Hunger – oder der Mannwolf und das Mädchen. Kurzgeschichte von Ralf Boscher

Ralf Boscher - Best of_AusschnittHunger

1. Als Peter an jenem Sonntag durch den Garten zum Hintereingang von Manus Haus ging, hatte er für einen Moment das Gefühl, als sei die Zeit stehen geblieben. Denn Manus 9jährige Tochter saß wie schon am Tag zuvor in der Sonne auf dem Rasen und spielte mit Playmobilfiguren. Die Decke auf der Kira saß, war die Gleiche. Sie hatte das gleiche T-Shirt und die gleiche Hose wie am Vortag an, die Figuren, die sie in ihren Händen hielt, waren dieselben. Selbst der Schatten, den der Holzhaufen warf, Meterweise alte Bretter, die Manu vor einer Woche geliefert bekommen hatte, schien derselbe zu sein.

Und doch: Etwas war anders. Ihm fiel es auf in dem Moment, als Manu mit einem Tablett belegter Brote in Händen aus dem Haus kam. „Kira hat schon wieder Hunger”, sagte sie lächelnd und doch lag ein besorgter Zug um ihre Mundwinkel. Und da sah Peter den Unterschied zum Vortag: Kira schien abgenommen zu haben. Von einem Tag zum nächsten so deutlich abgenommen, dass es an ihrer ganzen auf der Decke sitzenden Statur zu sehen war.

Peter küsste Manu, die dann Kira die Brote brachte.
„Hallo Kira!”, rief er der Kleinen zu, die ohne ihr Spiel zu unterbrechen kurz über die Schulter winkte. Woraufhin Peter sich auf einen Gartenstuhl setze und sich eine Zigarette anzündete.
„Kira hat abgenommen”, sagte er, als Manu zu ihm zurückkam.
„Ja, finde ich auch!”, gab Manu zurück. „Ich war die vergangenen Tage nicht sicher, aber gegenüber gestern scheint sie ein paar Kilo verloren zu haben.“
Manu nahm Peter die Zigarette aus der Hand und zog an ihr.
„Ich mache mir Sorgen”, sagte sie. „Eigentlich dürfte sie nicht abnehmen, denn sie hat die ganze letzte Woche soviel gegessen wie noch nie. Sie scheint ständig Hunger zu haben.”
„Vielleicht macht dies ja die viele frische Luft”, entgegnete Peter und streichelte Manus Hand, „Seit die Osterferien angefangen haben, scheint Kira ja die meiste Zeit draußen zu sein.”
Manu lächelte, wobei dieses Lächeln ihre Augen nicht erreichte.
„Ja, zu Zeit macht sie nichts anderes als Essen, auf dem Rasen sitzen und spielen, Essen und Schlafen. Du hättest sie heute Mittag mal erleben sollen, als Susi und Michael von gegenüber vorbeikamen und mitspielen wollten. Regelrecht vom Hof gejagt hat sie die Beiden. Sie sollen sie in Ruhe lassen. Sie wolle alleine spielen.”

Manu setzte sich auf Peters Schoß und legte ihren Kopf an seine Schulter.
„Sie gefällt mir gar nicht. Ehrlich gesagt ist sie mir ein wenig unheimlich. Wie sie mich gerade angesehen hat, als ich ihr das Tablett hinstellte, da lief mir ein Schauer über den Rücken. Ihr Blick war so leer.”
„Vielleicht ist sie ja einfach total in ihrer Playmobilwelt versunken!”, versuchte Peter Manu zu beruhigen.
„Bestimmt hast du recht mein Liebster!”, meinte Manu und küsste ihn. „Komm wir gehen rein, ich hole Kira nur noch schnell eine Strickjacke, bald wird es kühler da im Schatten, den das Holz wirft.”
Während Manu die Strickjacke holte, zündete Peter sich noch eine Zigarette an und betrachtete das Holz. Er hatte sich vorgenommen, es bald mit der Kettensäge in Kamin gerechte Stücke für den nächsten Winter zu zerkleinern.
„Wo hast du diese alten Bretter eigentlich her?”, rief er ins Haus, sich nach Manu umdrehend. Dann ging alles sehr schnell: Er hörte in seinen Rücken ein lautes Knurren. Ein beängstigendes Knurren wie von einem wirklich großen Hund, der es nicht gut mit einem meint. Kira schrie auf, schrie so laut als würde dieser Hund seine Fänge in ihr Fleisch schlagen. Schrie vor Schmerzen. Peter drehte sich ruckartig um, ließ vor Schreck die Zigarette in seinen Schoß fallen, die ein Loch in den Stoff der Hose brannte, bevor er aufspringen konnte.
„Kira!”, rief Manu von drinnen mit vor Besorgnis kippender Stimme und kam aus dem Haus gestürzt, der Hund knurrte noch einmal – dann Stille. Von einem Hund war nichts mehr zu hören, nichts zu sehen. Und Kira saß ruhig da, drehte sich langsam zu ihrer Mutter um, die über den Rasen zu ihrer Tochter rannte.
„Ja Mama?”, fragte Kira ganz ruhig, als Manu sich neben sie kniete, während Peter vorsichtshalber mit einem Holzscheit bewaffnet, der neben den gestapelten Brettern auf dem Rasen gelegen hatte, in den Büschen rund um den Rasen und hinter dem gestapelten Holz nach dem Hund Ausschau hielt.
„Alles in Ordnung mein Schatz?”, fragte Manu und strich ihrer Tochter übers Haar, „Du hast so geschrien. Hast du dir weh getan?”
„Mir geht es gut Mama”, sagte Kira mit leiser, ruhiger Stimme und lächelte, „Aber ich habe immer noch Hunger!”

Der Hund war nirgends zu entdecken, Peter war aber nicht beruhigt. Und er sah es Manus Gesicht an, dass es auch ihr so ging. Sie griff nach seiner Hand und ihre Hand war kalt, sehr kalt.
„Lasst uns reingehen und Monopoly spielen!”, schlug Peter vor, er wollte, dass sie alle drei ins Haus gingen – denn etwas in ihm sagte mit lauter Stimme: Geht nur schnell ins Haus!
„Ich habe Hunger!”, sagte Kira mit Nachdruck. Wenn ihm nicht so unheimlich zu Mute gewesen wäre, hätte er lächeln müssen, schaute Kira sie doch mit großen Kleinmädchenkulleraugen an.
„Hunger!”, sagte sie noch einmal.
„Wir gehen jetzt ins Haus, es wird auch langsam zu kalt hier auf dem Rasen!”, bestimmte Manu, „Dann spielen wir was und du kannst noch ein wenig Obst essen!”
„Nein!”, entgegnete Kira mit trotziger Stimme und spielte weiter mit den Playmobilfiguren, als sei nichts gewesen.
„Du kommst jetzt mit rein junge Dame!”, sagte Manu aufgebracht und wegen ihrer Unruhe in einem schärferen Ton als sie eigentlich wollte und griff nach Kiras Hand. Kira sah ihre Mutter daraufhin mit einem so bösen Blick an, dass sie und auch Peter zusammenzuckten. Einen Augenblick sah es danach aus, als wenn Kira ihre Mutter in die Hand beißen würde, doch dann legte sie den Kopf zur Seite, als wenn sie auf etwas lausche – und ihr wütendes Gesicht entspannte sich und sie lächelte und sagte: „Ist gut Mama!“ und stand auf und ging an Manus Hand ins Haus, als sei vorher nichts geschehen.

Der restliche späte Nachmittag und Abend vergingen ruhig und harmonisch. Sie spielten zu dritt Monopoly, Kira naschte ein wenig Weintrauben und gegen 10 meinte sie, sie sei müde und Manu brachte sie zu Bett.
Als Manu zurückkam, küssten sie und Peter sich ausgiebig. Schließlich fragte er:
„Hast du das Knurren auch gehört?”
„Wann?”
„Kurz bevor Kira angefangen hat zu schreien, klang wie ein großer wütender Hund.”
„Nein, habe ich nicht.”
„Hm, vielleicht habe ich es mir auch eingebildet.”
Manu lehnte sich an Peters Schulter:
„Ich weiß nicht, irgendwie habe ich die ganze Zeit so eine Unruhe in mir. So ein ganz komisches Gefühl. Hast du ihren Blick gesehen?”, fragte sie.
„Hab ich, ja, unheimlich”
„Ich dachte, jetzt beißt sie mich. So habe ich sie noch nie erlebt.”
Peter schwieg.
„Weißt du”, meinte Manu, „Ich finde es ja nicht schlecht, dass sie ein wenig abnimmt. Ihre Schenkel waren nicht ohne in der letzten Zeit. Aber in so kurzer Zeit so deutlich. Mehrere Kilos. Obwohl sie isst wie ein Scheunendrescher… Ich geh morgen mit ihr zum Arzt!”
Manu holte dann eine Flasche Rotwein und zwei Gläser und sie tranken etwas und irgendwann gingen sie zu Bett, denn sie mussten beide am nächsten Morgen früh raus. Schließlich schliefen sie nach einigem unruhigen Hin- und Herwälzen ein – doch nicht bevor Peter alle Haustüren überprüft hatte, ob sie auch abgeschlossen waren. Wieder im Bett fragte Peter noch:
„Und woher hast du das Holz?”
„Holz?”, murmelte Manu nur noch schlaftrunken, dann war sie auch schon eingeschlafen. Schließlich schloss auch Peter seine Augen. Dies war der Moment, in dem Kira in ihrem Bett die Augen wieder öffnete und die Bettdecke zurückschlug. Der Mannwolf hatte sie gerufen. Heute sollte es geschehen. Heute musste es geschehen: Der Vollmond stand am Nachthimmel.

2. Kira war das Gesicht im Holz gleich aufgefallen, als sie sich eine Woche zuvor, als das Holz angeliefert worden war, hinter den gestapelten Brettern versteckt hatte. Während Susi sie noch im Haus suchte, betrachtete sie neugierig die schwarzen Linien, die wie ins Holz eingebrannt schienen und etwas bildeten, das mit etwas Phantasie einem menschlichen Gesicht ähnelte. Und Kira hatte mehr als nur etwas Phantasie. Wo andere nur Linien gesehen hätten, eine etwas ungewöhnliche Maserung im Holz vielleicht, sah sie dieses Gesicht – und es schien zu lächeln. Nun im ersten Moment lächelte dieses Gesicht noch nicht, es war auch mehr eine Fratze als ein Gesicht, und Kira erschrak auch ein wenig, erinnerte sie diese Fratze doch an den Grünen Kobold aus Spiderman, so eine Mischung als Mann und Teufel. Schließlich aber sahen die Linien mehr nach einer Mischung aus Mann und Wolf aus – und dieser Mannwolf lächelte plötzlich und Kira war schon nicht mehr ganz so erschrocken. Im Gegenteil sie lächelte zurück – und hatte das Bedürfnis über dieses Gesicht im Holz zu streicheln. Aber im ersten Moment traute sie sich nicht, eine innere Stimme hielt sie zurück, die nach ihrer Mutter klang, welche sie immer zur Vorsicht gegenüber fremden Männer gemahnt hatte – und dies war zumindest das Gesicht eines fremden Mannes. Eines fremden Mannes, der beinahe wie ein Wolf aussah mit seinen spitzen Ohren. Aber gerade über diese spitzen Ohren hatte Kira große Lust zu streichen. „Ich habe Hunger!”, hörte sie plötzlich dieses Gesicht mit einer freundlichen Männerstimme sprechen. Und Kira lächelte, Hunger zu haben kannte sie. Und dann streckte sie, ihre innere warnende Stimme ignorierend, ihre kleine Hand aus, ihre Finger näherten sich langsam dem Gesicht, schließlich strich sie über die Konturen im Holz. Sofort verstummte die warnende Stimme ihrer Mutter, und eine große Wärme durchströmte sie, denn das Gesicht lächelte, und diese freundliche Männerstimme sagte ihr Hallo, und ihre ganze Haut kribbelte, ihre kurzen Härchen überall auf ihrem Körper richteten sich auf – und Kira lächelte zurück. Dann tat sie, um was diese Stimme sie bat, sie schickte Susi weg und ging etwas essen. Dies tat sie an jenem Tag, und an jedem Tag, der folgte. Sobald sie in die Nähe des Holzstapels kam, sagte die Stimme: „Hallo Kira, schön dich zu sehen! Weißt du ich habe schon wieder Hunger“

Doch in jener Sonntagnacht als sie sich, während Manu und Peter schliefen, in den Garten schlich, war die Stimme nicht so freundlich, ungeduldig klang sie, und Kira lächelte auch nicht mehr.
„Hast du genug dabei?”, sagte die Stimme. Und Kira griff wie automatisch in die Tragetasche, die sie vom Haus herüber geschleppt hatte, und holte einen Laib Brot heraus. Dazu Reste vom Fleischsalat. Wurst. Käse. Nutella. Trauben. Nudeln vom Mittagessen.
„Iss!”, verlangte der Mannwolf und Kira begann zu essen, ohne einen besonderen Ausdruck im Gesicht. Mechanisch aß sie alles auf, was sie dabei gehabt hatte. Einen Bissen nach dem nächsten aß sie, kratzte am Ende noch mit einem Stück Holz, das sie vom Boden aufhob, das Nutellaglas aus. Dann blieb sie einfach still sitzen und wartete auf den Moment, vor dem sie sich seit dem Nachmittag gefürchtet hatte. Denn am Nachmittag hatte es das erste Mal weh getan. Wirklich weh. Die Tage zuvor war es eigentlich ein angenehmes Gefühl gewesen, wenn sie spürte, dass er nun begann zu essen. Von ihr zu essen, was sie zuvor gegessen hatte. Ein angenehmes Gefühl, von dem sie nicht wusste, wie es zu Stande kam, wie er es machte. Denn nach wie vor war er nur dieses Gesicht im Holz. Aber er machte etwas, ohne sie eigentlich zu berühren – und egal wie viel sie zuvor gegessen hatte, wenn er fertig war, fühlte sie sich leicht und frei. Doch am Nachmittag war es ganz anders gewesen. Es hatte sich plötzlich angefühlt, als wenn er ungeduldig an ihr zerren würde, mit Gewalt alles aus ihr herauszerren, was sie in sich aufgenommen hatte an Nahrung. Sie hatte sich von ihm lösen wollen, weglaufen. Doch in diesem Moment hatte er wild knurrend nur noch fester zugegriffen – und sie hatte vor Schmerzen aufgeschrien, und gleichzeitig in diesem schlimmen Augenblick verstanden, dass es von nun an sinnlos war, wegzulaufen. Denn wie immer er es auch machte, mittlerweile war er stark genug, um auch im Haus nach ihr zu greifen. Dies hatte er ihr klar gemacht. Dies hatte er sie im Bett spüren lassen, als sie versuchte einzuschlafen – und dann doch nicht anders konnte, als ihm zu gehorchen und heimlich aufzustehen. Dann kam, was sie befürchtet hatte. Er warnte sie noch, sie solle keinen Mucks von sich geben, sonst würde er ihr noch mehr wehtun: Er begann zu fressen. Kira krümmte sich zuckend auf dem Rasen neben dem Holzstoß – aber sie gab keinen Laut von sich, weinte still vor sich hin, während er sich durch ihren Bauch, ihre Eingeweide arbeitete und fraß und fraß, bis Kira leer gefressen war – und erschöpft um einige Kilo erleichtert auf den Rasen sank und schwer atmend liegen blieb.

„Mehr!”, verlangte der Mannwolf und seine Stimme hallte in ihr nach wie ein Peitschenschlag. Sie schüttelte zaghaft ihren Kopf, da griff er mit aller Kraft, die sie ihm in dieser Woche regelmäßiger Mahlzeiten gegeben hatte, in ihr Fleisch. Kira schrie vor Schmerzen und Angst auf, wollte aufschreien, denn da hatte er ihre Zunge gepackt. Und das erste Mal seit dem Moment, da sie dieses Gesicht im Holz entdeckt hatte, schien es sich aus der Maserung des Holzes zu lösen, plastischer zu werden, sich vorzuwölben, und es sah plötzlich nicht mehr wie ein Mann mit Wolfsohren aus, die irgendwie niedlich waren, sondern da waren lange spitze Zähne und sich blähende Nasenlöcher und die langgestreckte geifernde Schnauze eines großen Wolfes.

„Mehr!”, verlangte der Wolf und riss an Kiras Eingeweiden und an ihrer Zunge. Und Kira gehorchte und ging zurück zum Haus, wobei sich seine Gedankenklauen in ihren Nacken bohrten. Als er mit ihr fertig war, hatte Kira alles gegessen, was der Kühlschrank und die Vorratskammer hergab. Sie hatte sogar die Ketchupflaschen ausgetrunken und die Mayonnaise aus der Tube gedrückt. Selbst die rohen Eier hatte sie gegessen. Und der Vollmond schien auf ihr mit Essen bekleckertes Gesicht und ihr von Tränen durchweichtes Schlafshirt, als er wiederum begann, sich von ihr zu nähren, ihr dabei mit Wolfgedankenklauen den Mund zuhaltend, während sie wie von Geisterhand durchgeschüttelt auf dem Rasen hin- und hergerissen wurde.
Doch es reichte immer noch nicht. Er brauchte mehr, und er brauchte es schnell, die Vollmondnacht würde nicht mehr lange währen.
„Hol mehr!”, befahl er.
„Da ist nichts mehr!”, flüsterte Kira mit tränenvoller Stimme.
„Der Hase!”, befahl er ungeduldig. So lange Jahre hatte er auf diesen Moment gewartet. Ins Holz eingeschlossen, seitdem sie ihn damals versucht hatten zu töten. Doch er hatte sich nicht töten lassen. Jetzt würde ihn nichts mehr aufhalten. Vor Jahrhunderten hatten sie ihn gefangen und verbrannt. Werwolf hatten sie ihn geheißen. Er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, was er war. Ihm hatte es gereicht, dass er stark war. Und solange er seinen Hunger stillen konnte, war alles gut. Er liebte die Vollmondnächte, wenn seine Stärke erwachte – und er alles bekommen konnte, wonach ihm gelüstete. Doch dann hatten sie ihn doch in die Enge getrieben, aber er hatte überlebt. Etwas von ihm hatte überlebt, gefangen zwar, aber lebendig. Gefangen im Holz seines Hauses, in dem er so viele herrliche Mahlzeiten zu sich genommen hatte, in dem sich die Knochen schließlich gestapelt hatten. Aber er lebte. Lebte weiter durch die Zeiten hindurch, in denen der Besitzer des Hauses wechselte. In denen Generation auf Generation folgte. Schwach zwar, aber er lebte – und dann rissen sie das Haus ab. Erst dachte er, dies sei sein Ende, als seine alte Heimstätte in ihre Einzelteile zerlegt wurde. Als die alten Holzdielen, die Holzverkleidung der Wände als Brennholz verkauft wurden. Doch dann kam dieses Mädchen – und nun war er so nah dran, wieder der Alte zu werden.

„Nein!”, lehnte sich Kira ein letztes Mal auf, sie liebte ihren Hasen, der in seinem Käfig draußen vorm Haus lebte, und büßte es gleich mit unheimlichen Schmerzen überall in ihrem kleinen Körper.
„Den Hasen! Sonst fresse ich dich!”, befahl er und schlug seine Gedankenzähne in ihr Fleisch, und Kira gehorchte mit den Bewegungen einer Marionette. Er hatte sie gebrochen. Der Schmerz und die Angst waren zu groß geworden. Nun würde sie alles tun, was er verlangte. Die Wolfsfratze im Holz grinste. So langsam fühlte er sich wieder sehr lebendig, und er heulte den Mond an.

3. Peter erwachte, er hatte etwas gehört. Senkrecht saß er im Bett – und wurde gewahr, dass er am ganzen Körper eine Gänsehaut hatte. Da war ein Heulen gewesen, und er hatte gleich an den großen Hund denken müssen. Und er hatte sofort gewusst, dass es kein Traum gewesen war. Und er fürchtete sich. Es war eine Furcht, die älter war als er, die so alt war wie die Menschheit selbst, eine Furcht, die da sagte: da hat kein Hund, sondern ein Wolf geheult. Peter widerstand dem ersten Impuls, sich die Decke über den Kopf zu ziehen und so zu tun, als hätte er nichts gehört. Als würde er nicht atemlos lauschen. Er stand auf. Manu drehte sich im Bett auf die andere Seite, aber sie erwachte nicht, während Peter das Schlafzimmer verließ und zum Fenster im Flur ging, von dem aus er in den Garten blicken konnte. Was er dort sah, ließ ihn erstarren. Der Vollmond schien so hell, dass er alles genau sehen konnte. Peter sah Kira. Sah Kira mit ihrem Hasen in Händen. Sie war voller Blut, dass im Mondlicht schwarz glänzte. Sie zog ihrem Hasen die Gedärme aus dem aufgerissenen Bauch und biss hinein. Sie riss den Hasen weiter auf und schlug ihre kleinen Zähne in das noch warme Fleisch ihres Schoßtieres, dessen Blut ihr aus dem Mund tropfte. Und dann sah Peter noch etwas anderes. Es war mehr ein Schatten als ein Etwas. Aber da war er, der Wolf. Und er beugte sich über Kira. In diesem Augenblick fiel alle Erstarrung von Peter ab, und er rannte den Flur entlang, in die Küche, nahm sich das größte Messer, was er in der Eile finden konnte, rannte die Treppe hinunter zur Tür, die zum Garten führte, und riss die Tür auf.

Genau in diesem Moment, rammte ihm Kira mit all der Kraft, die ihr der Mannwolf verlieh, einen spitzen Holzscheit in den Bauch. Zog ihn wieder heraus und stieß ihn an einer anderen Stelle erneut hinein.
Peter sank in die Knie:
„Kira”, brachte er nur geschockt heraus, Kira knurrte, wie er es am Nachmittag gehört hatte, dies war das Letzte, was er hörte, denn nun zog Kira den Pflock wieder heraus und hieb ihn mit ganzer Kraft in Peters Halsschlagader. Derweil drehte sich Manu unruhig im Bett von einer Seite auf die Nächste, sie träumte schlecht, aber noch erwachte sie nicht. Sie schlief, als Kira den Holzscheit zur Seite legte und sich über den toten Freund ihrer Mutter beugte, schlief müde von den Tagen voll Sorge um Kira, müde von ihrer täglichen Arbeit, während Kira der Stimme des Mannwolfes gehorchte, die da sagte: „Friss, ich habe Hunger!”. Schlief, während Kira nach der ausgiebigen Mahlzeit die Treppe zum Schlafzimmer hinauf ging, schlief bis zu dem Moment, da Kira blutverschmiert vor ihrem Bett stand und ihre Mutter betrachtete. Da wachte Manu auf, öffnete die Augen und sah ihre Tochter an – ohne wirklich zu verstehen, was sie da sah, ohne noch Zeit zu haben zu verstehen, was sie da sah. Denn nun strich sich Kira ihre von Blut verklebten Haare aus dem Gesicht, lächelte und sagte: „Mama, wir haben Hunger!“

Ende der ungekürzten Kurzgeschichte aus:

Best of… und andere schaurige Kurzgeschichten von Monstern und KindernRalf Boscher - Best of

Das Böse begegnet uns auf vielfältige Weise. Wir treffen es auf einem Flohmarkt, es lauert in einem Holzstoß hinter dem Haus, es kommt zu uns auf leisen Pfoten. Und oft ist es zunächst nicht schrecklich. Nein, das Böse kann so reizend sein. Es lächelt und ist nett und höflich. Es verspricht uns etwas, wonach wir uns sehnen. Schönheit zum Beispiel. So laden wir es mit offenen Armen in unser Leben ein. Und wenn wir merken, dass wir einen schrecklichen Fehler begangen haben, ist es zu spät. Unter dem Lächeln bricht die Fratze des Grauens hervor. Was als Verheißung begann, wird zu einem fürchterlichen Alptraum aus Angst, Schmerz und Blut. Wird zum Stoff für schaurige Geschichten, zupackend, düster, vielfältig.

Das eBook bietet Horror-Kurzgeschichten von Ralf Boscher (Länge: über 86000 Zeichen) und trägt das Qindie Gütesiegel.

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