Diese Wirtschaft belohnt psychopathische Persönlichkeitsmerkmale


“Wir leben in einer Wirtschaft, die das Ethos verändert und psychopathische Persönlichkeitsmerkmale belohnt

Stabil und von äußeren Einflüssen weitgehend unabhängig: So betrachten wir gemeinhin unsere Identität. Im Laufe jahrzehntelanger Forschung und therapeutischer Praxis bin ich allerdings zu der Überzeugung gelangt, dass wirtschaftliche Veränderungen nicht nur auf unsere Wertvorstellungen, sondern auch auf unsere Persönlichkeit großen Einfluss haben. 30 Jahre neoliberales Wirtschaften, immer weiter dereguliert wirkende Marktkräfte und Privatisierung fordern ihren Tribut. Gnadenloser Erfolgsdruck ist zur Norm geworden. Die neoliberale Leistungsgesellschaft fördert bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und bestraft andere.

Bestimmte Eigenschaften sind für das berufliche Weiterkommen heute unabdingbar. Am wichtigsten ist es, sich gut ausdrücken zu können, denn man muss so viele Menschen wie möglich für sich gewinnen. Der Kontakt kann dabei nur oberflächlich sein, das fällt nicht weiter auf. Schließlich trifft dies heutzutage auf die meisten zwischenmenschlichen Kontakte zu.

Des Weiteren muss man sich und die eigenen Fähigkeiten „gut verkaufen“ können – man kennt viele Leute, verfügt über jede Menge Erfahrung und hat erst vor kurzem ein größeres Projekt beendet. Wenn sich später herausstellt, dass das meiste davon heiße Luft war, ist dies lediglich der Ausweis für eine andere nützliche Eigenschaft: Man ist in der Lage, überzeugend zu lügen, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Deshalb übernimmt man auch nie Verantwortung für sein Verhalten.

Außerdem ist man flexibel und impulsiv, immer auf der Suche nach neuen Anreizen und Herausforderungen. In der Praxis führt das zu riskantem Verhalten, aber keine Sorge – nicht man selbst wird hinterher die Scherben zusammenkehren müssen.

Die neoliberale Leistungsgesellschaft suggeriert uns, Erfolg hänge von individueller Anstrengung und Talent ab, die Verantwortung liege also vollständig beim Einzelnen. Der Staat müsse den Menschen folglich so viel Freiraum wie möglich lassen, damit sie beim Erreichen dieses Ziels nicht behindert werden. Wer an die Mär von den unbegrenzten Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten glaubt, dem sind Selbstverwaltung und Selbstmanagement die vorrangigen politischen Botschaften, insbesondere wenn er sich durch sie einen Zugewinn an persönlicher Freiheit verspricht. Neben der Vorstellung vom perfektionierbaren Menschen gehört die vom Westen verfochtene Ideologie der grenzenlosen individuellen Freiheit zu den größten Unwahrheiten unserer Zeit.

Der Soziologie Zygmunt Bauman hat das Paradox unserer Zeit gut auf den Punkt gebracht: „Noch nie waren wir so frei. Noch nie haben wir uns so machtlos gefühlt.“ Die Bewohner des reichen Nordens sind in der Tat freier als früher. Wir können die Religionen kritisieren, uns sexuell ausleben und jede politische Bewegung unterstützen. Wir können all das tun, weil es nichts mehr bedeutet und sich hinter dieser Art von Freiheit in Wahrheit Gleichgültigkeit verbirgt. Gleichzeitig ist unser tägliches Leben zu einem permanenten Kampf gegen eine Bürokratie geworden, in deren Angesicht Kafka die Knie zittern würden. Es gibt Vorschriften für alles, vom Salzgehalt des Brotes bis hin zur Geflügelhaltung in der Stadt.
Das Schlechteste in uns

Unsere mutmaßliche Freiheit ist an eine zentrale Bedingung geknüpft: Wir müssen etwas aus uns „machen“. Wem es trotz guter Ausbildung wichtiger ist, sich um seine Kinder zu kümmern, als Karriere zu machen, der muss mit Kritik rechnen. Wer einen guten Job hat und eine Beförderung ablehnt, weil er lieber mehr Zeit mit anderen Dingen zubringen will, wird angesehen, als habe er den Verstand verloren – es sei denn, diese anderen Dinge dienen dem beruflichen Weiterkommen.

Permanent wird über den Verlust von Normen und Werten lamentiert. Doch unsere Normen und Werte machen einen bedeutenden Teil unserer Identität aus. Sie können also nicht verloren gehen, sie können sich lediglich ändern. Und genau das ist passiert: Eine veränderte Wirtschaftsweise spiegelt sich in veränderten ethischen Vorstellungen wider und führt zu veränderten Identitäten. Das gegenwärtige Wirtschaftssystem bringt das Schlechteste in uns zum Vorschein.”

Quelle und gesamter Text: https://www.freitag.de/autoren/the-guardian/der-neoliberale-charakter


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