Ein Abend mit Stephen King

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Wie mag der Mensch hinter dem Schriftsteller gestrickt sein, der seine Figuren überfährt, verbrennt, zerhackt, aussaugt, zerfleischt, ersticht oder in den Wahnsinn treibt? Der in Begleitung von acht Bodyguards zu einer Lesung im beschaulichen München anrückt?

Nun, anders als gedacht.

Please, call me Stephen

Seit Wochen geht ein Raunen durch die hiesige Lesergemeinde: Stephen King kommt zum ersten Mal nach Deutschland. Er tritt nur zweimal auf, in München und Hamburg, heißt es da ehrfürchtig. Der Enthusiasmus kennt keine Grenzen, was nicht weiter verwundert. Der Mann hat rund 50 Bücher geschrieben, dabei ist er erst 66 Jahre, und hat weltweit über 400 Millionen Exemplare verkauft. Er ist einer der erfolgreichsten zeitgenössischen Schriftsteller, viele seiner Geschichten wurden verfilmt. Kaum jemand, der nicht ein Buch von ihm gelesen oder einen Film gesehen hat, der auf einem seiner Bücher basiert. Selbst Liebhaber der leisen Töne kommen bei Filmen wie “The Green Mile” und “Die Verurteilten” auf ihre Kosten. Kurzum: Der Mann, der am 19. November um 20.30 Uhr im Münchner Circus Krone zum ersten Mal eine deutsche Bühne betrat, ist Kult. Dementsprechend ist unter den rund 2.500 Besuchern die Spannung groß. Zunächst erscheint der bekannte Literaturkritiker Denis Scheck, um seinen illustren Gast vorzustellen, dann betritt der Meister selbst die Bühne. Groß, schlaksig, leicht gebeugt. Jemand, der sich trotz seines Ruhms offensichtlich das Leben nicht einfach macht. Dann beginnt er zu sprechen. Stephen King hat eine angenehme, getragene Stimme. Er freut sich, in einer Zirkuskulisse aufzutreten, meint er. Zum Glück lauert kein Clown hinter dem Vorhang, Horrorstimmung kommt also keine auf, im Gegenteil. Was folgt, ist ein höchst amüsanter Abend – “please, call me Stephen”, unterbricht er Denis Scheck, als dieser seine erste Frage mit Mister King beginnen will. Einige ernste Untertöne gibt es dennoch, als die Sprache auf Stephen Kings frühe Drogensucht kommt. Sehr ehrlich, sehr authentisch gibt er sich. Kann sich jedoch ein “I have to pee in a cup?” nicht verkneifen, woraufhin Denis Scheck erwidert: “Hier nicht, dann eher in Hamburg.” Natürlich sorgt die Bemerkung für Lacher, doch mir dünkt, dass eher das Gegenteil der Fall wäre. Denis Scheck sollte sich den Spruch für Hamburg vormerken. Ich glaube, dort wird das ein echter Brüller!

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Kleine Anekdoten

Angeblich ist Stephen King publikumsscheu, er selbst sagt, er habe eine Scheißangst vor öffentlichen Auftritten, doch davon ist an diesem Abend nichts zu spüren. Im Gegenteil, er ist ein großartiger Erzähler. Lächelnd steht er da, das Mikrofon in der Hand, wendet sich an die Zuschauer und erzählt von seinem Leben, seinem Werk – und von Deutschland. Würstchen und Wiener Schnitzel, findet er gut, und natürlich die “Autobahn”. Hätte er mehr Zeit, würde er gern die Schlösser besichtigen, die deutsche Märchenwelt fasziniert ihn. Denis Scheck spielt wunderbar mit, fragt nach, fasst zwischendurch das Wichtigste in Deutsch zusammen. Obwohl Stephen King bekanntlich nicht viel von Literaturkritikern hält, stimmt die Chemie zwischen den beiden. Das Publikum dankt. Stephen King ist gut zu verstehen und er kommt in Fahrt. Leute würden ihn immer wieder fragen “Why do you write that shit?”und er würde antworten: “Why do you think I have a choice?” Schon seit seiner Kindheit liebt er Monstergeschichten und Horrorfilme, Bamby war der erste Film, an den er sich erinnern kann. Und was ist wohl gruseliger als Walt Disney?

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Dann liest er einen Auszug aus seinem aktuellen Roman “Doctor Sleep”, der Fortsetzung von “The Shining”. Er liest im Stehen, mit einem eBook-Reader in der Hand und schon nach den ersten Sekunden entfährt ihm ein Fluch, weil der Reader nicht so will, wie er möchte, dann liest er routiniert weiter, akzentuiert, gestikulierend und alle lauschen gebannt. Wieder erzählt er von seinem Leben, das vor dem Erfolg nicht sehr einfach gewesen ist. “Let me tell you something: You should not have a child if you can only afford to have two pair of pants, ok?”, rät er eindringlich. Und dann: “But we did it. We did.” Er erzählt, wie er, nachdem er zu Geld gekommen war, seine Hochzeitsreise in den Rocky Mountains nachholte, in einem wunderschönen Hotel außerhalb der Saison, in dem seine Frau und er die einzigen Gäste waren. Allein im Speisesaal, umgeben von Tischen, auf denen die Stühle verkehrt herum standen, leere Gänge, von irgendwoher wehte Musik herüber … Wir ahnen es schon: Hier entstand die Idee zu “The Shining”.

“Hey, Stephen, where do you get your ideas?”
“I can tell you, but then I have to kill you.”

Irgendwann erzählt er von Stanley Kubrick, dem Regisseur von “Shining”. Er parodiert ihn und es ist offensichtlich, dass sich die beiden nicht sehr grün waren. Am Ende wird er sehr konkret. Er erzählt von einem Erlebnis am Filmset, als Stanley Kubrick eine Zigarette von ihm schnorrte, sie bis zum Filter herunterrauchte und aus dem Restfilter ein kleines Kügelchen drehte, bis es eine perfekte Form hatte. Dann holte Kubrick aus seiner Jackettinnentasche eine Schachtel heraus und legte das Kügelchen zu den anderen Kügelchen, die sich darin befanden. Stephen King resultiert, er habe nie wieder einen solchen analretentiven Charakter getroffen. Nichtsdestotrotz betont er, dass er den Film nicht so sehr hassen würde, wie behauptet wird und dass Stanley Kubrick ein großer Regisseur gewesen ist. Wir wollen es ihm glauben.

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Stimmen, die berühren

Als kurze Zeit später David Nathan, Synchronsprecher von Johnny Depp und Christian Bale, aus “Doctor Sleep” vorliest – in diesem Moment entscheiden einige aus dem Publikum, die meisten davon sind Frauen, soweit ich das beurteilen kann, dass sie statt des Buchs das Hörbuch kaufen wollen – sitzt Stephen King daneben und horcht andächtig, seine Augen sind geschlossen. Hier und da nickt er kaum merklich. Später erklärt er, wie sehr er das Lesen genossen hat, obwohl er kein Deutsch spricht. Er seufzt hörbar. Er habe die Musik vernommen, sagt er, es sei eine wunderbare Erfahrung für ihn gewesen, die er so noch nie erlebt habe. Der Rhythmus der Sprache habe es ihm angetan. Überhaupt würde nie jemand mit ihm über seine Sprache reden, dabei sei sie ihm so wichtig. “I think that writers find their voice after a while and I think that readers look for a certain voice after a while.”  Irgendwann entwickelt ein Autor eine unverwechselbare Stimme, erklärt er weiter. Das sei wie in der Musik. Bob Dylan, Motörhead oder auch die Rolling Stones führt er als seine Favoriten an. Man sei süchtig nach diesen bestimmten Stimmen und so erging es auch dem Leser. Deshalb habe er nach drei Romanen sein Pseudonym Richard Bachmann wieder aufgegeben, weil ihn eh jeder erkannt hatte.

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Am Ende des Abends ist die Begeisterung greifbar und alle springen von ihren Sitzen: Es liegt nicht an Denis Scheck, der Stephen King die perfekte Plattform geboten hat, nicht an David Nathan, der mit seiner unverwechselbaren Stimme für Gänsehautfeeling gesorgt hat, und es liegt auch nicht an der malerischen Zirkuskulisse. Es liegt einzig und allein an diesen schlacksigen, etwas müde aussehenden Mann vorne auf der Bühne, der sich dankend verbeugt.

Stephen King hat als Schriftsteller alles erreicht, was zu erreichen ist, es ist anzunehmen, dass er mehrfacher Millionär ist und doch strömt ihm die Liebe zum geschriebenen und gesprochenen Wort immer noch aus jeder Pore aus. Für mich war es ein inspirierender Abend, den ich so schnell nicht vergessen werde.

Thank you, Mister King!


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