Fragen zum neuen Roman von Murakami – Fragen zu Kishidanchō goroshi

Fragen zum neuen Roman von Murakami – Fragen zu Kishidanchō goroshiIn wenigen Tagen erscheint der erste Band von Haruki Murakamis Die Ermordung des Commendatore (im japanischen Original: Kishidanchō goroshi). Meine Nerven liegen praktisch blank. Ich bin aufgeregt wie ein Kind vor Weihnachten. Gedanklich öffne ich seit Anfang Januar jeden Tag ein Türchen in meinem imaginären Adventskalender. Bis ich das Buch endlich in der Hand halten werde.

Oft habe ich mir in den letzten Wochen versucht vorzustellen, wie aufregend und hektisch es erst im DuMont Buchverlag sein muss! Vertrieb, Presseabteilung, Druckerei, Marketing … laufen nicht alle Abteilungen auf Hochtouren? Fragen türmten sich auf. Fragen außerdem zur Übersetzung und zum Inhalt des Buches. Ich habe diese Fragen dann an den Verlag geschickt. Die Antworten der Übersetzerin Ursula Gräfe (UG) und der Vertriebsleiterin Imke Schuster (IS) sind vor wenigen Tagen in meinem Mailordner gelandet. 

JM: Frau Gräfe, vor einigen Wochen kam der Prospekt des Verlages mit der Ankündigung des neuen Romans von Murakami im Januar 2018. Darin wird angedeutet, dass dem Porträtmaler Wataru Menshiki während seines Auftrages merkwürdige Dinge passieren und sich neue Welten öffnen. Das klingt für mich nach einem „klassischen“ Murakami. Deshalb meine Frage: Ist der Roman wieder so komplex und tiefgründig wie 1Q84 und Mister Aufziehvogel? Ähnelt er ihnen sprachlich und inhaltlich? Gibt es auch wieder irgendwelche historischen Bezüge? Oder ist es eher eine Liebesgeschichte wie Naokos Lächeln und Gefährliche Geliebte?

UG: Kleine Korrektur: Bei dem Porträtmaler handelt es sich um den Icherzähler. Wataru Menshiki ist eine andere – geheimnisvolle – Figur.

Zur eigentlichen Frage: Ja, ich würde sagen, Die Ermordung des Commendatore mit ihrer ausgedehnten, weitverzweigten und metaphernreichen Handlung gehört – und das nicht nur vom 1000seitigen Umfang her – zu Haruki Murakamis „großen“ Romanen. Historisch wird ein Bogen nach Wien zur Zeit des Nationalsozialismus gespannt, aber auch die japanische Geschichte der 1930er Jahre spielt eine Rolle. Wie häufig in Murakamis Romanen ragen Ereignisse aus der Vergangenheit in die Gegenwart und nehmen einen dramatischen Einfluss auf das Leben der Figuren. Mindestens eine Liebesgeschichte gibt es natürlich auch.

JM: Zum Thema Übersetzungen interessiert mich schon immer sehr, wie es möglich ist, auf die Feinheit jedes einzelnen Wortes zu achten. Wie schwierig ist das möglicherweise? Kann ein vollständiger Satz im Japanischen nicht mehrere Deutungen im Deutschen ergeben?

UG: Murakamis Anspruch als Erzähler ist es, komplexe Ideen – wie die Vielschichtigkeit der Wirklichkeit und der menschlichen Existenz – spannend und zugänglich zu gestalten. So zu schreiben, dass es seinen Lesern schwer fällt, seine Bücher aus der Hand zu legen. Dabei ist er bemüht, gewisse für seine Geschichten charakteristische Stimmungsfelder zu erzeugen, was ihm, wie seine weltweit große Leserschaft beweist, auch hervorragend gelingt. Die gleiche Atmosphäre auch im Deutschen zu erzeugen ist manchmal nicht ganz einfach, wie überhaupt die Umwandlung – oder Anverwandlung – eines japanischen Texts in eine lesbare deutsche Fassung ganz eigene Anforderungen stellt. Mehrdeutigkeit ist dabei vielleicht sogar das geringere Problem, auch wenn solche Stellen hin und wieder vorkommen, da ja die japanische Sprache – zum Beispiel – ohne Artikel oder Mehrzahlbildungen auskommt. Daher muss allein die Entscheidung, ob „ein Baum“, „der Baum“ oder sogar „einige Bäume“ am besten passt, häufig gut überlegt sein. Das Knifflige ist jedoch eher die Wiedergabe der „atmosphärischen Bedingungen“, denn auch im Japanischen kommt es auch in der Prosa ungleich häufiger dazu, dass Wahrnehmungsebenen sich überlappen. Im Deutschen wäre das beispielsweise bei einem Ausdruck wie „warmes Gelb“ der Fall – warm ist ein Gefühl und Gelb ist eine Farbe, während eine solche poetische Verkettung von Sinneseindrücken im Japanisch viel öfter vorkommt. Ein Beispiel finden Sie in der nächsten Antwort.

JM: Manchmal wäre ich gern “im Kopf von Ursula Gräfe”. Sie sind eine der Ersten hier im deutschsprachigen Raum, die in Murakamis komplexe Denkwelt einsteigt! Gibt es vielleicht Beispiele für besonders verwirrende Begriffe? Was passiert, wenn eine Stelle in der Geschichte besonders knifflig ist? Entscheiden Sie, wie es weitergeht oder kontakten Sie dann Herrn Murakami zur Klärung?

Fragen zum neuen Roman von Murakami – Fragen zu Kishidanchō goroshi

UG: Ich gebe Ihnen ein recht einfaches Beispiel aus der kurzen Erzählung Die unheimliche Bibliothek, die Kat Menschik so wunderbar illustriert hat. Zwei Kinder werden von einem bösartigen Alten im Keller einer Bücherei festgehalten und planen ihre Flucht in einer besonders dunklen Nacht, die (in der deutschen Übersetzung) so beschrieben wird: „Lautlos wie ein schwarzer Delfin glitt die Neumondnacht heran.“ Die japanische Wortfolge lautet ungefähr: „Neumondnacht wie blinder Delfin heimlich herankommen.” Sofort fragt man sich ja, was zum Beispiel die Blindheit des Delfins mit dem heimlichen Herannahen zu tun hat. Aber im Japanischen vermitteln die Worte „blind“, „Delfin“ „heimlich“ – jenseits zwingender Logik – eine allgemeine Atmosphäre von Dunkelheit (heimlich, Nacht) Hilfslosigkeit (blind), Lautlosigkeit (Delfin unter Wasser) Geschmeidigkeit (Delfin) und einiges mehr. Hier überlappen sich also verschiedene Aspekte, die im Deutschen verschiedene Wahrnehmungsebenen haben. Hier jedoch spielt die Assoziationskraft des Leser eine größere Rolle als die Logik – es ist also eher wie in einem Gedicht. Falls mir etwas unklar ist, setze ich mich mit Herrn Murakamis Büro in Verbindung und meine Frage wird sofort geklärt. Und natürlich hat er in allem das letzte Wort.

JM: Auch wenn ich mich so sehr auf das Buch freue, Imke … Es wird sicher hart, nach dem Lesen des ersten Teils auf die Fortsetzung im April warten zu müssen. Welche Überlegungen des Verlages führten dazu, das Buch wieder in zwei Teilen herauszubringen? Ist jede Geschichte in sich abgeschlossen?

Fragen zum neuen Roman von Murakami – Fragen zu Kishidanchō goroshi

IS: Der erste Teil endet mit einem so starken Cliffhanger, dass man kaum erwarten kann, den zweiten Band lesen zu dürfen. Auch in Japan ist der Roman in zwei Bänden erschienen und wir sind bemüht die Bücher von Murakami so herauszubringen, wie im Original, respektive so, wie sich der Autor das wünscht.

JM: Das Cover von Die Ermordung des Commendatore ist großartig! Ist die Gestaltung eigentlich alleinige Entscheidung des Verlages oder wird Murakami mit einbezogen?

IS: Die Idee für das Motiv ergibt sich zumeist aus dem Inhalt. Die Grundidee stammt somit aus dem Verlag. Unsere Coveragentur LNT gestaltet dann verschiedene Entwürfe, die wir im Verlag gemeinsam anschauen. Wenn wir uns für ein Motiv entschieden haben, wird dieses an Murakami geschickt. Erst wenn er zugestimmt hat, wird die Idee umgesetzt.

JM: In meiner Murakami-Sammlung stehen alle frühen Romane Murakamis noch mit den alten Covern. Viele dieser Bücher haben nun eine ganz neue Covergestaltung bekommen. Welche Idee des Verlages steht dahinter? Weiß man, ob sie Murakami gefallen?

IS: Als wir vor zwei Jahren die ersten Hardcover neu drucken mussten, da wir keine Bücher mehr hatten, entstand die Idee diese neu zu covern. Seit Die Pilgerreise des farblosen Herrn Tazaki in 2014 werden ja die neuen Bücher mit einem Folienumschlag ausgestattet. Da wir für diese Gestaltung sehr viel Zustimmung bekommen haben, unter anderem auch den BuchMarktAward, lag es nahe, die Neuauflagen auch mit Foliencover herauszubringen. So gut mir die meisten alten Cover auch gefallen haben, so sehr sind diese aus der Zeit gefallen und man sieht der Gestaltung an, dass diese mehrere Jahre alt ist. Dank der neuen Optik ist es uns gelungen, neue Leser anzusprechen. Auch hier bekam Murakami die Entwürfe vorab. Diese haben ihm alle gut gefallen und er hat sich sehr gefreut, dass wir uns der Backlist annehmen.

JM: Als Leser und Sammler schöner Bücher beglückt mich der blaue Farbschnitt des Buches sehr. Betrifft das wieder nur die erste Auflage? Ist ein farbiger Buchschnitt in der Herstellung eigentlich kompliziert? Wie findet man „das passende Blau“?

IS: Ja, nur die erste Auflage wird mit dem farbigen Schnitt gedruckt. Es ist nicht wirklich kompliziert einen farbigen Schnitt zu drucken. Allerdings hatten wir diverse Andrucke, bevor wir mit dem Blauton zufrieden waren. Da das Papier sehr viel Farbe schluckt, verändert sich die Farbe, die man aus einer Farbpalette ausgesucht hat, massiv. Je dunkler der Farbschnitt ist, desto schwieriger wird es. So musste die Druckerei immer wieder neue Musterbände liefern, die wir begutachtet haben, bevor wir den gewünschten Blauton gefunden hatten. Zudem ist es ein zusätzlicher Arbeitsgang, der die Produktionszeit erheblich verlängert. Die Farbe wird von Hand aufgesprüht und braucht dann ein paar Tage um zu trocknen.

Liebe Ursula Gräfe, liebe Imke. Alle meine Fragen sind vorerst beantwortet, wofür ich ganz herzlich Danke oder auf japanisch domo arigatou sage. Auch einmal Danke sagen möchte ich dem gesamten Team vom DuMont Buchverlag (einschließlich aller Verlagsvertreter) für die jahrelange und liebevolle Arbeit, die geleistet wurde und wird, um uns Lesern Murakamis komplexe und vielfältige Gedankenwelt zugängig zu machen. Mein größter Respekt gilt den wundervollen Übersetzungen durch Frau Gräfe.

Haruki Murakami. Die Ermordung des Commendatore. Teil 1. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. DuMont Buchverlag. Köln Januar 2017. 500 Seiten. 26,- €

Haruki Murakami. Die Ermordung des Commendatore. Teil 2. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. DuMont Buchverlag. Köln April 2017. 500 Seiten. 26,- €

Band 1 und 2 erscheinen zeitgleich als Hörbuch, gelesen von David Nathan. Hörbuch Hamburg. Beide Bücher jeweils 12 CDs und jeweils ca. 26,- €

Haruki Murakami. Die unheimliche Bibliothek. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Mit Illustrationen von Kat Menschik. DuMont Buchverlag. Köln 2013. 64 Seiten. 14,99 € / auch als Taschenbuch bei DuMont Buchverlag. Köln 2014. 64 Seiten. 9,99 €



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