. ›Das Leben macht alle Menschen gleich, der Tod offenbart die Herausragenden‹ – diesen Menschen sagten die Nachkommen, die Verlorenen, die sich darin wiederfanden, Klarsicht, Mut … Visionarität nach.

Samstag Nachmittag. Der Ventilator zerhackt das Licht. Diese Stadt bietet nichts für einen Touristen, nichts für einen verwöhnten. Mir bietet sie die Möglichkeit mich herauszufordern, ob ich mit mir und nichts als der Zeit etwas anzufangen weiß. Sich beschäftigen zu wissen … meine Gedanken hüpfen über die Tastatur – wie Kinderfüße bei Himmel und Hölle

Am Donnerstag Nachmittag kam Aaron in Cuenca an. Es war zu spät, um weiter zur Grenze zu fahren. Ich blieb also eine weitere Nacht in Cuenca. Ich schlief gut. Am nächsten Morgen wollten wir früh los. Zum Frühstück gab es frische Luft – alle Lokale hatten um diese Uhrzeit noch zu. Stellte ich dann fest. Immerhin Geld gespart. Die Fahrt auf dem Rücksitz war toll. Dann wurde der Arsch taub, die Beine verkrampft, der Kopf schwach. Die Hitze der nahenden Pazifikküste wurde drückender, ihre Menschen dunkler, der Himmel gleißender. Links uns rechts rauschten Bananenplantagen vorbei. Nach fast fünf Stunden Fahrt erreichten wir schließlich die Grenze. Was dort dann geschah, dass zu schildern, dafür bin ich noch nicht bereit. Ich brauche Abstand. Für die, die es brennend interessiert: Es ist uns ergangen, wie Asterix und Obelix im Verrücktenhaus. Ein Lösung haben wir bislang noch nicht gefunden …

›If life gives you lemons – make lemon juice‹ hat Aaron heute beim Essen gesagt.

Ich liege auf meinem Bett. Einem weichen Bett. In dem alles versinkt. Wenn es einen Tiefpunkt auf meiner Reise gab, dann ist dieser Tiefpunkt jetzt erreicht. Schlackernd zerhackt der Ventilator die stickige Luft, Geräusche, Gedanken – den Nachmittag. Das Warten. Auf einen Notar. Auf endlich eine Lösung.


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