Eurokrise und Austerität - Teil 2 - worüber streiten wir?

Von Tobias Fuentes
Missverständnisse, Widersprüche und Pseudo-Alternativen. Was würde Keynes machen? Sollten deutsche Löhne steigen? Die Flucht aus ökonomischen Zwängen.


Fortsetzung und vorläufiger Schluss nach Teil 1 - Eurokrise und Austerität - worüber streiten wir (Basics)
4. Austerität - weil nicht sein kann, was nicht sein darf
Erinnern wir uns, wir hatten unterstellt, dass Krisenländer durch die relative Verschlechterung ihrer preislichen Wettbewerbsfähigkeit in Defizite gerieten und deswegen vom Kapitalmarkt bestraft werden. Das ist der grobe Kern jeder Krisenbeschreibung von Linken. Die Schuldfrage mit Blick auf Deutschland ist ein anderes Thema, das am Befund nichts ändert. Wenn Konkurrenten nicht inflationieren, müssen Krisenländer deflationieren, um wieder wettbewerbsfähiger zu werden. Das führt zu einem Gesundschrumpfen mit Nebenwirkungen. Man kann mit diesen Nebenwirkungen nicht das Scheitern von Austerität proklamieren. Im Gegenteil, Austerität funktioniert lehrbuchmäßig. Die Notwendigkeit von Austerität, wenn man alle Länder im Euro halten will, kann von Linken nicht bestritten werden. Und dennoch geschieht es reihenweise. Gründe und Missverständnisse versuche ich aufzuzählen.
a) Am verbreitetsten ist das argumentative Vermengen von Wettbewerbsfähigkeit mit der Frage nachgelagerten Wachstums zwecks Schuldenabbaus. Insbesondere stellt man sich dumm und fragt vorwurfsvoll, wie denn Schulden zurückgezahlt werden können, wenn doch Steuereinnahmen wegbrechen. Zur Erinnerung aber: Linke waren und sind es, für die Staatsschulden nicht als primäre Krisenerklärung taugen. Auch wird das Ausmaß der katastrophalen wirtschaftlichen Lage benutzt, um von notwendiger Austerität abzulenken. Man kuriert die Nebenwirkungen (Arbeitslosigkeit) und vergisst darüber die Krankheit. Das ist einerseits verständlich, aber unehrlich. Ich will das Elend in den Krisenländern gleichfalls so schnell wie möglich beenden; die Alternative ist aber nicht Traumtänzerei und nutzloses Zeitschinden, sondern abgefederter Bankrott oder Euro-Austritt.
b) Man weicht auf Nebenkriegsschauplätze aus: wie im Falle Griechenlands auf die katastrophale Steuerverwaltung, die dadurch fehlenden Steuereinnahmen, die vermeintliche Schonung der Reichen, die eingesetzte Kapitalflucht, die grassierende Korruption u.ä. So als ob dies etwas Neues wäre und ursächlich für das eigentliche Problem, die Auseinanderentwicklung der Wettbewerbsfähigkeit. Jahrzehntelang hat man mit Misswirtschaft und Korruption gelebt. Das ist Sache der Griechen, Italiener und Spanier. Das geht uns nichts an. Genauso wenig haben wir anderen Vorschriften zu machen wie lange sie arbeiten und wie sie ihren Wohlfahrtsstaat gestalten.
c) Man verallgemeinert alle Finanzmarktakteure zu "Spekulanten" (suggeriert professionelle Spekulanten wie Hedgefonds), die die Hauptübeltäter und Zinstreiber seien. Eigentlich sei die Situation der Krisenländer noch nicht so schlimm, die Schuldenparade könne noch weitergehen. Nein, professionelle Spekulanten waren nicht der Auslöser der Entwicklungen und haben bisher auch noch kein Unheil angerichtet.
d) Der Verweis auf John Maynard Keynes. Nicht minder absurd ist der Verweis auf das Keynes'sche Deficit spending (das man üblicherweise aus seiner General Theory von 1936 herausliest), so wie es kürzlich Sahra Wagenknecht in einem Streitgespräch im Handelsblatt wieder tat ("Keynes wusste, dass sich Volkswirtschaften aus Krisen nicht heraussparen können"). Das Problem der Krisenländer ist aber gerade das schuldengetriebene Binnenwachstum, das sie in den Quasi-Bankrott trieb, weil es für den Staat die Zinsen explodieren ließ und Investitionen vertrieb. Das jetzige Dahinsiechen der Wirtschaft ist der Zustand, der durch die Rettungsmaßnahmen unterhalten wird, weil man den Bankrott nicht zulässt. Erst wenn die Krisenländer wieder aus eigener Kraft (und eben notfalls nach einem Bankrott) an den Kapitalmarkt kommen, dann kann man mit keynesianischem Deficit spending wieder loslegen. In dieser Position sind die Krisenländer aber nicht. Game is over. Griechenland ist bankrott. Es ist aus eigener Kraft nicht mehr in der Lage den jahrzehntelangen Versuch fortzusetzen sich über Schulden zu Wohlstand zu konsumieren. Und Konjunkturprogramme, finanziert von anderen, würden sicherstellen, dass es auch nicht mehr zu eigener Kraft (Wettbewerbsfähigkeit) zurückfindet! Wachstum ist in dieser Phase das Problem, nicht die Lösung. Man kann kein inflationäres die Exporte verteuerndes Wachstum haben, das dennoch wundersam mit Exportüberschüssen einhergeht - aber genau solche bräuchte es!
Die General Theory behandelt keine Außenwirtschaft und Leistungsbilanzunterschiede. Im Falle von Leistungsbilanzdefiziten war auch für Keynes Preisanpassung / Austerität notgedrungen selbstverständlich, wenngleich wegen "starrer Löhne" und Begleiteffekten unerwünscht:
"the contribution in terms of the resulting social strains which the debtor country has to make to the restoration of equilibrium by changing its prices and wages is altogether out of proportion to the contribution asked of its creditors"
(1941, Proposals for an International Currency Union, in Keynes Vol. XXV).
Zwischen 1941 und 1944 arbeitete er daran, solche Anpassungserfordernisse der Defizitländer zu umgehen, indem er ein künstliches Ausgleichssystem mit neuer Verrechnungswährung, dem Bancor, entwarf, das Überschussländer mittels einer "Strafsteuer" sanktionieren, den Aufbau von großen Überschüssen damit madig machen und notfalls Leistungsbilanzen langsam ausgleichen sollte. Dargestellt im Rahmen der Krisendebatte haben dies instruktiv Axel Troost (Linke, ver.di) & Lisa Paus (Grüne) beim ISM - Die Europäische Ausgleichsunion. Dass Keynes ansonsten in solchen Fällen auf flexible Löhne als notwendiges Übel vertraute, steht auch nicht im Widerspruch zu seiner Abneigung gegenüber flexibler Lohnpolitik im allgemeinen, denn in einem volkswirtschaftliches Gleichgewicht sah er lediglich keinen Garanten für Vollbeschäftigung, das ist aber ein anderes Problem.
e) Grotesk wird es, wenn nun derselbe Axel Troost (ich bin nicht sicher, ob er selber der Autor ist, aber er veröffentlicht es jedenfalls auf seiner Seite) am Beispiel von Spanien pauschalisiert - "Lohnkürzungen machen nicht wettbewerbsfähig"
"Spanische Exportgüter werden aber nicht billiger. Im Gegenteil – sie verteuern sich zum Teil stark, was auf eine stabile Auslandsnachfrage nach spanischen Waren hinweist. Offensichtlich sind die Güter bereits so wettbewerbsfähig, dass sie sogar höhere Preise erzielen können ... Die Lohnkürzungen steigern hier also nicht die preisliche 'Wettbewerbsfähigkeit'. Sie haben aber ganz andere Effekte."
Auch der DGB selber prangerte einst die Lohnentwicklung als Krisenursache an und will uns also plötzlich weismachen, dass alles anders ist, wenn die Krisenländer sich bewegen müssen.
f) Um wieder zu Keynes zurückzukommen, seine Vorstellungen von Alternativen zu Austerität waren wirtschaftspolitischer Natur. Er wollte lenken. Mangels Ausgleichsunion hätten seine mechanischen Vorstellungen sicher im Vorschlag gegipfelt, Deutschland höhere Löhne zu verordnen. Vielleicht flüsterte er das auch Christine Lagarde ein, die uns das 2010 durch die Blume nahelegte. Das ist ja auch ein häufiger Reflex von Linken und Keynesianern, und zunächst plausibel. Mal abgesehen davon, dass wir nicht der einzige Konkurrent der Krisenländer sind und uns selber behaupten müssen ... was wieder viele Flassbeck-Fans aufstöhnen lässt, werden wir uns hier aber nicht einigen können.
Für die deutsche Lohnzurückhaltung gab es einen Grund ... die lohnexpansive Zeit davor (nicht nur durch den Aufholprozess ostdeutscher Löhne) und die Aufwertung der D-Mark. Wenn man das vergleicht und aufaddiert, hat Deutschland sich im Zeitraum von etwa 1991-2010 bei den Lohnstückkosten ... verschlechtert. Das IW Köln analysiert das ja immer sehr schön (dort S. 13, für das Verarbeitende Gewerbe). Oder nehmen wir 1991-2007 (S. 11), da liegen wir im Durchschnitt, haben uns demnach also nichts zu Schulden kommen lassen. Das kann man hin und her rechnen, Länder rein- und rausnehmen. Irgendwann landet man bei der grundsätzlichen Frage, inwieweit expansivere Lohnpolitik denn binnenwirtschaftlich wirkt, insbesondere wenn höhere Löhne, vielleicht über Produktivitätszuwachs, aufdiktiert werden. Über das Maß hinaus, was ansonsten über die Tarifvertragsparteien ausgehandelt worden wäre - ausgehend von der Verteilungsmasse, die über das vorhandene Kapital vermittelt wird, das noch nicht "exportiert" wurde; da kann man sich auch streiten warum der Rest der Ersparnisse weg ist, wegen schlechter Angebotsbedingungen oder schwacher Nachfrage ... es läuft letztlich immer auf diese Frage hinaus.
Jedenfalls, als Angebotstheoretiker würde ich dann auf die Unterscheidung von beschäftigungsfördernder nachfrageinduzierter Inflation / Wachstum und beschäftigungsschädlicher erzwungener kostenbasierter Inflation hinweisen, Stichwort Stagflation. Das ist eine Unterscheidung, die Nachfragetheoretikern im Bereich von Löhnen gar nicht in den Sinn kommt - hat ja auch unrühmlichen Hintergrund. Wenn man die deutschen Löhne dann hoch genug getrieben hat, wären die Krisenländer wieder wettbewerbsfähiger, und wir hätten wieder Massenarbeitslosigkeit wie vor der Agenda. Inflation ist nicht gleich Inflation, und Deflation ist nicht gleich Deflation, darauf weise ich immer hin. Deflation ist spiegelbildlich zu Inflation. Wirtschaft hat über Produktivitätsentwicklung eine wohlstandssteigernde deflationäre Tendenz, aber das ist was anderes als beschäftigungsfeindliche erzwungene kostenbasierte Deflation (Austerität), wie nach dem Platzen von Blasen, in Krisen und außenwirtschaftlichen Anpassungsprozessen. Eine freie Wirtschaft liegt zwischen "schlechter" Inflation und "schlechter" Deflation, nur staatliche Eingriffe wie der Euro lässt sie in die Extreme pendeln.
Wen es interessiert, und das sollten ja wohl die meisten sein, empfehle ich im übrigen die sehr angeregte ("das verschlägt einem den Atem"), ausführliche und anspruchsvolle Auseinandersetzung von Hans-Werner Sinn mit dem Lagarde-Vorwurf vor dem Hintergrund von Kapitalströmen, auf S. 64-70 in seinem Target-Buch.
g) Die Flucht aus jeglichem Anpassungsdruck. So würde der Spiegelfechter offenbar eine Transferunion als Selbstzweck gutheißen, einen Länderfinanzausgleich für die Eurozone. Was sagt man zu so viel Dreistigkeit und autoritärem Größenwahn? Oder zur Flucht vom Kapitalmarkt, durch die Direktfinanzierung des Staates über die Zentralbank, also einem Systemwechsel. Die Frage muss doch hingegen sein, wie können Wirtschaften in unserem System dauerhaft aus eigener Kraft prosperieren? Wie macht man Transferunionen überflüssig? Kommt man mit ESM, Banken-, Transferunion, Euro-Bonds etc. zum Schuldenabbau und Annäherung von Wettbewerbsfähigkeit?
5. Fazit
So, mir reicht's jetzt erstmal. Es gäbe noch so viel mehr zu sagen. Will man alle Länder im Euro halten, gibt es für Austerität keine äquivalente langfristige Alternative. Das muss man sich eingestehen. Wer ökonomische Zwänge beklagt, kann nicht handeln als gäbe es sie nicht. Wir sind uns dennoch einig, dass Austerität für viele Krisenländer nicht zumutbar ist. Fragen, die sich hier anschließen, betreffen den Bankrott einzelner Länder, den Euro-Austritt, vermeintliche Domino-Effekte und den Sinn und Zweck von Transferunionen und anderen Ungetümen.

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