Forderung nach PID-Zulassung: Gewissenskonflikt zwischen Arzt und Betroffenem

Kritik an Gegnern des EKD-Beschlusses für ein PID-Verbot

von Dennis Riehle

 

Wünscht man sich ein praktisches Beispiel dafür, was Fluch und Segen gleichzeitig bedeuten kann, eignet sich die aktuelle Debatte um die Präimplantationsdiagnostik (PID) hervorragend. Die Fortschritte in Medizin und Forschung loben viele von uns auf der einen Seite, bringen sie doch schwer Kranken neue Lebensqualität und die Aussicht auf Heilung oder zumindest Hinauszögern unheilbarer Erkrankungen.

Andererseits durchdringen die wissenschaftlichen Erfolge Grenzen, die bislang unumstößlich erschienen.

So ist es auch um die PID bestellt: Das Verfahren, das bislang in Deutschland keine Zulassung fand, gilt unter vielen Ärzten als die pure Hoffnung darauf, zukünftig schweres Leid auf Erden vermeiden zu können. PID erlaubt nämlich, bereits vor Eintreten der Schwangerschaft Embryonen auf „genetische Defekte“ hin zu untersuchen. Dort, wo schwere Erbkrankheiten vermutet werden, kann dann der Mediziner eingreifen: Durch „Aussortieren“ derer, die er für unverantwortlich und zu einem unwürdigen, unmenschlichen Leben verdammt hält – und durch das Einsetzen derer in den Mutterleib, die genetisch bedenkenlos sind.

Einigen wird es wie eine Traumvorstellung vorkommen: Keine Mutter muss mehr befürchten, ein behindertes Kind, ein Kind mit „defekten“ Erbanlagen auf die Welt bringen zu müssen. Was für die eine Seite als wahrlicher Segen daher kommen mag und die Welt von Schmerz und Elend befreien könnte, ist für die andere der Beginn von Selbstanmaßung, von „Gott spielen“ und von der Tendenz, eine Gesellschaft schaffen zu wollen, die „perfekt“ ist – und wiederum „unperfektes“ Leben ablehnt.  

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat sich schwer getan bei der Frage nach Zulassung oder Ablehnung der PID. Nachdem die Christlich-Demokratische Union (CDU) mit relativ knapper Mehrheit auf einem Parteitag bei der Haltung blieb, die PID weiterhin verboten zu lassen, hatten auch die EKD-Synodalen mit ebenfalls dünnem Überhang an Gegnern der PID einen Beschluss gefasst, der das Verfahren ebenfalls als nicht vertretbar ansieht. So formulierten sie: 

„Das christliche Menschenbild gründet darauf, dass der Mensch nicht sein eigener Schöpfer ist, sondern sich alles Leben Gott verdankt. […] Damit ist eine Auswahl zwischen lebenswertem und nichtlebenswertem Leben, die sich aus der Zulassung der PID bei bestimmten Krankheitsbildern zwingend ergibt, nicht vereinbar. […] Auch ein Leben mit Behinderung ist in der ganzen Bandbreite Gottesebenbildlichkeit eingeschlossen. […] Die Zulassung der PID relativiert dieses christliche Menschenbild, wenn sie dazu dienst auszuwählen und festzulegen, welches Leben ‚lebenswert‘ ist und welches nicht. […]“ (nach „Evangelischem Pressedienst“, epd, 15. Februar 2011)  

Die Antworten auf diesen Beschluss kamen prompt. Die Empörung unter vielen Ärzten war groß, beispielhaft brachte Dr. med. Klaus Koch (Saaldorf-Surheim) in einem Leser-Brief sein Entsetzen zum Ausdruck:

„Ob die Damen und Herren von der EKD wissen, was sie anrichten, wenn sie für ein PID-Verbot sind? […] Ich könnte es weder mit meinem Gewissen noch mit meinem Verstand verantworten, einer Frau möglicherweise krankes Erbgut oder ein Implantat einzusetzen, von dem vorher schwerwiegende Defekte zu diagnostizieren wären. […] Wenn ich die Möglichkeit habe, vor dem Beginn der Schwangerschaft im Mutterleib eine fehlerhafte Embryoanlage zu diagnostizieren, und dies nicht tue, sehe ich darin einen groben Kunstfehler. Es ist schon eine arge Entgleisung dieser Theologen, die PID unter Strafe stellen zu wollen.“ („ideaSpektrum“, Nr. 9, 03. März 2011, Seite 43)

Bei solchen Zeilen sah ich mich gezwungen, diesem Standpunkt eine Reaktion entgegen zu setzen und schrieb der Redaktion wie folgt:

„Ich respektiere die Sichtweise von Dr. med. Klaus Koch, der es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren könnte, einer Frau erblich geschädigte Embryonen einzupflanzen. Gleichzeitig erwidere ich aber auf den Angriff gegen die EKD-Synodalen, die sich gegen eine PID-Zulassung ausgesprochen hatten: Für mich ist es als Betroffener einer genetischen Muskelerkrankung verletzend, wenn ich in indirekter Übertragung als „Kunstfehler“ gelte. Zur Ehrfurcht vor Gottes Schöpfung und seinem Wirken in der Welt gehört auch, Erkrankungen und dem „Anderssein“ mit Würde entgegen zu treten.  Dies geschieht jedoch sicher nicht, indem man die Möglichkeiten heutiger Forschung und Diagnostik nutzt, um die Existenz von Personen wie mir bereits im Reagenzglas als nicht lebenswert einschätzt. Bei all den Diskussionen wird stets von außen betrachtet: Meist Gesunde sehen sich in der Lage zu beurteilen, wie es ist, täglich mit einem genetischen Defekt umgehen zu müssen. Solch ein Leben besteht eben nicht nur aus Leid und Schmerz, sondern auch aus den dankbaren Momenten, in denen ich durch Erfahrungen, Begegnungen und das Durchschreiten von Tiefen und Überwinden von Höhen Kraft und Zuversicht erlerne. Diese hilft mir, mit Situationen umzugehen, die für einen „nicht Kranken“ zu rasch als unbezwingbar gelten. Ich wünsche mir, dass auch nach mir viele weitere Menschen mit genetischem Defekt das Recht zum Leben erhalten. Denn es ist keineswegs ein verlorenes Leben.“

Für mich ist die Vorstellung eine grausame, wonach Ärzte sich aufspielen, zukünftig Herrscher und Entscheidende darüber sein zu wollen, welches Leben als lebenswert betrachtet wird. Eine solche Entwicklung braucht keinen Schöpfergott mehr, dieser wird überflüssig. Sie braucht auch kein Gottvertrauen mehr, dass wir durch seine Gnade in schweren Zeiten aus Leid, Krankheit und Schmerz in den tiefsten Tälern begleitet werden. Sie braucht auch nicht mehr die überlebensnotwendige Erfahrung, mit Herausforderungen umgehen zu lernen, sich Feingefühl, Mitmenschlichkeit und Sensibilität im Miteinander aus Behinderten und Nicht-Behinderten, aus Kranken und Gesunden, aus „Normalen“ und „Anderen“ anzueignen. Kurzum: Sie wird zu einer Entwicklung, die uns in eine Welt aus Korrektheit, Funktionalität und Kälte führt.

Wenn wir die Zuversicht verlieren, dass Gott uns mit Krankheit nicht strafen, sondern auf den Weg der Auseinandersetzung mit uns selbst und unserer Umwelt bringen will, entfernen wir uns von der Grundlage des christlichen Glaubens. Wenn PID Wirklichkeit wird, ist Jesu Leid und Tod am Kreuz wertlos geworden. Die Lasten eines Lebens sind keine einseitigen Bürden. Sie befähigen uns, Not zu teilen und das Wesentliche zu erkennen: Wer am untersten Boden gewesen ist, versteht die Aussicht auf Auferstehung  ganz neu. Wer selbst und mit anderen gelitten hat, der nimmt Freude, Liebe und Hoffnung völlig anders wahr. Wer einmal die erdrückende Schwere des Kreuzes auf den eigenen Schultern spüren musste, blickt mit vollendeter Sehnsucht auf den Tag der Rettung und Erlösung, die Gott uns nicht erst im ewigen Leben schenkt. Wer voller Schmerzen war, würdigt nämlich das, was in einer „perfekten“ Welt so selbstverständlich und ungeachtet wäre – die Kleinigkeiten des Alltags, das Lächeln im Gesicht meines Nächsten, der Gesang der Vögel am Morgen, das aufsteigende Licht am Horizont. Jeder Tag wird zu einem Geschenk, das für die schwer erfahrbar werden zu scheint, die durch PID von aller Schwachheit befreit sind.

Denken wir den Gedanken weiter, wonach zukünftig Ärzte die Macht erhalten könnten, darüber zu bestimmen, welche Menschen das Licht der Welt erblicken dürfen, kommen wir zwingend in Gefilde, die sich wohl auch keiner der Befürworter der PID so richtig ausmalen möchte: In einer Gesellschaft, in der Leistung und Erfolg das Maß aller Dinge sind, kann es für diejenigen zur Versuchung werden, die Produktivität und Gewinn im Auge haben: Man mag es kaum aussprechen – und doch wäre ein „Heranzüchten“ von Menschen ohne Makel für manchen Vertreter in der boomenden Wirtschaft eine Verlockung. 

Ich daher trete entschieden dafür ein, die politischen Kräfte zu stärken, die sich ihrer Verantwortung vor Gott, vor denen, die heute unter Behinderung und Krankheit leiden, und vor der gesamten Gesellschaft bewusst sind – und aus dieser Überzeugung ihr „Nein“ zur Präimplantationsdiagnostik ableiten.


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