Gemeinschaftsblogprojekt #5: Mach was … mit deiner Lieblingsstadt!

londonernebel

Wenn der Regen fällt

Es regnete.
Ich erinnere mich noch gut an den Augenblick, in dem ich Kilian Rider das erste Mal sah. Es war kein schöner Augenblick. Eher beängstigend. Erdrückend. Grauenvoll. Ich stand auf der Westminster Bridge, umringt von unzähligen Menschen. Und doch bekam keiner mit, wie mein Exfreund mich gegen das Treppengeländer schubste und versuchte, mich zu küssen. Ich wollte das nicht. Ich konnte seinen widerlichen Atem riechen. Er stank nach Alkohol. Wieder mal.
Für alle anderen sahen wir womöglich aus wie ein ganz normales Paar, das sich auf der Brücke küssen wollte. Doch keiner sah meinen stummen Hilfeschrei. Keiner bemerkte, dass ich das alles nicht wollte. Und dass mir kein Ton über die Lippen kam. Ich presste meine Hände gegen seinen Brustkorb, versuchte, ihn von mir wegzuschieben. Doch er war zu stark. Ich drehte das Gesicht weg, spürte seinen Atem auf meiner Wange. Und dann sah ich ihn. Er war noch ein paar Meter von uns entfernt und unsere Blicke trafen sich. Er musste die Panik in meinen Augen erkannt haben, denn ich sah, wie sich seine weiteten und er seine Schritte beschleunigte. Einen Atemzug später wurde Michael von mir weggerissen und ich durch den Körper des Fremden abgeschirmt. Ich fühlte mich wie betäubt und bekam das folgende Wortgefecht nicht mit. Als ich vor über vier Wochen mit ihm Schluss gemacht hatte, hatte ich nicht daran geglaubt, ihn jemals wiederzusehen. Wir waren nicht lange ein Paar gewesen und der Schmerz, ihn zu verlieren, war so gut wie nicht vorhanden. Er wollte ein Date, ich hatte ihm eine Chance gegeben. Er wollte mehr, ich hatte es mit ihm versucht. Er schien nett zu sein, doch schon bald erkannte ich, dass das nur der äußere Schein war. Er war krank. Er brauchte den Alkohol. Ohne ihn ging gar nichts. Keine Ahnung, wie mir das bei unseren Dates entgehen konnte. Vielleicht war er auch bewusst nüchtern gewesen? Seine Sucht war nicht zu zügeln und ich beendete, was für mich nie dagewesen war. Ich liebte ihn nicht, hatte es nie getan. Doch für ihn war die Sache offensichtlich nicht vorbei. Er hatte mir aufgelauert, als ich von der Arbeit kam. Der Schock über sein plötzliches Auftauchen hatte mich gelähmt, denn ich hatte nicht damit gerechnet.
„Alles in Ordnung mit Ihnen?“
Eine sanfte, tiefe Stimme riss mich aus meinen Gedanken und ließ mich blinzeln. Von Michael war keine Spur mehr zu sehen. Stattdessen blickte ich in Augen, die so blau waren wie der Ozean und mich besorgt musterten. Der Mann vor mir war hoch gewachsen und in dunklen Farben gekleidet. Ich konnte das Leder seiner Jacke riechen. Ein Dreitagebart zierte sein attraktives Gesicht und seine schwarzen Haare klebten ihm durch den Regen feucht an der Stirn. Diese legte sich in Falten, sein Blick wurde fragend.
„Miss?“
Ich erwachte endlich aus meiner Starre und schüttelte den Kopf, wie um meine Gedanken zu verscheuchen.
„Es geht mir gut, danke.“ Mir war kalt und ich war bis auf die Knochen durchnässt, da ich meinen Regenschirm im Büro vergessen hatte. Allerdings hätte der mir bei Michaels Übergriff auch nicht viel geholfen, es sei denn, ich hätte ihm damit eins übergebraten.
„Kommen Sie. Sie sollten aus den Regen raus, sonst fangen Sie sich noch was ein.“

Er stellte sich mir als Kilian Rider vor. Dieser Name erschien mir passend für meinen ganz persönlichen Helden. Er passte zu ihm. Stark, düster und irgendwie mysteriös. Trotz seiner dunklen Erscheinung war er ganz anders, als ich zunächst gedacht hatte. Er war zuvorkommend, höflich und aufmerksam. Er lud mich nach den Ereignissen auf der Westminster Bridge zu einem Kaffee ein. Obwohl er mich interessiert musterte, machte er keine Anstalten, weiterzugehen. So war ich schließlich diejenige, die ihn um ein weiteres Treffen bat. Ich wollte mir von meinem idiotischen Ex nicht das Leben vermiesen lassen und war nicht abgeneigt, jemand neuen kennenzulernen. Vor allem nicht, wenn er so war wie Kilian. Selten hatte ich einen Menschen getroffen, der mich derartig faszinierte. Die Art, wie er sich bewegte, war elegant. Die Art, wie er sprach, bedacht und intelligent. Wir saßen stundenlang in diesem Café und redeten über alles Mögliche. Ich wollte ihn wiedersehen. So bald wie möglich. Oh, und wie ich diesen Mann wiedersehen wollte!

Als wir uns das nächste Mal trafen, schien die Sonne. Er holte mich in Waterloo ab und gemeinsam spazierten wir wie viele andere auch zum London Eye. Obwohl ich schon so lange hier lebte, war ich noch nie mit dem gigantischen Riesenrad gefahren. Es hatte sich einfach nie ergeben. Wir blieben davor stehen und er grinste zu mir hinab. Als ich die Tickets in seiner Hand erblickte, fing ich an zu strahlen.
„Ist das dein ernst?“
„Klar. Hast du schon einmal den berühmten Londoner Nebel gesehen?“
Er legte seine Hand an meine Taille und gemeinsam stellten wir uns an der Schlange an.
„Nein. Ich habe gehört, den gibt es nicht mehr.“
Er zog eine Augenbraue hoch und grinste. „Das ist so nicht richtig. Komm, ich zeige ihn dir.“

Ich hatte keine Ahnung, wie ich mir dieses wundervolle Erlebnis so viele Jahre lang vorenthalten konnte. Vielleicht habe ich aber auch nur auf den richtigen Mann gewartet, der mit mir gemeinsam die Schönheit dieses Anblicks genießen würde. Und obwohl wir uns noch nicht lange kannten, hatte ich bei Kilian ein gutes Gefühl.
Wir standen an der Glasscheibe der Gondel und fuhren langsam immer höher. Vor uns lagen die scheinbar unendlichen Weiten Londons. Ich liebte diese Stadt. Doch ich war immer so sehr in meine Arbeit vertieft, dass ich keine Möglichkeit hatte, sie aus diesem Blickwinkel zu betrachten. Am Horizont ging die Sonne bereits unter und tauchte den Himmel in diverse Gelb-, Orange- und Rottöne. Über der Stadt hing der Nebel, den ich schon so lange für verloren glaubte. Die Gerüchte darüber, dass es ihn nicht mehr gab, waren schlichtweg gelogen. London war so viel mehr als eine Geschäftsmetropole und Touristenattraktion. Trotz der vielfältigen Modernität hütete die Stadt noch immer so viele Geheimnisse und hatte nichts von ihrem Charme und der mysteriösen Art verloren, die ihr immer nachgesagt wurde.
„Habe ich zu viel versprochen?“, murmelte Kilian hinter mir und ich wandte mich zu ihm um.
„Nein. Es ist wunderschön.“
„Genauso schön wie du.“ Seine Augen leuchteten und doch war ich diejenige, die ihre Hände an seine stoppeligen Wangen legte und ihn zu mir runter zog. Als sich unsere Lippen berührten, fühlte es sich an wie ein Feuerwerk der Sinne. Es war so richtig. So gut. Er war derjenige, auf den ich immer gewartet hatte. Das wusste ich tief in meinem Herzen, das mit jeder Sekunde, die er mich küsste, härter darum kämpfe, aus meiner Brust zu springen.
„Wo bist du nur so lange gewesen?“, flüsterte ich und blickte zu ihm auf. Ein Lächeln umspielte seine Lippen und er schüttelte leicht den Kopf.
„Manchmal muss man sich das Herz erst brechen lassen, ehe es zu schlagen beginnt.“
„Michael hat mir das Herz nicht gebrochen. Ich war diejenige, die-“
Er unterbrach mich, indem er mir dir Zeigefinger auf die Lippen legte.
„Wer redet denn von dir?“ Er zwinkerte mir zu, drehte mich dann in Richtung Fenster und legte die Arme um mich, um sich weiter von der Stadt verzaubern zu lassen.

Wir gingen es langsam an. Doch ich brauchte nicht lange, um zu begreifen, dass ich mich in diesen Mann verliebt hatte. Michael schien es aufgegeben zu haben, denn von ihm war zu meinem Glück weit und breit nichts mehr zu sehen und zu hören. Zumindest ließ er mich in Ruhe. Vor dem Vorfall auf der Westminster Brücke hatte er ab und an zu versucht, mich telefonisch zu erreichen oder stand vor meiner Tür. Derart aufdringlich wurde er an diesem Tag das erste Mal. Ich hoffte, dass dieses Kapitel in meinem Leben nun endlich vorbei war und ich das nächste beginnen konnte. Gemeinsam mit Kilian. Es konnte ja nur besser werden. Das Leben war endlich schön.

Wir gewöhnten uns schnell aneinander. Er wohnte näher an meiner Arbeitsstelle und so ergab es sich, dass ich schon nach wenigen Wochen meine Wohnung nur noch selten betrat. Ich hatte nie an so etwas wie Seelenverwandtschaft geglaubt. Doch mit ihm war es, als ich hätte ich in ihn meinen idealen Partner gefunden. Oh Gott, ich liebte ihn so sehr. Mein Glück war perfekt. Zu perfekt.

Es war ein Samstagabend. Wir wollten uns am Fuße des Erosbrunnen am Piccadilly Circus treffen, einem beliebten Treffpunkt, an dem man sich nicht verfehlen konnte. Das Schicksal hatte einen schrägen Sinn für Humor, denn mein Leben sollte sich genau vor diesem Symbol der Nächstenliebe schlagartig verändern. Ich wartete vor den Treppenstufen und tippte eine SMS an eine Freundin, als sich von hinten zwei kräftige Arme um mich schlangen.
„Hey, mein Engel“, hauchte Kilian und ich drehte mich zu ihm um, um ihn zu küssen. Sein Blick war voller Liebe und Zuneigung. Um uns herum tummelten sich die Menschenmassen wie an jedem Samstagabend, doch das war uns egal. Alles, was für uns zählte, war, dass wir zusammen waren.
„Ich bin doch kein Engel“, lachte ich und stupste ihn mit dem Zeigefinger gegen die Stirn.
Er hob vielsagend die Augenbrauen und grinste frech. „Du bist mein Engel der Sünde. Komme ich dafür jetzt in die Hölle?“
„Ich glaube nicht. Wo bliebe da der Spaß?“
„Stimmt. Unschuldige Engel vor den Augen des Herrn zu verführen ist viel lustiger.“
„Als ob du an irgendeinen Herrn glaubst“, antwortete ich und verzog vielsagend den Mund. Er war genauso fest von der Existenz eines Gottes überzeugt, wie ich davon, dass es noch eine achte Buffy-Staffel im Fernsehen geben würde.
„Stimmt. Ich glaube nur an mich und-“ Er unterbrach sich und blickte mir über die Schulter. „Was will der denn hier?“
„Was?“ Ich fuhr herum und umfasste reflexartig Kilians Hand, als ich erkannte, wen er meinte. Michael drängte sich durch die Menschenmenge genau auf uns zu, sein Gesicht wutverzerrt. Ich hatte ihn noch nie zuvor so gesehen und das machte mir Angst.
„Kilian!“
„Bleib dicht bei mir. Der braucht nur ein Ventil für seinen Frust.“
„Aber das bist nicht du!“
Kilian zuckte mit den Schultern und hauchte mir einen Kuss auf die Stirn, bevor Michael uns erreichte. Er würde doch hier keine Szene machen. Oder? Als er nah genug um uns ran gekommen war, bemerkte ich die rot umrandeten Augen. Er stank wie eine ganze Schnapsfabrik und ich wich zurück, meine Hand noch immer in der meines Freundes.
„Was willst du?“, fragte Kilian ruhig und höflich, doch statt einer Antwort sauste plötzlich eine Faust auf ihn zu. Er versuchte auszuweichen, wobei ich, die direkt hinter ihm stand, über eine Treppenstufe stolperte und zu Boden ging. Die Leute um uns herum stoben auseinander und beobachteten das Szenario teils schockiert, teils fasziniert. Michael traf Kilian direkt an der Schläfe, was ihn zurück taumeln ließ.
„Was soll das?“, rief dieser etwas benommen und ich versuchte, mich wieder aufzurichten.
„Michael, hör auf!“ Ich schrie ihn an, doch er schien mich gar nicht zu hören. Er versuchte es erneut mit einem Schlag und Kilian stolperte die Stufe hinter ihm hinauf und hob abwehrend die Hände. Ich vernahm einige Leute, die etwas von Polizei murmelten, und sich in Bewegung setzten. Die ganze Situation war so irreal und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Kilian ging neben mir zu Boden. Blut tropfte ihm von der Lippe.
„Anna!“
Mein Name dröhnte mir in den Ohren. Ich war wie erstarrt und konnte nichts tun, als ich in den Lauf einer Pistole starrte. Einige Leute schrien auf und aus der Ferne konnte ich Sirenen hören. Doch Michael ließ sich nicht beirren. Er war vollkommen durchgeknallt, hatte den Verstand verloren. Seine Augen fixierten mich, seine Hand spannte sich an. Und dann …
PENG!
Ich ging in die Knie. Der Schmerz in meiner Brust zerriss mich beinahe. Da war Blut. So viel Blut. Kilians Blut. Jemand riss Michael zurück, nahm ihm die Pistole ab. Er wehrte sich nicht mehr. Doch das war alles egal. Ich presste meine Hände auf die Wunde in seiner Brust, aus der das Blut unaufhörlich sickerte. Es entstand ein Tumult um uns herum. Teilweise standen die Leute im Kreis und gafften. Jemand griff nach Kilians Handgelenk, fühlte den Puls, während sein Leben weiter aus ihm herausströmte. Ich blickte ihm ins Gesicht. Seine Augen waren auf mich gerichtet. Doch darin war nichts mehr. Kein Leben. Kein Glanz. Seine Augen waren tot. Genauso wie mein Herz. Er musste sich vor mich geworfen haben, als Michael abgedrückt hatte. Ich hörte jemanden schreien und es dauerte einen Moment, ehe ich begriff, dass ich es war. Ein Mann zog mich von ihm weg und ich wehrte mich mit Händen und Füßen, doch es half alles nichts. Er redete beruhigend auf mich ein, doch ich nahm nichts von alldem wahr. Ich kauerte auf dem Boden und schlug die Hände vors Gesicht. Sein Blut vermischte sich mit meinen Tränen. Mein ganzer Körper bebte unter meinen Schluchzern. Obwohl ich gedacht hatte, endlich mein Glück gefunden zu haben, hatte Michael mir alles genommen. Nachdem ich ihm das Herz gebrochen hatte, hatte er blutige Rache an mir genommen. Doch mein Herz hatte er nicht gebrochen. Er hatte es mir aus der Brust gerissen. Hatte mir das genommen, was mir in der kurzen Zeit am wichtigsten geworden war. Meine große Liebe. Etwas Feuchtes tropfte mir auf den Kopf. Mir war eiskalt und zitternd blickte ich auf.
Es regnete.

(c) Cat Lewis

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