Gespräche mit dem Tod (5): Auf Freiersfüßen

Sitze in einem Straßencafé und genieße den sonnigen Herbsttag. Habe mich hierhin zurückgezogen, um mir eine neu Geschichte für den Blog auszudenken, denn der letzte Beitrag liegt schon einige Wochen zurück. Versuche meine Gedanken zu ordnen und stelle fest, gar nicht so viele Gedanken zu haben. Eigentlich nur einen. Ob der Käsekuchen in der Vitrine so gut schmeckt, wie er aussieht. Da dies nur in einem Feldversuch geklärt werden kann, bestelle ich mir ein Stück und dazu einen Kaffee.

Will mir gerade eine Gabel voll Kuchen in den Mund schieben, als eine dürre Gestalt in zerschlissener, müffelnder Kutte an meinen Tisch tritt. Es ist der Tod, der mich regelmäßig besucht, um ein Schwätzchen zu halten.

„Hallo, alter Freund!“, begrüßt er mich fröhlich. „Was dagegen, wenn ich mich zu dir setze?“

„Ganz und gar nicht“, sage ich und mache eine einladende Handbewegung auf den leeren Stuhl mir gegenüber.

„Ist der Kaffee hier gut?“, will der Tod wissen.

Ich nicke: „Aber auch ziemlich stark. Der erweckt sogar Tote wieder zum Leben.“

„Dann trinke ich lieber Tee“, erwidert der Tod und ordert einen.

Der Tod. Auf Besuch.

„Hab‘ dich schon lange nicht mehr gesehen“, sage ich. „Was hast du so getrieben?“

„Ach, der Sommer ist immer sehr stressig. Du weißt schon, die ganzen Badeunfälle und die alten Leute vertragen die Hitze nicht so gut“, erklärt der Tod. „In der letzten Woche habe ich außerdem Urlaub gemacht.“

„Wo warst du denn?“, will ich wissen.

„In Italien“, antwortet er. „Da fahre ich immer hin. Es gibt sogar ein Buch darüber.“

Schaue ihn fragend an.

„Na, von Thomas Mann. ‚Tod in Venedig‘“, erklärt der Tod und kichert sein hohes, leicht gewöhnungsbedürftiges Lachen.

„Ich erinnere mich“, sage ich. „Haben wir in der Schule gelesen. Im Deutsch Grundkurs, 12. Klasse. Fand es damals totlangweilig.“

Jetzt kichern wir beide über das morbide Wortspiel.

„Naja, aber mit 17, 18 habe ich mich mehr für das andere Geschlecht interessiert als für die homoerotischen Phantasien eines kränklich vor sich hinsiechenden älteren Schriftstellers, der einem adonishaften Jüngling nachstellt wie so ein notgeiler Stelzbock“, erkläre ich.

Der Tod sieht mich interessiert an. „A propos anderes Geschlecht. Da hast du doch sicherlich ziemlich viel Erfahrung.“

Zögere mit meiner Antwort. Wenn der Tod wissen will, wie man als Jugendlicher in der Disco so lange überlegt, wie man Nathalie aus der 10a zum Tanzen und im besten Fall später zum Knutschen animiert, bis einem der schmierige Ole aus der Oberstufe zuvorkommt, dann könnte ich ihm sicherlich einige Tipps geben.

Murmle lediglich: „Geht so. Warum fragst du?“

Der Tod errötet leicht. „Es geht da um ein kleines Problem amouröser Natur. Ich habe mich in zwei Frauen verliebt. Jetzt weiß ich nicht, für welche ich mich entscheiden soll.“

„Okay!?!“, versuche ich meine Überraschung zu verbergen. „Ich wusste nicht, dass du dich überhaupt verlieben kannst.“

Der Tod runzelt die Stirn und entgegnet etwas mürrisch: „Warum denn nicht? Nur weil ich viel beschäftigt bin, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht auch gewisse, nun, sagen wir, körperliche Bedürfnisse habe.“

„Das ist ja interessant“, erwidere ich. „Du bist also, ähm, untenrum, also anatomisch ein Mann?“

Die Laune des Tods verschlechtert sich weiter. „Was ist das denn für eine dämliche Frage? Es heißt doch DER Tod. Nicht DIE Tod oder DAS Tod.“

„Ist ja gut“, versuche ich, versöhnlichere Töne anzuschlagen. „Dann erzähl doch mal von deinem erotischen Dilemma. In wen hast du dich denn verliebt?“

Der Tod starrt verlegen in seine Tasse. „Du darfst aber mit niemandem darüber sprechen.“

„Natürlich nicht“, versichere ich.

„Und auch nicht auf deinem Blog darüber schreiben“, insistiert der Tod.

„Großes Oberindianer-Ehrenwort“, verspreche ich und hebe zur Bekräftigung meiner Aussage drei Finger der linken Hand in die Luft. Zeigefinger und Mittelfinger der rechten Hand überkreuze ich sicherheitshalber hinter dem Rücken. Man weiß ja nie.

„Nun aber raus mit der Sprache“, ermuntere ich den Tod. „Um welche scharfen Bräute geht es denn.“

„Um Pest und Cholera“, erklärt der Tod. „Ich weiß nicht, für welche ich mich entscheiden soll.“

Schaue ihn mit großen Augen an. „Pest und Cholera? Das sind Frauen?“

„Natürlich“, antwortet der Tod. „Es heißt doch DIE Pest und DIE Cholera.“ Er schüttelt missbilligend den Kopf. „Mann, Mann, Mann! Im Deutsch Grundkurs Thomas Mann lesen, aber zu doof, um bestimmte Artikel zuzuordnen. Kein Wunder, dass Deutschland im Pisa-Vergleich immer versagt.“

„Nun, ich hab‘ die beiden halt für Krankheiten gehalten, nicht für Frauen“, verteidige ich mich zaghaft. „Wo hast du die beiden denn kennengelernt?“

„Bei der Arbeit“, erklärt der Tod. „Die Cholera schon 600 vor Christus. Irgendwo in Indien. Seither laufen wir uns immer mal wieder über den Weg“

„Und die Pest? Woher kennst du die?“, will ich wissen.

„Das war zunächst auch ein rein geschäftlicher Kontakt. Ich glaube, wir haben uns das erste Mal in Ostasien getroffen. Das muss ungefähr im 13. oder 14. Jahrhundert gewesen sein. In letzter Zeit hat sie sich ein wenig rar gemacht. Ich glaube, sie war zuletzt in den USA. In irgendeinem Nationalpark“, erzählt der Tod und schaut verträumt in die Ferne.

„Verstehe“, antworte ich und versuche zu verbergen, dass ich gar nichts verstehe. „Was willst du jetzt machen? Es ihnen sagen?“

„Weiß nicht“, antwortet der Tod zögerlich. „Wenn ich die beiden sehe, bin ich meistens ziemlich im Stress. Da bleibt keine Zeit für intime Gespräche.“

Wir schauen eine Weile schweigend auf den Tisch. Schließlich räuspert sich der Tod: „Ich hätte da eigentlich schon eine Idee.“

„Die wäre?“, frage ich.

„Ich habe für beide ein Gedicht geschrieben. Das könnte ich ihnen geben und wer sich mehr für meine Poesie begeistert, für die entscheide ich mich. Was hältst du davon?“, will der Tod von mir wissen.

Bei mir schrillen sämtliche Alarmglocken. Schlechte, kitschige Liebesminne führt bekannterweise direkt in die kopulative Diaspora. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Also, aus der Erfahrung eines Freundes, der mir davon erzählt hat.

Versuche Zeit zu gewinnen. „Lass‘ erstmal hören.“

„Okay. Zuerst das Gedicht für die Pest.“ Der Tod nimmt einen Schluck Tee und räuspert sich.

„Oh Pest, oh Pest,
was hab‘ ich dich vermisst.
Deine Augen, dein Gesicht, dein Haar,
das alles find‘ ich wunderbar.
Dein Lächeln verzaubert mir den Geist,
du weißt wohl, was das heißt.
Du bist einzigartig, you are the best,
ich liebe dich, oh Pest!“

Ich bin fassungslos. Und sprachlos. Das ist das Schlimmste, was ich jemals in meinem Leben hören musste. Und das, obwohl ich früher des Öfteren mit meiner Oma den Musikanten-Stadl geschaut und dabei zahlreiche Liedtexte von äußerst fragwürdiger Qualität gehört habe.

„Okay“, sage ich nach einer Weile. „Darauf lässt sich aufbauen.“ Hoffe, dass bei dieser Lüge meine Nase nicht anfängt, zu wachsen. Das „Gedicht“ (und hier kann man gar nicht genügend Anführungszeichen setzen) ist eigentlich nur zu retten, indem man alle Worte streicht und einen professionellen Dichter bezahlt, ein paar neue Verse zu reimen.

„Und wie lautet das Gedicht für Cholera?“, frage ich und hoffe, dass meine Stimme nicht vor Angst, was da jetzt kommen mag, zittert.

Der Tod räuspert sich erneut, nimmt eine aufrechte Haltung an und beginnt zu deklamieren.

„Mein armes kleines Herz
empfindet ganz viel Schmerz,
wenn ich dich nicht seh,
oh weh, oh weh.
Wie wir uns nach uns verzehren,
finde ich, sollten wir uns vermehren.
Unsere Liebe wird für immer bleiben,
oh, Cholera, lass‘ mich an dir reiben.“

Der Tod schaut mich erwartungsfroh an. Muss mich erst einmal sammeln. Die Tochter würde jetzt sicherlich in affektiertem Tonfall sagen: „Oh my God!“ Und ich denke in affektiertem Tonfall: „Oh my God!“.

Wenn ich eben das Pest-Gedicht noch für den absoluten Bodensatz der Liebes-Lyrik hielt, hat mich der Tod mit seinen Cholera-Versen wider erwartend eines Besseren belehrt. Naivste Paarreime in Kombination mit schwülstigem Text und wenig subtilen Anzüglichkeiten, so dass sich selbst Florian Silbereisen, dieser Abgesandte aus der Schlagerhölle, weigern würde, etwas Derartiges vorzutragen.

Wenn der Tod diese Gedichte jemals seinen Angebeteten vorträgt, kann er auch gleich ein Zölibatsgelübde ablegen. Überlege fieberhaft wie ich ihn möglichst diplomatisch vor diesem Unheil bewahren kann. Denn verletzten möchte ich ihn auch nicht. Der Tod ist nämlich sehr sensibel.

Da kommt mir eine Idee. „Vielleicht solltest du dir die Beiden lieber aus dem Kopf schlagen“, erkläre ich.

„Warum?“, fragt der Tod mit Enttäuschung in der Stimme. „Sind die Gedichte etwa nicht gut genug?“

„Nein, das ist es nicht“, lüge ich. „Aber in Liebesangelegenheiten ist es einfach besser, Privates und Geschäftliches strikt zu trennen. Das gibt sonst nur Probleme.“

Der Tod kratzt sich am Kopf. „Vielleicht hast du Recht. Mein Boss sieht das ohnehin nicht gerne. Gott sagt immer, man soll seinen Füller nicht ins Büro-Tintenfass stecken.“

„Ach, Gott schreibt in seiner Freizeit Dialoge für ‚Stromberg‘?“, werfe ich ein.

Der Tod schaut mich fragend an.

Ich winke ab und drücke ermutigend sein knochiges Schulterblatt. „Schau‘ dich doch anderweitig um. Andere Mütter haben schließlich auch hübsche Töchter.“

Schäme mich ein wenig für den Satz, aber der Tod scheint Gefallen daran zu haben. „Da hast du schon wieder Recht. Gib zu, du warst früher doch der Checker mit den Chicks, oder?“

Lass‘ das einfach mal so im Raum stehen und antworte nicht.

Der Tod zieht aus seiner Kutte eine Sonnenbrille und setzt sie auf. Sie hat riesige verspiegelte Gläser und bedeckt sein halbes Gesicht, was zu Recht seit den späten 80ern als modisches No-Go gilt. „Cool, oder?“, fragt er mich. „Da stehen doch die Ladies drauf.“ Anscheinend hält er mich nicht nur für einen Beziehungsexperten, sondern auch für einen Fachmann in Mode- und Stilfragen. Beides spektakuläre Fehleinschätzungen!

Bevor ich antworten kann, steht der Tod auf.

„Ich muss dann mal los“, erklärt er. „Die Arbeit erledigt sich ja nicht von alleine.“ Zum Abschied nehmen wir uns in den Arm.

Der Tod schlendert die Straße entlang. In der Ferne sehe ich, wie er zwei attraktive junge Damen anspricht. Allerdings scheint er nicht ihr Typ zu sein. Sie laufen beide schreiend vor ihm weg.

Widme mich meinem Käsekuchen. Er ist köstlich. Vielleicht sollte der Tod für seine Angebeteten backen. Denn Liebe geht ja durch den Magen. Werde es ihm beim nächsten Treffen vorschlagen.


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