Hannoverliebt!

© Stefan Scherer

Im Leben gibt’s für jedermann
zwei Dinge, die man sich nicht aussuchen kann:
Seine Familie, denn die ist schon vorher da,
und seinen Fußballclub – traurig, aber wahr.

(Wise Guys – Deutscher Meister)

Mehr als 40 Jahre ist Hannover 96 meine „Alte Liebe“, über 40 Jahre ist meine Fahne des Clubs alt, über 40 Jahre Auf und Ab, Hin und Her: und dabei gab es nur einen einzigen Titel zu bejubeln.

Allerdings ist dieser Pokalsieg wohl so typisch für 96, denn auch da waren sie die krassen Aussenseiter, die in einem Herzrasenspiel (für Fans, für alle Anderen dürfte es eines der schlechtesten Pokalendspiele aller Zeiten gewesen sein) gewonnen haben.

Aber früher waren die Achterbahnfahrten wenigstens solche im Jahresrhythmus: man stieg in einem Jahr sang- und klanglos ab, um dann wieder einen Sieg nach dem anderen feiern zu können.

Aber nun? Seit 2 Jahren geht es fast im Wochenturnus über die Achterbahn der Gefühle, in den letzten Wochen ist man bei den Roten zum tageweisen Stimmungswechsel übergegangen, und der gestrige Tage führte dann die Minutenrotation des Gefühlsbarometers ein.

Seit Wochen trommeln die Zeitungen in und um Hannover, Hannover 96 sei eine Spitzenmannschaft – und jagen die Fans damit von einer Sorge in die nächste. Das Weiterkommen in der Europa-League gegen Sevilla scheint einigen Journalisten das Hirn komplett ausgehöhlt zu haben, denn vor dem Spiel gegen Standard Lüttich am letzten Donnerstag druckte man doch tatsächlich auf der ersten Seite das Photo einer Waffel (nicht Waffe! Was zum Essen eben!) mit dem Hinweis, nun werde Lüttich vernascht. Und dies in einer Situation, wo die EL nun wirklich nur das Sahnehäubchen auf dem Kuchen Bundesliga sein kann – mit anstehenden Spieltagen, bei denen sich die Roten leicht am Ende des Jahres in den Abstiegsgefilden hätten wiederfinden können.

Und von wegen mal kurz Lüttich vernaschen: da präsentierte sich eine äusserst gut sortierte belgische Mannschaft, die hervorragend verteidigte und über das gesamte Spiel gefährlich zu kontern versuchte. Sie liessen insgesamt 4 Chancen für die Roten zu, und leider landete die beste an der Latte.

Trotzdem, ich habe am letzten Donnerstag im Stadion ein sehr gutes Spiel gesehen, Hannover hat nicht verloren – und dies im ersten Spiel seit über 40 Jahren in einem internationalen Wettbewerb, in der sie nicht der krasse Aussenseiter waren – ok, es war ja auch in unserer Geschichte der letzten 25 Jahren erst das fünfte…

Das scheinen aber Einige von der schreienden – äh, schreibenden Zunft vergessen zu haben: wir sind da nämlich die Neuen! Und da ist ein 0:0 zum Auftakt gegen einen internatioanl sehr erfahrenen Verein wie Standard Lüttich aller Ehren wert.

Aber Nein, am nächsten Tag war natürlich Katzenjammer an allen Orten, Hannover 96 in der Krise – und so ein Genöle steckt nun einmal an, zumal dann, wenn man als nächsten Heimspielgegner den amtierenden Deutschen Meister – wenn auch in der Punktekrise – zu Gast hat. Da schielt man unwillkürlich aus mehr als 40jähriger Erfahrung doch kritisch nach unten in der Tabelle…

Und tatsächlich, waren die Dortmunder gestern stark – in den ersten 25 Minuten konnte einem Angst und Bange um 96 werden, und nur mit viel, viel Arbeit gestalteten die Männer um Karim Haggui wenigstens den 2. Teil dieser ersten Hälfte einigermassen ausgeglichen.

Und es kam, wie es eigentlich zu befürchten war: gerade, als Hannover sich zu Beginn der 2. Halbzeit ein wenig gefangen hatte und zum konstruktiven Angriff blies, tanzte ein flinker Japaner einen hüftsteifen Österreicher aus – und es stand in der 62. Minute 0:1. Ich gebe zu, meine Stimmung erreichte einen Punkt weit unter Null.

Nun sind die Dortmunder aber eben noch lange nicht die Bayern, und deswegen war es sicherlich ziemlich vermessen von ihnen, spätestens ab der 70. Minute nur noch den knappen Vorsprung zu verteidigen und ansonsten auf Zeit zu spielen. An dieser Stelle zeigte sich nämlich, dass der Spruch: „Auf, Ihr Roten, Kämpfen und Siegen!“ eben durchaus ein probates Programm in Hannover ist, insbesondere dann, wenn der Gegner den konstruktiven Spielbetrieb einstellt.

Aber vor der Freude steht in Hannover regelmässig das Leid: und so fingen diese nervenzerreissenden letzten 10 Minuten des Spiels sehr frustrierend an: ein wunderbarer Kopfball von Karim Haggui klatscht an die Latte, ein Schuss von Lars Stindl wird von einem Dortmunder kurz vor der Linie völlig unabsichtlich abgefälscht und geht dadurch am Tor vorbei… mein Stimmung erreichte unbekannte Verzweiflungstiefen!

Und dann hatte noch Peter Gagelmann seinen grossen Auftritt: dieser Schiedsrichter ist eigentlich noch viel mehr ein Grund als Werder, Bremen im Fussball nicht zu mögen- und insgeheim wünsche ich mir, dass sein Arbeitgeber viel öfter am Wochenende Arbeit für ihn ansetzt, damit er nicht in Fussballstadien sein Unwesen treiben kann. Warum? Die Fernsehführungskameras haben ja die Angewohnheit, das Spielgeschehen von der Seite zu zeigen, doch selbst mit deren Sicht war für jeden Blinden zu erkennen, wie ein Dortmunder Verteidiger einen Schuss direkt auf der Strafraumgrenze mit der Hand abwehrt  - und Nein, das war definitiv keine natürliche Bewegung zum Ball, sondern ein klares Handspiel. In der dann folgenden Wiederholung von der Hintertorkamera aus konnte man es dann noch besser sehen – und auch, dass unser Kundenberater aus dem Autokonzern mit dem Stern beste Sicht auf die Szene hatte.

Warum hat Peter G. aus B. nicht gepfiffen? Vielleicht liegt es daran, dass man dazu eben 3 Dinge fast gleichzeitig können muss: ein Handspiel sehen, seine Regelwidrigkeit verstehen und dann auch noch pfeifen – eine äusserst schwierige intellektuelle Leistung… muss ich erwähnen, wie es zu diesem Zeitpunkt mit meiner inneren Gelassenheit bestellt war – sagen wir mal so, meine innere Mitte befand sich direkt auf den Stimmbändern – und es war gut, dass ich zu diesem Zeitpunkt allein war; wäre ich Katholik, käme ich heute nicht mehr aus dem Rosenkranzbeten raus.

Anders die Roten: die waren es erkennbar leid, sich auf den Fussballgott zu verlassen und nahmen wohl erst ihr Herz und dann ihr Schicksal selbst in die Hände – respektive vor den Kopf, denn mit dem wuchtete Aushilfskapitän Haggui den nächsten Eckball ins Tor der nicht mehr Meisterlichen aus dem östlichen Vorort Lüdenscheids. Da war das Glück eigentlich schon perfekt, denn mit einem 1:1 wäre jeder in „Hannoi“ zufrieden gewesen.

Aber dann hatte ja noch „Dieter“ seinen grossen Auftritt: lange verletzt, nicht ganz austrainiert und ziemlich frustriert wirkend, war Didier Ya Konan 88 Minuten glücklos über den Platz gerannt – und nun nahm er einen feinen Pass von Sergio Pinto an, drehte sich und  knallte den Ball ziemlich genau von der Stelle, an der vorher der Dortmunder mit gnädiger  Billigung des Pfeifenmannes Handball gespielt hatte, ins Tor. Der Rest des Spiels einschliesslich der eigenwilligen Roten Karte durch Peter den Bolzen (…) ging dann in meinen allgemeinen Glücksgefühlen sprichwörtlich unter.

Nein, der Sieg war nicht verdient, Ja, Dortmund war 80 Minuten die klar überlegene Mannschaft, und Nein, das interessiert mich überhaupt nicht.

Wir haben die 3 Punkte, mit den schon vorher erspielten und erkämpften sind es jetzt 11, und damit lässt sich recht beruhigt in die nächsten schweren Wochen gehen.

Ich habe mich inzwischen auch wieder beruhigt und meinen Frieden mit dem Bremer geschlossen, doch trotzdem bitte ich inständig darum, den so bald nicht mehr in einem Spiel der Roten sehen zu müssen; und die Verse der Wise Guys möchte ich ein wenig modifizieren:

Im Leben gibt’s für jedermann
zwei Dinge, die man sich nicht aussuchen kann:
Seine Familie, denn die ist schon vorher da,
und seinen Fußballclub – wunderschön und trotzdem wahr.

In diesem Sinne: „Auf, Ihr Roten, Kämpfen und Siegen!“


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