Die deutsche Einheit, Teil 1

Von Stefan Sasse
Als die DDR 1989 den 40. Jahrestag ihres Bestehens feierte, knirschte es bereits heftig im Gebälk. Der sowjetische Staatschef Gorbatschow, der anlässlich der Feiern in Berlin weilte, kündigte dem Land de facto die Gefolgschaft auf – und ohne die Unterstützung der Sowjetunion war die DDR in ihrer damaligen Form nicht zu halten, das musste allen klar sein, selbst Erich Honecker. Die frenetischen Reformversuche der SED nach Honeckers Entmachtung und dem Mauerfall zeigen, dass die Parteiführung das auch erkannt hatte – sie kam jedoch wesentlich zu spät und musste mit einer Konkursmasse arbeiten, die kaum mehr Handlungsspielraum bot. Dazu kam noch die erdrückende Umarmung aus dem Westen, denn auch wenn er rhetorisch noch etwas anderes behauptete, so hatte Bundeskanzler Helmut Kohl längst die Weichen auf die deutsche Einheit gestellt – nach Artikel 23GG, was ein substantielles Mitspracherecht der SED effektiv ausschloss. Im Folgenden sollen die Schritte, die zur deutschen Einheit führten, besprochen werden, ehe der Blick auf eine Bewertung dieser Vorgänge gerichtet werden kann.
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Selbst die größten Verteidiger der DDR können nicht verleugnen, dass das Land sich 1989 in ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand. Bereits 1983 hatte nur die Vermittlung von Franz Josef Strauß – ausgerechnet! – über einen Milliardenkredit den drohenden Bankrott des Landes abgewendet. Dieser Kredit zeigt, dass die Bundesrepublik kein grundsätzliches Interesse am Untergang der DDR haben konnte. Der Grund dafür ist leicht zu erraten: ein Bankrott der DDR würde nicht ohne schwere innenpolitische Verwerfungen abgehen. Solche Verwerfungen aber gefährdeten den damals von der UdSSR keinesfalls in Frage gestellten Verbleib des Landes im Ostblock und mussten daher sowjetische Reaktionen hervorrufen. Die Gefahren, die aus einer solchen Situation resultieren konnten waren in der damals wieder aufgeheizten Situation (man denke an den NATO-Doppelbeschluss) kaum zu unterschätzen. Die wichtigste Frage ist also, was 1989 anders war als 1983, warum die BRD plötzlich bereit war, aggressive Schritte zur Auflösung und Integration der DDR zu gehen, die in dem eher zurückhaltenden Regime der Bonner Außenpolitik sonst undenkbar gewesen wären. 
Diese Ursache liegt in der Situation der Sowjetunion begründet. In der deutsch-deutschen Politik war seit 1949 nichts ohne die Zustimmung der großen Blockvormächte USA und UdSSR zu machen gewesen. Die BRD besaß zwar seit 1955 formell außenpolitische Souveränität durch das Ende des Besatzungsstatus; da aber innerdeutsche Angelegenheiten bis zum Abschluss eines Friedensvertrags den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs unterlagen und diese sich im Konsens einigen mussten, war unter der Situation des Kalten Krieges hier nicht viel zu gewinnen – die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition stellte hier eher die Ausnahme als die Regel dar und vollzog eher einen Schwenk, den die Siegermächte sich bereits länger gewünscht hatten. Als 1985 Michail Gorbatschow Generalsekretär der KPdSU wurde, änderte sich die Situation in der Sowjetunion aber grundsätzlich. Nicht nur wollte Gorbatschow mit Glasnost („Offenheit“) Reformen im eigenen Land einleiten (die er implizit auch für die Blockstaaten forderte), sondern im Rahmen der Perestroika („Umbau“) auch die Außenpolitik auf eine andere, etwas kooperativere Grundlage stellen. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig jegliche Legendenbildung zurückzuweisen, nach der Gorbatschow die Sowjetunion und den Ostblock generell in Richtung Westen hätte umbauen wollen – die vorherrschende Rolle der KPs in den jeweiligen Ländern und der Sowjetunion in der Region stand für ihn nie zur Debatte; er wollte sie lediglich modernisieren. 
Während die Sowjetunion eine zaghafte Öffnung begann, sah die Führung der DDR auf eine bestimmte Weise klarer als Gorbatschow: Honecker und seine Verbündeten im Politbüro waren sich sicher, dass eine Öffnung unter Glasnost und Perestroika ihr Ende bedeuten würde und lehnten sie entschieden ab. Sie waren sich der Gefährdung ihrer Herrschaft nur zu bewusst, denn die DDR hatte 1953 selbst einen Aufstand erlebt, der nur durch sowjetische Panzer unterdrückt werden konnte (was Gorbatschow 1989 explizit ausschloss und die SED damit fallen ließ) und war durch die Revolutionen in Ungarn 1956, der Tschechoslowakei 1968 und Polen seit 1980 jedes Mal selbst gefährdet gewesen und hatte die Grenzen schließen müssen. Als die Glasnost und Perestroika in diesen sozialistischen Nachbarländern in den späten 1980er Jahren erneut für Unruhen sorgte und Ungarn seine berühmte Grenzöffnung nach Österreich vollzog, schloss die DDR erneut die Grenzen und machte sich effektiv zu einer Insel inmitten Europas – eine unhaltbare Position. 
Die prekäre Lage der DDR entsprang zwei Hauptursachen. Die eine war eine der politischen Mentalität, die andere war wirtschaftlich. Die politisch-mentale war eine beinahe bleierne Schwere, die über dem Geistesleben des Landes lag. Selbst sozialistische Denker, die den Westen verachteten und alternative Wege des Sozialismus suchten, wurden aus Sorge um das Machtmonopol der SED unterdrückt. Die Ausbürgerung Wolf Biermanns etwa kann nur pars pro toto stehen. Noch schwerwiegender für das Regime aber war die wirtschaftliche Lage. Die DDR und ihre Produkte waren nicht wettbewerbsfähig, es kam zu Engpässen, an Konsumgütern herrschte Dauermangel und die Lage auf dem Wohnungsmarkt blieb dauerhaft angespannt. Dazu kam, dass die Ölkrisen der 1970er Jahre die DDR wegen ihrer starken Importabhängigkeit schwer getroffen hatten, denn die UdSSR, von der sie ihr Öl bezog, hatte im Umfeld der Ölkrisen ihre Preise stark erhöht. Ohne neue Kredite konnte sich die DDR mittelfristig nicht mehr refinanzieren, und aus dem gebeutelten Ostblock waren solche Kredite nicht zu haben, während Investoren das Land kaum attraktiv finden konnten. 
Um das zu ändern, musste das Land eine ganze Reihe tiefgreifender Reformen unternehmen, die alle auf eine stärkere marktwirtschaftlichere Orientierung hinausliefen. Das bedeutet nicht, dass das Land eine zweite BRD hätte werden müssen – es sind genügend alternative Wirtschaftsideen vorhanden, an denen man sich hätte versuchen können, ohne gleich eine radikale Transformation in den Kapitalismus zu übernehmen, wie dies dann geschah. Das Problem mit all diesen Varianten war aber eben, dass sie tiefgreifend waren und die Interessen- und Machtgeflechte der Partei wenn nicht in Frage stellten so doch zumindest erschüttern und verändern würden. Von den staatlichen Banken über die großen Unternehmenskonglomerate und die landwirtschaftlichen Produktionseinheiten der LPGs hing alles irgendwie an der Partei, war der Aufstieg unmittelbar mit der Linientreue verknüpft. Reformen würden das ändern und diese Machtbasis entfernen – eine Gefahr, die Honecker wesentlich deutlicher sah als Gorbatschow und sich deswegen dem auch entgegenstemmte.
Im Frühsommer 1989 kam zu diesen wirtschaftlichen Problembedingungen allerdings die politische Dimension hinzu. Trotz der gängigen Unterdrückungspraktiken des Regimes begann sich eine immer stärker wahrnehmbare Opposition zu formieren, die Freiräume geschickt auszunutzen wusste – etwa unter dem Dach der evangelischen Kirche. Vermehrt kam es zu Treffen und Unmutsbekundungen, begannen sich DDR-Bürger zu formieren und über Alternativen nachzudenken und sie auch zu fordern. Als Gorbatschow die Feiern zum 40. Jahrestag besuchte, war diese Bewegung bereits so weit fortgeschritten, dass sie sich traute, die Feierlichkeiten mit Protesten zu überschatten. Sie ging dabei auch insoweit sehr geschickt vor, als dass die Gorbatschow und seine Glasnost&Perestroika-Reformen als Vorbild erklärte und von der DDR-Führung „nur“ einforderte, dem Vorbild des großen Bruders aus dem Osten zu folgen – etwas, das die SED fast 40 Jahre lang unter dem Slogan „Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen“ praktiziert hatte. Die 180-Grad-Wende, die die SED nun zu beschreiben gezwungen war, entbehrte jeglicher Glaubwürdigkeit („Würden Sie ihre Wohnung tapezieren, nur weil Ihr Nachbar das tut?“). Der Druck auf Honecker stieg immer weiter. 
Der erste große politische Protest in der DDR aber fand bereits im Mai 1989 statt. Der Anlass waren die Kommunalwahlen. Wie üblich fälschte die SED großzügig die Wahlscheine, um auf die üblichen Werte im hohen 90%-Bereich zu kommen, aber die reine Zahl der oppositionellen Stimmen ging weit über das Gewohnte hinaus. Da die Auszählungen offen waren – Teil der demokratischen Legitimationsstrategie der SED – konnte diese Fälschung nur funktionieren, indem Gegenstimmen als ungültig gezählt wurden. Zum ersten Mal beobachteten aber viele Bürger den Prozess und protestierten lautstark gegen dieses Vorgehen – eine für das Regime ungewohnte Situation, mit der sie nicht umzugehen wusste und auf die es hauptsächlich mit Repression reagierte. Die Protestdemonstrationen, besonders auf dem Alexanderplatz, begannen sich schnell zu verfestigen und zu Dauerinstitutionen zu werden. 
Den nächsten Schlag erlitt die SED, als Ungarn und die Tschechoslowakei im Rahmen der von Gorbatschow betriebenen Auflösung der Breschnew-Doktrin (die eine Unterordnung der Außenpolitik unter Moskau gefordert hatte) ihre Grenzen zum Westen öffneten. Die DDR reagierte schnell und schloss ihrerseits die Grenzen zu diesen Ländern; viele Urlauber, die sich zur Zeit dort befanden, nutzten allerdings die Gelegenheit und flüchteten in die BRD, was für das Regime verheerende Fernsehbilder erzeugte. Nennenswert ist hier besonders die Besetzung der bundesdeutschen Botschaft in Prag, wo Flüchtlinge tagelang kampierten, ehe die DDR der Ausreise zustimmte – in einem Sonderzeug über das Territorium der DDR. Was sich die SED davon versprochen hatte ist nicht ganz klar, denn die Fahrt geriet zu einem regelrechten Triumphzug und führte die Probleme des Landes einmal mehr der ganzen Welt vor Augen. 
Das nächste große politische Signal war die Gründung des „Neuen Forums“ am 9./10. September 1989. Gedacht war es als eine Art basisdemokratische Organisation zur Formulierung oppositioneller Ideen und Ausübung von Druck auf die SED. Entgegen heutiger BRD-Folklore war es keine Vorstufe zur Einigung; die Auflösung der DDR stand nicht auf der Agenda. Den Initiatoren ging es darum, eine bessere DDR zu schaffen, nicht, sie abzuschaffen. Die Initiatoren des Forums hatten selbst nicht damit gerechnet, wie populär es innerhalb kürzester Zeit werden sollte. 
Ein herber Rückschlag für die Oppositionellen war das Schicksal der zeitgleich stattfindenden Proteste in China auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Die Niederschlagung dieser Proteste durch die chinesische KP war, obwohl anders als in den westlichen Medien berichtet gar nicht auf dem Platz selbst, eine blutige Angelegenheit. Die entsprechenden Fernsehbilder entsetzten die Zuschauer auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs, aber während sie für den Westen nur eine Bestätigung der postulierten Unmenschlichkeit des Ostens waren nutzte das Staatsfernsehen der SED sie, um die eigenen Bürger zu verunsichern und in Angst zu halten und kommentierte sie schonungslos. Der Eindruck, dass die DDR zu ähnlichen Maßnahmen greifen würde, wurde bewusst geschürt und verließ die Einwohner des Landes bis zum Mauerfall auch nicht mehr. Die SED nutzte diese Furcht massiv aus, um die Menschen vom Protestieren abzuhalten. Das Schlagwort von der „chinesischen Lösung“ machte alsbald die Runde. Anfang Oktober wurde zudem die NVA in „erhöhte Alarmbereitschaft“ versetzt. Gestoppt wurden die Proteste dadurch allerdings nicht. Noch immer protestierten wöchentlich hunderte und tausende von Oppositionellen gegen die SED und ihre Herrschaft über die DDR, und die Proteste ebbten auch zu den 40. Jahrestagsfeierlichkeiten nicht ab.

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